Lob der Gans

[131] Großmächtige, zu Wasser und zu Lande

Gleich wohl behauste Frau!

Dir bring' ich hier im festlichen Gewande

Mein Lobgedicht zur Schau.


Man stellt uns in der eselfarb'nen Eule

Der Weisheit Sinnbild dar,

Und dir ward dieser Vorzug nicht zu Theile,

Die zehnmal weiser war.


Nur du lehrst wahre Weisheit uns auf Erden;

Denn wo sonst lernten wir

Die Kunst, mit leichter Mühe fett zu werden,

So gut, als wie von dir?


Du warst so glücklich, Rom einst zu salviren

Durch deine Schnatterey'n,

Und führtest dadurch auch das Denunciren

In unsern Staaten ein.


Und seit der Mutter Gans, so reich an Worten,

Vermehrt die Gänschenschaar

Bei unserm Fräuleinvolk sich aller Orten

Mit jedem neuen Jahr.
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Ist gleich dein Kopf dumm, wie ein Steyrerstückel,

So gleicht im Hintergrund

Dein Schweif doch auf ein Haar dem Perpendikel

In vieler Weiber Mund.


Dein langer Hals hat uns das Glück verliehen,

Daß der geplagte Mann

Sein Haupt nach eines schweren Tages Mühen

Sanft niederlegen kann.


Und ohne deine weisheitsvollen Spulen,

Wo wäre Wissenschaft,

Wo uns're Kanzeleien, hohe Schulen,

Und uns're Autorschaft?


Man macht sogar aus deinen Beinen Flöten,

Und zeiget damit an,

Daß oft auch einem Hohlkopf von Poeten

Ein Lied gelingen kann.


Doch schlecht wirst du für alle diese grossen

Verdienste regalirt,

Am Martinstag zur Martyrin geschossen

Und nicht kanonisirt!

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 131-132.
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