Der Küster und sein Esel

[224] Ein reicher Küster hatt' einmal,

Nebst vielen Ochsen, Schaafen, Schweinen,

Auch einen Esel in dem Stall:

Seit Bileams Zeiten gab's so keinen;

Denn so wie jener, ward auch der

Im ganzen Dorf berühmter, als sein Herr.

Des Esels Kraft bestand im Schreien, das zu stillen

Unmöglich war, wenn er begann,

Und wenn er in der Heerde ging, so hörte man

Vom Blöcken, Grunzen, Wiehern, Brüllen

Der ganzen Heerde nichts, als sein Iha!

So oft man ihn nun auf der Gasse sah,

Entstand im Dorf ein allgemein Geflüster,

Man lief, und sah dem Wunderthiere nach,

Und niemand war, der nicht vom Küster,

Und seinem Wunderesel sprach.

Das Aufseh'n, das der Esel machte,

Gefiel dem Küster sehr; er dachte:[224]

So lang' die Welt von meinem Esel spricht,

Vergißt sie sicherlich auch meiner nicht.

Damit nun fernerhin von ihm gesprochen wurde,

Macht' er den Esel gar zum Führer seiner Heerde

Und wies den ersten Platz in seinem Stall ihm an.

Der neue Führer nun begann

Sein Amt mit ungemeiner Freude,

Schrie alle Morgen Rind und Schaaf

Und Schwein und Widder aus dem Schlaf,

Und führte sie stolzirend auf die Weide.

Das Dorf fand diesen Einfall schön,

So lang' er neu noch war, und lachte;

Der faule Küster aber dachte:

Wenn Küh' und Ochsen auf den Ruf des Esels geh'n,

So werden auch die Menschen ihn versteh'n,

Und ließ auch, um nicht mehr zur Messe selbst zu läuten,

Den Esel dies durch einen Schrei bedeuten.

Das Kirchspiel fügte sich und lief

Lautlachend zum Gebet, so oft der Esel rief.

Am Ende ward dem Volk das Lärmen doch zuwider,

Die guten Leute wünschten sich

Die Thurm- und Rinderglocken wieder. –

Der Esel legte sich auch endlich wirklich nieder –

Schrie immer schwächer und verblich.

Der Küster weinte bitterlich

Um seinen Freund; denn, ach! dahin gefahren

War mit dem Esel auch sein ganzer Ruhm,

Und seine Stelle zu ersetzen, waren

Die andern Esel alle viel zu dumm.

Doch endlich glückt' es ihm, ein Mittel auszufinden

Um der Vergessenheit sich zu entzieh'n:

Er ging in der Verzweiflung hin,

Ließ seinen todten Esel schinden,

Ließ sich die Haut auf eine Trommel binden,[225]

Und trommelte, damit sein Ruhm

Bei der Gemeinde nicht verfiele,

Im ganzen, weiten Kirchenspiele,

So lang er lebte, d'rauf herum.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 224-226.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon