Achte Geschichte

[68] Guiglielmo Borsiere straft mit feiner Rede den Geiz des Herrn Ermino de' Grimaldi.


Als Bergaminos Schlauheit zur Genüge gelobt worden war, sah Lauretta, die dem Filostrato zunächst saß, daß es nun an ihr sei zu sprechen, und sie begann, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, anmutig so zu reden:

Die vorige Geschichte veranlaßt mich, euch zu erzählen, wie ein anderer, der ebenfalls davon lebte, daß er Hochgeborenen die Zeit vertrieb, die Geldgier eines reichen Kaufmanns mit gutem Erfolg strafte. Laufen auch beide Geschichten auf dasselbe Ende hinaus, so denke ich, soll euch die meinige um ihres günstigen Ausgangs willen nicht minder willkommen sein.

In Genua lebte vor geraumer Zeit ein Edelmann namens Ermino de' Grimaldi, der, wie es allgemein hieß, an ausgedehnten Besitzungen und an barem Vermögen den Reichtum der wohlhabendsten Bürger, von denen man zu jener Zeit in Italien wußte, bei weitem übertraf. Wie aber seine Reichtümer die jedes anderen Italieners weit hinter sich zurückließen, so tat er es auch an Geiz und Filzigkeit dem ärgsten Filz und Geizhals auf der ganzen Welt weit zuvor. Denn nicht allein verschloß er seinen Beutel, wenn es galt, andern eine Ehre zu erweisen, sondern auch in dem, was der Anstand der eigenen Person gefordert hätte, ließ er es im Gegensatz zur Gewohnheit der Genueser, die sich adelig zu kleiden pflegen, an dem Nötigsten fehlen, desgleichen auch im Essen und Trinken. Aus diesem Grunde war ihm der Familienname der Grimaldi im Volksmunde verdientermaßen ganz verlorengegangen, und alle nannten ihn nur Herrn Ermino, den Geizhals.

Um diese Zeit nun, als dieser das Seinige an sich hielt und vervielfachte, geschah es, daß Guiglielmo Borsiere, ein lustiger Rat von feinen Sitten und geübter Zunge, der keineswegs den Leuten seiner Profession glich, die wir jetzt zu sehen bekommen, nach Genua kam. Denn zur großen Schande aller derer, die sich gegenwärtig Herren und Edelleute nennen lassen und als solche gelten wollen, können unsere lustigen Räte heute eher für Esel gelten, die im Schmutze des gemeinen Gesindels[69] großgeworden, als für Leute, die an Höfen aufgewachsen sind. Während damals ihr Geschäft darin bestand, mit aller Anstrengung Frieden zu vermitteln, wo unter den Herren Haß oder Krieg entstanden war, Ehen, Verschwägerungen oder Freundschaften zu stiften, die Höfe zu ergötzen und gleich Vätern die Fehler der Bösgesinnten mit scharfem Tadel zu verfolgen – und dies alles um geringen Lohn –, sind sie heutzutage nur bedacht, ihre Zeit damit zu verbringen, daß sie von einem zum andern Bosheiten herumtragen, Zwietracht aussäen, Unanständiges und Schlechtes reden, und, was schlimmer ist, vor den Leuten tun, Schlechtigkeit, Schande und Schmach einander hinter dem Rücken nachsagen und mit falschen Schmeicheleien die Gutgesinnten zu Schlechtigkeiten und Gemeinheiten zu verführen suchen. Von unseren entarteten und sittenlosen Fürsten aber wird der unter ihnen am höchsten geschätzt und durch die größten Geschenke ermuntert, der die meisten Abscheulichkeiten sagt oder tut. Wahrlich eine Tatsache, die unserer Zeit zu großer, beständiger Schande gereicht, und ein augenscheinlicher Beweis, daß die Tugenden von der Erde gewichen sind und die beklagenswerten Sterblichen im Unflat der Sünden zurückgelassen haben.

Um aber auf das zurückzukommen, wovon ich ausgegangen bin und von wo gerechter Unwille mich weiter abgelenkt hat, als ich dachte, so sage ich, daß der genannte Guiglielmo von allen Edelleuten in Genua gern gesehen und mit Ehren überhäuft ward. Als er sich nun schon einige Zeit in der Stadt aufgehalten und mancherlei von dem Geize und den armseligen Gesinnungen des Herrn Ermino vernommen hatte, kam es ihm in den Sinn, diesen zu besuchen. Herrn Ermino waren die Talente des Guiglielmo Borsiere dem Hörensagen nach bekannt geworden, und da er trotz allem seinem Geize noch ein Fünkchen guter Sitten in sich trug, empfing er ihn mit freundlichem Gesicht und höflichen Worten. Unter allerlei Gesprächen, die er mit ihm begann, führte er den Borsiere und einige Genueser, die eben bei ihm waren, in ein ihm gehörendes neues Haus, das er ganz hübsch hatte einrichten lassen. Nachdem er ihm alles gezeigt hatte, sagte er: »Ach, Herr Guiglielmo, Ihr habt so manches gehört und gesehen; könntet Ihr mir nicht etwas raten,[70] was noch niemals dagewesen ist, damit ich's im Saal dieses Hauses malen lassen könnte?«

Als Guiglielmo diese wenig angebrachte Rede vernahm, erwiderte er: »Herr, etwas noch nie Dagewesenes getraue ich mich nicht zu ersinnen, es sei denn etwa ein gemaltes Niesen oder dergleichen. Wollt Ihr aber, so will ich Euch etwas angeben, das meines Wissens bei Euch noch nicht dagewesen ist.« »Und was wäre das, ich bitte Euch«, entgegnete Herr Ermino, wenig gefaßt auf die Antwort, die er hernach bekam. Guiglielmo aber erwiderte schnell: »Laßt die Freigebigkeit malen.«

Kaum hatte Herr Ermino diese Worte vernommen, so kam eine solche Scham über ihn, daß sie seine bisherige Sinnesart nahezu umzukehren vermochte, und er sagte: »Ja, Herr Guiglielmo, ich will sie malen lassen, und zwar so, daß weder Ihr noch sonst jemand Grund haben soll, zu sagen, ich hätte sie weder gesehen noch gekannt.« Und so viel Kraft hatten Guiglielmos Worte, daß er von diesem Tage an der freigebigste und höflichste Edelmann ward und unter allen, die zu seiner Zeit in Genua lebten, derjenige wurde, der Fremden und Einheimischen am meisten Ehre erwies.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 68-71.
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