Neunte Geschichte

[71] Aus dem schwachen König von Zypern wird durch den Spott einer Edeldame aus der Gaskogne ein entschlossener Herrscher.


Der letzte Befehl der Königin war für Elisa verblieben, und diese begann, ohne ihn abzuwarten, mit freundlicher Miene:

Schon oft ist es geschehen, daß ein einziges, mit Absicht oder durch Zufall geäußertes Wort bei jemandem auszurichten vermochte, was mancherlei Tadel und häufige Strafen nicht erreicht hatten. Davon gab uns die Geschichte Laurettas ein schlagendes Beispiel, und ich will euch das gleiche in einer kurzen Erzählung dartun. Denn gute Geschichten können uns immer förderlich sein, und darum soll man ihnen immer aufmerksam zuhören, wer immer auch der Erzähler ist.[71]

So sage ich denn, daß zu den Zeiten des ersten Königs von Zypern, nach der Eroberung des Heiligen Landes durch Gottfried von Bouillon, eine Edeldame, von der Pilgerfahrt nach dem Heiligen Grabe heimkehrend, Zypern besuchte und von einigen ruchlosen Leute auf empörende Weise beleidigt ward. Sie konnte sich ob dieses Frevels nicht zufriedengeben und war gesonnen, den König selbst anzurufen. Doch einer ihrer Bekannten sagte ihr, sie werde sich nur vergebliche Mühe machen. Der König führe ein so kleinmütiges und unwürdiges Leben, daß er, weit davon entfernt, den anderen angetanen Schimpf gerecht zu rächen, ihm selbst zugefügte Schmach mit schnöder Feigheit ertrage, so daß, wer irgendeinen Verdruß gehabt habe, seinen Unmut in Beleidigungen und Hohn gegen den König auslasse.

Als die Dame dies vernahm, gab sie es auf, Rache zu verlangen, und wollte nur, um ihren Zorn einigermaßen zu befriedigen, diesen König wegen seiner niedrigen Gesinnung noch verspotten. Weinend trat sie vor ihn hin und sagte: »Herr, ich komme nicht zu dir, um Rache für die Beleidigung zu erlangen, die mir widerfahren ist. Statt aller Vergeltung für diese bitte ich dich nur, mir zu sagen, wie du es anfängst, um die vielen Kränkungen zu ertragen, die man dir antut. Dann werde ich, von dir belehrt, die meinige geduldig hinnehmen, während ich sie jetzt, der Himmel weiß es, dir gern schenkte, weil du dergleichen so gut zu ertragen weißt.«

Als wäre er vom Schlaf erwacht, fing der König, der bis dahin untätig und träge gewesen war, damit an, den der Dame angetanen Schimpf aufs nachdrücklichste zu rächen, und von diesem Tage an wurde er ein strenger Verfolger eines jeden, der sich irgendwie gegen die Ehre seiner Krone auch nur das mindeste verging.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 71-72.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Dekameron
Das Dekameron
Das Dekameron. 2 Bände
Das Dekameron (Fischer Klassik)
Das Dekameron. Vollständige Ausgabe
Das Dekameron