Zweite Geschichte

[217] Ein Stallknecht schläft bei der Gemahlin des Königs Agilulf. Der König bemerkt es im stillen, findet ihn und schneidet ihm die Haare ab. Der Geschorene tut seinen Kameraden ein Gleiches und entgeht dadurch seinem Unstern.


Als die Geschichte des Filostrato, über welche die Damen zuweilen errötet waren, andere aber auch gelacht hatten, zu ihrem Ende gelangte, gefiel es der Königin, Pampinea fortfahren zu lassen. Lächelnd begann sie folgendermaßen:

Einige sind unverständig genug, zeigen zu wollen, daß sie merken und wissen, was sie nicht wissen sollten, und oft vermehren sie dann ihre Schande um vieles, wenn sie unbemerkte Sünde an andern rügen, während sie eben dadurch jene zu mildern dachten. Wie wahr dies ist, möge euch der entgegengesetzte Weg, den ein großer König einzuschlagen verständig genug war, in folgender Geschichte beweisen, worin ihr zugleich von der Schlauheit eines Menschen erfahren werdet, den ihr vielleicht für geringer haltet als Masetto.

Agilulf, König der Langobarden, verweilte, wie es seine Vorgänger getan hatten, mit seinem Hofe in der lombardischen Stadt Pavia. Er war mit Theodelinde, der Witwe des Königs Autherik, vermählt, die jedoch einst durch einen Liebhaber in große Gefahr geriet.

Als nämlich Agilulfs Tapferkeit und Verstand die Angelegenheiten[217] der Lombarden um vieles gefördert und die Ruhe im Lande hergestellt hatten, geschah es, daß ein Stallknecht der Königin, ein Mensch von niedrigster Herkunft, der im übrigen für sein gemeines Handwerk viel zu hochgemut und schön und groß von Gestalt wie der König selbst war, sich über alle Maßen in die Königin verliebte. Da sein niedriger Stand ihm nicht die Einsicht genommen hatte, daß diese Liebe aller Sitte widersprach, war er verständig genug, sie niemandem zu offenbaren; ja er wagte nicht einmal, sich durch Blicke der Königin zu verraten. Obgleich er nun ohne jede Hoffnung lebte, ihr je zu gefallen, war er doch stolz darauf, seinen Sinn auf ein so hohes Ziel gerichtet zu haben, und, ganz vom Feuer der Liebe durchglüht, tat er weit mehr als einer seiner Dienstgefährten und mit dem größten Fleiß alles, wovon er glaubte, daß es der Dame lieb sein könnte.

So geschah es, daß die Königin, wenn sie ausreiten wollte, lieber als irgendein anderes das von ihm besorgte Pferd bestieg. Sooft sich dies zutrug, meinte er, es sei ihm die höchste Gnade widerfahren. Er wich nicht vom Steigbügel und war glücklich, wenn er nur ihre Gewänder berührt hatte. Wie es aber nur zu oft geschieht, daß die Liebe um so mehr zunimmt, je geringer die Hoffnung wird, so vermochte auch dieser arme Stallknecht sein ständig wachsendes Verlangen nicht mehr im Verborgenen zu ertragen. Er beschloß, da keine Hoffnung ihm Hilfe versprach und da er nicht imstande war, sich von dieser Liebe zu befreien, sich den Tod zu geben. Bei weiterem Nachdenken, wie er seinen Entschluß ausführen wollte, nahm er sich vor, auf eine Weise zu sterben, die geeignet wäre, seinen Tod als Folge der großen Liebe, die ihn für die Königin durchdrungen hatte und noch durchdrang, darzustellen. Diese Weise glaubte er am schicklichsten in einem Versuch zu finden, ganz oder zum Teil ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen.

Zu diesem Ende unternahm er es nun nicht etwa, zur Königin von seiner Liebe zu reden oder sich ihr schriftlich zu entdecken; denn er wußte, daß Reden wie Schreiben vergeblich wären. Vielmehr wollte er versuchen, ob er nicht durch List erreichen könne, eine Nacht bei der Königin zu verbringen. Mittel und Wege zu diesem Unternehmen waren indes nur zu finden, wenn[218] es ihm gelang, in der Kleidung des Königs, von dem er wußte, daß er nicht jede Nacht bei ihr schlief, in ihr Gemach und bis zu ihr selbst zu dringen. Deshalb verbarg er sich, um zu erfahren, auf welche Weise und in welchem Anzug der König seine Gemahlin besuche, mehrmals in der Nacht im großen Saale des Palastes, der die Gemächer des Königs und der Königin voneinander trennte. In einer dieser Nächte sah er endlich den König, in einen weiten Mantel gehüllt, eine brennende Kerze in der einen, in der andern Hand eine Gerte, aus seinem Gemach gehen, auf das der Königin zuschreiten und, ohne ein Wort zu reden, ein- oder zweimal mit der Gerte an die Tür schlagen. Alsbald öffnete sich die Tür, und dem König wurde die Kerze aus der Hand genommen.

Als unser Stallknecht ihn so hatte eintreten und auf ähnliche Weise zurückkehren sehen, dachte er ihn genau nachzuahmen. In dieser Absicht wußte er sich einen Mantel, der dem des Königs glich, eine Kerze und eine Rute zu verschaffen. Dann wusch er sich im Bade, so sorgfältig er nur konnte, damit der Stallgeruch die Königin nicht beschwere oder sie den Betrug gewahr werden lasse. Hierauf verbarg er sich nach gewohnter Weise in dem großen Saal, und als er sich überzeugt hatte, daß alles schlafe und nun die Zeit gekommen sei, entweder seine Wünsche zu verwirklichen oder auf würdige Weise dem ersehnten Tode entgegenzugehen, schlug er mit Stahl und Stein, die er bei sich führte, ein wenig Feuer, zündete seine Kerze an und ging, nachdem er den Mantel zusammengeschlagen und sich ganz darin eingehüllt hatte, auf die Tür des Gemaches zu und klopfte zweimal mit seiner Rute an. Eine Kammerfrau machte ihm noch ganz verschlafen die Tür auf, nahm ihm die Kerze aus der Hand und stellte sie beiseite, worauf er sogleich den Vorhang zurückschlug, den Mantel ablegte und in das Bett stieg, in welchem die Königin ruhte. Er umschlang diese verlangend mit seinen Armen, stellte sich aber verdrießlich; denn es war die Art des Königs, nichts mit sich reden zu lassen, wenn er verdrießlich war. Und so erkannte er, ohne daß er oder sie ein Wort geredet hätten, zu wiederholten Malen die Königin. Wie schwer ihm auch das Scheiden ward, so erhob er sich doch endlich aus Furcht, zu langes Verweilen könne es[219] nach sich ziehen, daß genossene Lust sich in Leiden verwandle, nahm Kerze und Mantel, ging, ohne den Mund zu öffnen, und kehrte in sein Bett zurück, so schnell er konnte.

Kaum mochte er indes dort angelangt sein, so stand der König auf und ging in das Schlafgemach der Königin, die über diesen zweiten Besuch nicht wenig verwundert war. Als er zu ihr ins Bett gestiegen war und sie freundlich begrüßt hatte, faßte sie um dieser Freundlichkeit willen Mut und sagte: »Mein Herr und Gemahl, was ist das heute nacht für ein neuer Brauch? Kaum habt Ihr mich verlassen, nachdem Ihr Euch, mehr als es Eure Gewohnheit ist, an mir ergötzt habt, und kehrt nun so schnell zurück? Habt acht, was Ihr tut!«

Als der König diese Worte hörte, vermutete er so gleich, die Königin sei durch ähnliche Gestalt und Kleidung betrogen worden. Da er ein weiser Mann war und weder die Königin noch sonst jemand etwas gemerkt hatte, beschloß er, auch sie nichts merken zu lassen. Viele wären töricht genug gewesen, das nicht zu tun, sondern zu sagen: »Ich bin nicht hier gewesen; wer war da? Wie ist das zugegangen? Was ist daraus geworden?« – wodurch sie sich dann vielerlei Unheil zugezogen hätten. Denn die Frau wäre dadurch unverschuldet beschimpft worden und hätte Veranlassung gehabt, aufs neue zu begehren, was sie schon einmal genossen hatte, und der König selbst, der durch Schweigen der Schande völlig entging, hätte durch Reden seine eigene Schmach herbeigeführt. Deshalb antwortete er ihr, mehr innerlich als dem Aussehen und den Worten nach erzürnt: »Frau, denkst du denn, ich sei nicht Manns genug, um wiederkommen zu können, wenn ich auch erst bei dir war?« Hierauf erwiderte die Königin: »Wohl, mein Herr, dessenungeachtet bitte ich Euch aber, an Eure Gesundheit zu denken.« »Gut«, entgegnete der König, »so will ich deinen Rat befolgen und diesmal umkehren, ohne dich weiter zu plagen.«

Und so nahm er voller Unmut und Zorn über den nur zu gut erkannten Schimpf, der ihm widerfahren war, seinen Mantel und verließ das Gemach in der Absicht, den Täter herauszubringen. Er war überzeugt, dieser müsse zum Hause gehören und habe, wer immer er auch sein möge, noch nicht entschlüpfen können. Eine Laterne mit einem kleinen Lichtlein in der Hand,[220] eilte er nach einem langen Saale seines Palastes, in dem, oberhalb der Pferdeställe, fast seine ganze Dienerschaft in zahlreichen Betten schlief. Eines schien ihm gewiß: wer das getan hatte, was die Königin ihm soeben erzählt, dem konnte sich Puls-und Herzklopfen von der erlittenen Anstrengung noch nicht gelegt haben. Deshalb fühlte er, am einen Ende beginnend, der Reihe nach einem jeden mit der Hand auf die Brust, um das Schlagen des Herzens zu vernehmen. Obgleich nun alle übrigen fest schliefen, so wachte doch der, welcher bei der Königin gewesen war, noch immer, und eine heftige Furcht befiel ihn, als er den König kommen sah und wohl erriet, was er suchte. Deshalb vermehrte sich sein Herzklopfen, das die körperliche Aufregung veranlaßt hatte, aus Furcht noch um vieles, und er zweifelte nicht, der König werde ihn auf der Stelle töten, sobald er es nur gewahr würde. Gingen ihm nun auch allerhand Pläne durch den Kopf, so entschloß er sich doch zuletzt, als er den König ohne Waffen sah, sich schlafend zu stellen und abzuwarten, was jener tun werde. Der König fand unter den vielen, die er untersuchte, keinen, den er für den Täter gehalten hätte, bis er endlich zu diesem kam, und als er dessen Herz so heftig schlagen fühlte, sagte er bei sich: – »Der ist es.« Da es aber seine Absicht war, niemanden etwas von dem wissen zu lassen, was er tun wollte, tat er nichts weiter, als daß er mit einer Schere, die er bei sich trug, ihm auf der einen Seite einen Teil von den Haaren abschnitt, die man damals sehr lang trug, um ihn an diesem Zeichen am andern Morgen erkennen zu können. Dann kehrte er sogleich in seine Gemächer zurück.

Unser Knecht hatte wohl gefühlt, was der König mit ihm vorgenommen, und er war verschlagen genug einzusehen, zu welchem Ende er so gezeichnet worden war. Darum stand er ohne Zögern auf und schnitt mit einer Schere, deren zufällig zur Pflege der Pferde mehrere vorhanden waren, leise unter seinen Schlafgesellen von einem zum andern gehend, allen auf gleiche Weise an einem Ohr die Haare ab, worauf er sich, ohne daß jemand ihn gehört hätte, wieder schlafen legte.

Kaum war der König am Morgen aufgestanden, so befahl er, noch ehe die Tore des Palastes geöffnet wurden, daß die[221] ganze Dienerschaft vor ihm erscheinen solle. Wie diesem Befehl Genüge geleistet war und alle entblößten Hauptes vor ihm standen, blickte er unter ihnen umher, um den zu erkennen, den er selbst geschoren hatte. Als er aber die Mehrzahl unter ihnen mit gleichmäßig verschnittenen Haaren sah, verwunderte er sich und sagte bei sich selbst: »Wahrlich, der, den ich suche, bewährt seinem niederen Stande zum Trotz einen hohen Verstand.« Überzeugt, nicht ohne großes Aufsehen zu seinem Ziele gelangen zu können, und gewillt, nicht kleiner Rache wegen große Schmach zu erwerben, entschloß er sich, ihn nur mit einem Worte zu erinnern und ihm zu zeigen, daß er wisse, was geschehen sei. Darum sagte er, sich an alle wendend: »Wer es getan hat, tue es nicht wieder, und so geht mit Gott.« Ein anderer hätte sie allesamt köpfen, foltern, fragen und examinieren lassen und dadurch bekanntgemacht, was jeder zu verhüllen bemüht sein muß. Hätte er dann auch den Täter entdeckt und vollständige Rache an ihm genommen, so würde seine Schmach dadurch nicht vermindert, sondern um vieles vermehrt, die Ehre seiner Gemahlin aber für immer befleckt worden sein.

Diejenigen, welche die Worte des Königs hörten, wunderten sich und untersuchten lange miteinander, was er damit habe sagen wollen. Keiner aber wußte sie zu verstehen, den einzigen ausgenommen, den sie wirklich angingen. Der aber war klug genug, zu Lebzeiten des Königs niemand etwas davon zu entdecken und auch sein Leben nicht wieder an ein solches Wagestück zu setzen.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 217-222.
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