Achte Geschichte

[271] Ferondo wird, nachdem er ein gewisses Pulver geschluckt hat, für tot begraben. Der Abt aber, der sich inzwischen mit seiner Frau ergötzt, holt ihn aus dem Grabe, setzt ihn gefangen und macht ihm weis, er sei im Fegefeuer. Dann wird er auferweckt und erzieht einen Sohn, den der Abt mit seiner Frau erzeugt hat, als den seinigen.


So lang auch die Geschichte Emilias gewesen war, so hatte sie deswegen doch niemandem mißfallen, vielmehr waren alle der Meinung, Emilia habe in Anbetracht der Mannigfaltigkeit der vorgetragenen Ereignisse noch sehr kurz erzählt. Nun aber gab die Königin der Lauretta ihren Wunsch durch einen bloßen Wink zu verstehen und veranlaßte sie dadurch, also zu beginnen:

Ihr lieben Mädchen, ich besinne mich eben auf eine Geschichte, die ich euch zu erzählen Lust habe und die wahr ist, so sehr sie auch einer Lüge gleichsieht. Sie ist mir wieder eingefallen, weil ich eben hörte, wie einer für den andern betrauert und begraben worden ist, während ich euch erzählen werde, wie ein Lebender für tot begraben wurde, und wie er sich selbst nachher mit vielen anderen nicht für fortlebend, sondern von den Toten auferweckt und aus dem Grabe auferstanden hielt, und wie schließlich derjenige, welcher dessentwillen als ein[271] Schuldiger hätte verdammt werden sollen, wie ein Heiliger verehrt wurde.

In Toskana nämlich war und ist noch heutzutage eine Benediktinerabtei, wie man deren viele sieht, an einem wenig besuchten Orte gelegen. Dort hatte man einen Mönch zum Abt gemacht, der in jeder Beziehung, den Umgang mit Weibern abgerechnet, ein sehr heiliger Mann genannt werden konnte. Diesen Umgang aber wußte er so insgeheim zu betreiben, daß bei seinem Rufe der Strenge und Heiligkeit niemand dergleichen ahnte, geschweige denn etwas davon erfuhr.

Nun traf es sich, daß ein schwerreicher Bauer, namens Ferondo, mit dem Abte näher bekannt ward und bei seiner unmäßigen Einfalt und Albernheit von diesem, der sich zuweilen an seinen Narrheiten ergötzen mochte, gern gesehen wurde. Inzwischen wurde der Abt gewahr, daß Ferondo ein wunderschönes Weib zur Frau hatte, und er verliebte sich so sehr in dieses, daß er bei Tag und Nacht an nichts anderes dachte und fast verzweifeln wollte, als er erfuhr, Ferondo, der in allem andern so töricht und dumm war, sei vollkommen vernünftig, sobald es sich darum handle, seine Frau zu lieben und zu bewachen. Dennoch war er geschickt genug, den Ferondo so weit zu bringen, daß er zuweilen mit seiner Frau heraufkam, sich im Klostergarten einige Zeit zu ergötzen. Hier redete er ihnen dann mit vieler Salbung von der Seligkeit, vom ewigen Leben und von den heiligen Werken vieler verstorbener Männer und Frauen so lange etwas vor, bis die Frau Lust bekam, bei ihm zur Beichte zu gehen, und die Erlaubnis von ihrem Manne, als sie ihn darum ansprach, sogleich erhielt.

Zur großen Freude des Abtes kam die Frau nun wirklich zu ihm beichten, setzte sich zu seinen Füßen und begann, noch ehe sie etwas anderes redete: »Hochwürdiger Herr, hätte mir Gott einen andern oder auch gar keinen Mann gegeben, so würde es mir vielleicht nicht schwer fallen, unter Eurer Anleitung den Weg zu gewinnen, der nach Eurer Rede den Menschen zum Paradiese führt. Wenn ich aber bedenke, was Ferondo für ein Mensch und wie übermäßig seine Albernheit ist, so muß ich mich in dieser Hinsicht eine Witwe nennen, während ich doch wieder insofern verheiratet bin, als ich zu seinen Lebzeiten[272] keinen andern Mann nehmen darf. Dabei ist er nun ohne irgendeinen Grund in seiner Einfalt so übertrieben eifersüchtig auf mich, daß ich um dessentwillen nicht anders als in Not und Elend mit ihm leben kann. Deshalb bitte ich denn, bevor ich zur ferneren Beichte schreite, Euch auf das demütigste, mir in dieser Sache mit einigem Rate gefällig zu sein; denn erlange ich dadurch nicht erst die Möglichkeit, gut zu handeln, dann wird mir das Beichten so wenig helfen wie die Buße.«

Diese Rede gefiel dem Abt in seiner Seele gar wohl, und ihn deuchte, das Glück habe ihm bereits den Weg gebahnt, um seinen sehnlichsten Wunsch zu erlangen. »Meine Tochter«, antwortete er, »wohl glaube ich, daß es einer so schönen und feinfühligen Frau, wie Ihr es seid, lästig sein mag, einen Blödsinnigen zum Manne zu haben; noch beschwerlicher aber muß ein Eifersüchtiger fallen. Da Ihr nun zugleich den einen und den andern habt, so glaube ich Euch gern, was Ihr von Euren Leiden erzählt. Für diese aber weiß ich, gerade herausgesagt, nur einen Rat und nur ein Mittel: nämlich ihn von seiner Eifersucht zu heilen. Die Arznei, die ihn zu heilen vermag, weiß ich recht wohl herzustellen, wenn Ihr Euch nur getraut, alles, was ich Euch sagen werde, gewiß geheimzuhalten.«

Die Frau erwiderte: »Zweifelt nicht, ehrwürdiger Vater; eher will ich mein Leben lassen, als jemand das wiederzusagen, was zu sagen Ihr mir verboten habt. Wie sollte aber das vor sich gehen?« »Wollen wir, daß er geheilt werde«, antwortete der Abt, »so muß er notwendig ins Fegefeuer.« »Wie kann er denn bei lebendigem Leib dahin kommen?« sprach die Frau. Der Abt sagte: »Er muß sterben und so hinkommen. Wird er dann so viele Qualen erlitten haben, daß er von dieser seiner Eifersucht geheilt ist, so werden wir in gewissen Gebeten den lieben Gott bitten, daß er ihn wieder lebendig macht, und das wird dann auch geschehen.« »Soll ich denn eine Witwe werden?« entgegnete die Frau. »Ja«, sagte der Abt, »auf einige Zeit, während welcher Ihr Euch aber wohl hüten müßt, Euch an jemand verheiraten zu lassen. Gott nähme es Euch sehr übel, und Ferondo, wenn er wiederkäme und Ihr dann zu ihm zurück müßtet, wäre eifersüchtiger denn je zuvor.« Die Frau antwortete: »Wird er nur von diesem Übel befreit und brauche ich dann nicht immer[273] wie im Gefängnis zu sitzen, so bin ich mit allem zufrieden. Tut nach Eurem Gefallen.«

»So will ich es denn übernehmen«, sagte der Abt. »Wodurch wollt Ihr mich aber für einen solchen Dienst belohnen?« »Hochwürdiger Herr«, erwiderte die Frau, »fordert, was Ihr wollt, wenn ich es zu leisten vermag. Was kann aber ein armes Weib, wie ich es bin, einem so vornehmen Herrn anbieten, das seiner würdig wäre?« Darauf sagte der Abt: »Madonna, Ihr könnt für mich nichts Geringeres tun, als was ich für Euch zu unternehmen im Begriff stehe. Denn so wie ich zu Eurem Glück und zu Eurer Zufriedenheit zu wirken gedenke, so seid Ihr imstande, mir mein Leben und meine Ruhe wiederzugeben.« »Ist das der Fall«, entgegnete die Frau, »so bin ich bereit.« »Wohl denn«, sagte der Abt, »so schenkt mir Eure Liebe und gewährt mir Euren Leib, denn nur für Euch glühe ich und verzehre mich im Feuer.«

Als die Frau diese Worte vernahm, sagte sie voller Schrecken: »Um Gottes willen, ehrwürdiger Vater, was begehrt Ihr da von mir! Ich dachte, Ihr wäret ein Heiliger. Ziemt es sich denn für heilige Männer, daß sie die Frauen, die sich bei ihnen Rat holen wollen, um dergleichen Dinge ansprechen?« Der Abt antwortete ihr: »Mein süßes Herz, verwundert Euch nicht darüber. Die Heiligkeit wird darum nicht geringer, denn sie wohnt in der Seele, und das Verlangen, das ich Euch entdeckt habe, ist eine Sünde des Körpers. Wie dem aber auch sei, Eure holde Schönheit übt solche Gewalt über mich aus, daß die Liebe mich zwingt, so zu tun, wie ich getan habe. Dabei könnt Ihr Euch mehr als andere Weiber Eurer Schönheit rühmen, wenn Ihr bedenken wollt, daß sie den Heiligen wohlgefällt, die doch gewohnt sind, die Schönheiten des Himmels zu betrachten. Übrigens bin ich ein Mensch, wie sehr ich auch Abt bin, und wie Ihr seht, noch nicht alt. Und so soll es Euch nicht leid sein, zu tun, wie ich Euch gesagt habe, vielmehr sollt Ihr es selber wünschen, denn während Ferondo im Fegefeuer ist, werde ich Euch nachts Gesellschaft leisten und Euch die Unterhaltung gewähren, die er Euch zu bieten hätte. Auch wird es niemals jemand gewahr werden; denn ein jeder denkt von mir so gut und vielleicht noch besser, als Ihr es vorhin getan habt. Verschmäht[274] nicht die Gnade, die Euch von Gott geboten wird, denn viele sind, die sehnlich begehren, was Ihr haben könnt und haben werdet, wenn Ihr vernünftig genug seid, meinem Rate zu trauen. Überdies habe ich manchen schönen und kostbaren Schmuck, der meinem Willen nach niemand anders als Euch gehören soll. So tut denn, süße Hoffnung meines Herzens, für mich, was ich gern für Euch tue.«

Die Frau schlug die Augen nieder und wußte nicht, wie sie dem Abt diese Bitte abschlagen sollte. Sie ihm zu gewähren, schien ihr aber nicht gut getan. Als dieser bemerkte, daß sie mit der Antwort zögerte, nachdem sie ihn doch angehört hatte, glaubte er sie schon halb bekehrt, und wirklich gelang es ihm durch viele Worte, die er den ersten hinzufügte, noch ehe er ausgeredet hatte, ihr in den Kopf zu setzen, was er verlange, sei wohlgetan. Deshalb sagte sie ihm denn ganz verschämt, sie sei bereit, jedem seiner Befehle zu gehorchen. Früher aber könne sie nicht, als bis Ferondo im Fegefeuer sei. Der Abt erwiderte ihr voller Freuden: »Nun, so wollen wir ihn denn gleich hinschicken. Richtet es nur ein, daß er morgen oder in diesen Tagen zum Besuche zu mir heraufkommt.« Mit diesen Worten drückte er ihr verstohlen einen wunderschönen Ring in die Hand und entließ sie.

Die Frau war vergnügt über das Geschenk, denn sie hoffte, daß noch andere folgen sollten, und nach dem sie ihre Freundinnen wieder aufgesucht hatte, erzählte sie ihnen auf dem Heimweg Wunderdinge von der Frömmigkeit des Abtes. Wenige Tage darauf ging Ferondo ins Kloster. Sobald der Abt ihn zu sehen bekam, nahm er sich vor, ihn ins Fegefeuer zu schicken. Zu diesem Ende suchte er ein Pulver von wunderbarer Kraft hervor, das er im Morgenlande von einem mächtigen Fürsten mit der Versicherung erhalten hatte, der Alte vom Berge pflegte sich desselben zu bedienen, wenn er jemanden im Schlaf in sein Paradies oder wieder herausbringen wolle. In größerer oder geringerer Menge gegeben, schläfere es den, der es genieße, ohne ihm irgend zu schaden, auf kürzere oder längere Zeit dermaßen ein, daß niemand ihm einen Funken von Leben beimessen könne, solange die Kraft des Pulvers dauere. Von diesem Pulver nahm er soviel, als nötig war, um einen[275] dreitägigen Schlaf hervorzubringen und gab es Ferondo mit einem Glase jungen und noch trüben Weines, in welches er dasselbe unbemerkt getan hatte, in seiner Zelle zu trinken. Dann führte er ihn in den Kreuzgang und begann in Gesellschaft einiger anderer Mönche sich an seinen Torheiten zu ergötzen. Es dauerte indes nicht lange, so wirkte das Pulver, und Ferondo überfiel eine so plötzliche und unüberwindliche Müdigkeit, daß er noch im Stehen einschlief und schlafend umfiel. Der Abt stellte sich erschrocken über den Vorfall, ließ ihm die Kleider öffnen und kaltes Wasser bringen, um ihn damit zu bespritzen. Auch versuchte er noch viele andere Mittel, wie wenn er glaubte, die Lebensgeister, die von üblen, aus dem Magen oder sonst aufgestiegenen Dünsten eingenommen seien, auf diese Weise samt dem Bewußtsein zurückzurufen. Als nun der Abt und die Mönche sahen, daß er bei alledem sich nicht erholte, und als sie den Puls, nach dem sie fühlten, regungslos fanden, zweifelte keiner mehr daran, daß er tot sei. Deshalb ließ man es seiner Frau und seinen Angehörigen sagen, die alle schnell herbeikamen und ihn eine Weile gemeinschaftlich beweinten, worauf der Abt ihn, angezogen wie er war, in einer Gruft beisetzen ließ. Die Frau kehrte heim und erklärte, sich nie von einem Kinde trennen zu wollen, das er mit ihr erzeugt hatte. So blieb sie im Hause, nur damit beschäftigt, dem Vermögen, das Ferondo hinterlassen hatte, und der Erziehung ihres Söhnleins vorzustehen.

Der Abt indessen stand in der Nacht mit einem Bologneser Mönch, der am selben Tage angekommen war und zu dem er großes Vertrauen hatte, in aller Stille auf. Beide nahmen den Ferondo aus seinem Grabe und legten ihn in ein anderes Gewölbe, worin man gar kein Licht sah und das zum Strafgefängnis für die Mönche bestimmt war. Hier zogen sie ihm seine Kleider aus, kleideten ihn statt dessen wie einen Mönch, setzten ihn auf ein Bündel Stroh und ließen ihn allein, bis er wieder zu sich käme. Und der Bologneser Mönch, der vom Abt ohne Mitwissen eines anderen gehörig unterrichtet worden war, wartete einstweilen, daß Ferondo sich erholen sollte.

Der Abt ging am andern Tag mit einigen seiner Mönche wie zum Besuche in das Haus der Frau, die er ganz in Trauerkleidern[276] und sehr betrübt fand. Nachdem er sie eine Weile getröstet hatte, erinnerte er sie leise an ihr Versprechen. Da die Frau sich nun frei und weder von Ferondo noch sonst jemand belästigt fühlte, auch an des Abtes Finger schon einen zweiten, noch schöneren Ring bemerkt hatte, sagte sie, sie sei bereit, und verabredete mit ihm, daß er in der nächsten Nacht kommen solle. Wirklich ging er, sobald es Nacht geworden war, in den Kleidern des Ferondo und von seinem Mönche begleitet zu der Frau, bei der er bis zum Morgen unter Scherz und Freuden verweilte, bevor er zu seiner Abtei zurückkehrte. Oft genug machte er denselben Weg in gleicher Absicht und wurde von einigen, die ihm beim Kommen oder Gehen begegneten, für den Geist des Ferondo gehalten, der, um Buße zu tun, in der Gegend umgehen müßte. Darüber erzählten denn die abergläubischen Leute in dem Dörfchen viele Geschichten, die auch zu den Ohren der Frau kamen, welche indes wohl wußte, was für eine Bewandtnis es damit hatte.

Als Ferondo in dem dunklen Gefängnis erwachte, ohne zu wissen, wo er sich befand, trat der Bologneser Mönch mit einer fürchterlichen Stimme zu ihm hinein und gab ihm mit einigen Ruten, die er in der Hand hielt, eine derbe Tracht Schläge. Ferondo fragte unter Weinen und Schreien in einem fort: »Wo bin ich?« »Du bist im Fegefeuer«, antwortete der Mönch. »Wie«, sagte Ferondo, »so bin ich denn tot?« »Jawohl«, erwiderte der Mönch. Darauf begann Ferondo sich selbst, seine Frau und sein Söhnlein bitterlich zu beweinen und sagte dabei die tollsten Albernheiten. Indessen brachte der Mönch ihm etwas zu essen und zu trinken. Als Ferondo das sah, rief er aus: »Mein Himmel, essen denn die Toten?« »Ja«, sagte der Mönch, »und was ich dir jetzt bringe, ist dasselbe Essen, welches die Frau, die einstmals die deine war, heute morgen der Kirche geschickt hat, um für deine Seele eine Messe lesen zu lassen. Das kommt dir nun, auf unseres Herrgotts Befehl, hier zugute.« Darauf sagte Ferondo: »Ach du meine Güte! Na, Gott gebe ihr ein vergnügtes Jahr. Ich bin ihr freilich immer vor meinem Tode gar gut gewesen und hab sie immer die ganze Nacht im Arm gehabt und nichts anderes getan als sie geküßt und habe auch etwas anderes getan, wenn ich Lust dazu bekam.« Dann fing er, hungrig und[277] durstig wie er war, zu essen und zu trinken an. Da ihm aber der Wein nicht allzugut vorkam, sagte er wieder: »Herrgott, gib ihr Unglück, sie hat dem Priester doch nicht von dem Fasse an der Wand geschickt.«

Als er nun gegessen und getrunken hatte, nahm ihn der Mönch wieder vor und schlug ihn mit denselben Ruten aufs neue ganz mürbe. Nachdem Ferondo lange genug gejammert hatte, sagte er zu ihm: »Mein Gott, warum tatest du denn das?« Der Mönch sagte: »Weil unser Herrgott befohlen hat, daß dies alle Tage zweimal so geschehe.« »Aus was für einer Ursache denn?« sagte Ferondo. Der Mönch erwiderte: »Weil du eifersüchtig warst, obgleich du das beste Weib zur Frau hattest, das weit und breit zu finden war.« »Ach Gott, ja«, sagte Ferondo, »und das honigsüßeste dazu, köstlicher als Marzipan. Aber ich wußte nicht, daß unser Herrgott es übelnimmt, wenn ein Mann eifersüchtig ist, sonst wäre ich's nicht gewesen.« Der Mönch antwortete: »Das hättest du bedenken und dich bessern sollen, während du noch in jener Welt warst. Und sollte sich's treffen, daß du wieder hinkämst, so gib nur acht, daß du in Gedanken behältst, was ich dir jetzt antue, und daß du nie wieder eifersüchtig bist.« »Ei«, sagte Ferondo, »kommt denn jemals einer zurück, der gestorben ist?« »Freilich«, entgegnete der Mönch, »wen Gott wieder hinbringen will!« »Ach Gott«, sagte Ferondo, »wenn ich jemals zurückkäme, so wollte ich der beste Mann von der Welt sein. Ich wollte sie niemals schlagen, niemals schelten, außer wegen des Weines, den sie heute morgen geschickt hat. Sie hat aber auch kein bißchen Licht gegeben, und ich habe im Dunkeln essen müssen.« Der Mönch antwortete: »Wohl hat sie Kerzen geschickt, aber man hat sie zu den Seelenmessen verbrannt.« »Ja«, sagte Ferondo, »da wirst du recht haben. Und gewiß, wenn ich wieder hinkomme, da will ich sie tun lassen, wozu sie Lust hat. Aber sag einmal, wer bist denn du, der du so mit mir umgehst?« Der Mönch erwiderte: »Ich bin auch tot und war aus Sardinien, und weil ich im Leben meinen Herrn wegen seiner Eifersucht häufig gelobt habe, bin ich von Gott zu der Strafe verurteilt, daß ich dir so lange zu essen und zu trinken gebe und dich in solcher Weise schlagen muß, bis Gott über dich und mich anders beschließen wird.«[278] Ferondo sagte: »Ist denn niemand hier als nur wir beide?« »Jawohl«, sagte der Mönch, »zu Tausenden, aber du kannst sie so wenig sehen und hören wie ich auch.« Darauf sagte Ferondo: »Wie weit sind wir denn wohl von uns zu Hause?« »Oho«, antwortete der Mönch, »du bist hier noch etliche Meilen weit hinter Schön-Kackenhausen.« »Ei der Kuckuck«, sagte Ferondo, »das ist einmal weit! Meines Erachtens ist das so weit, daß wir schon aus der Welt heraus sein sollten.«

Unter solchen und ähnlichen Gesprächen wurde Ferondo bei Essen und Schlägen an die zehn Monate gehalten, während welcher der Abt, der sich gar glücklich fühlte, oft genug die hübsche Frau besuchte und sich mit ihr den schönsten Zeitvertreib von der Welt machte. Wie aber die Unfälle mitunter zu kommen pflegen, so wurde die Frau schwanger und sagte es dem Abt, da sie es noch früh genug gemerkt hatte. Darum schien es denn nun beiden geraten, daß Ferondo unverzüglich aus dem Fegefeuer zurückkommen und wieder ins Leben gerufen werden solle, auf daß sie, nachdem sie wieder beisammengewesen wären, vorgeben könne, von ihm schwanger zu sein. Zu diesem Zweck ließ der Abt in der nächsten Nacht den Ferondo in seinem Kerker mit verstellter Stimme anrufen und ihm folgendes sagen: »Ferondo, sei guten Mutes, Gott beliebt es, dich in die Welt zurückzuschicken. Wenn du wieder hingekommen bist, wird dir deine Frau einen Sohn gebären, den sollst du Benedikt nennen; denn Gott erzeigt dir diese Gnade um der Gebete des heiligen Abts und deiner Frau willen und aus Liebe zum heiligen Benedikt.« Als Ferondo das hörte, wurde er sehr froh und sagte: »Na, das ist mir lieb; Gott möge es unserm Herrgott lohnen und dem Abte und dem heiligen Benedikt und meiner honigsüßen, kandierten, mit Käse bestreuten Frau ebenfalls.« Darauf ließ ihm der Abt im Wein, den er ihm zu trinken gab, so viel von jenem Pulver reichen, daß er etwa vier Stunden lang davon schlafen mußte, und legte ihn, wieder mit den alten Kleidern angetan, mit Hilfe seines Mönchs aufs neue in die Gruft, in welcher er zuerst begraben worden war.

Am andern Morgen kam Ferondo, als der Tag anbrach, wieder zu sich, und er sah durch einige Spalten in der Gruft das[279] Licht, das er seit wohl zehn Monaten entbehrt hatte, wieder. Da es ihm nun so vorkam, als sei er lebendig, so fing er an zu rufen: »Macht auf, macht auf!« und stemmte sich selbst mit solcher Kraft gegen die Decke der Gruft, daß, weil sie leicht zu heben war, er sie lüftete. Er war noch damit beschäftigt, sie ganz abzuwerfen, als einige Mönche, die eben ihr Morgengebet gesprochen hatten, herbeiliefen, die Stimme des Ferondo erkannten und ihn aus dem Grabe steigen sahen. Voller Schrecken über die unerhörte Begebenheit entflohen sie und eilten zum Abt. Dieser tat, als stände er eben vom Gebet auf, und sagte: »Kinder, fürchtet euch nicht. Nehmt Kreuz und Weihwasser und folgt mir nach, damit wir sehen, was die göttliche Allmacht uns offenbaren will.« Und so taten sie.

Ferondo war indessen, ganz bleich von der langen Zeit, während welcher er den Himmel nicht gesehen hatte, aus der Gruft herausgestiegen. Sobald er den Abt erblickte, warf er sich ihm zu Füßen und sagte: »Ehrwürdiger Vater, Eure Gebete nebst denen des heiligen Benedikt und meiner Frau haben mich, wie mir offenbart worden ist, von der Pein des Fegefeuers erlöst und ins Leben zurückgerufen. Ich bitte Gott, daß er Euch dafür ein gutes Jahr und gute Tage heute und allezeit bescheren möge.« Der Abt antwortete: »So sei denn die göttliche Allmacht gelobt! Gehe, mein Sohn, da Gott dich zurückgesandt hat, und tröste deine Frau, deren Tränen nicht versiegt sind, seit du von hinnen schiedest. Gehe und sei von nun an Gottes Freund und Diener.« Ferondo sagte: »Hochwürdiger Herr, so ist mir wohl gesagt worden. Laßt mich nur machen, denn wenn ich hinkomme, küsse ich sie auch gleich, so gut bin ich ihr.«

Der Abt blieb mit seinen Mönchen zurück und bezeigte viel Verwunderung über diese Begebenheit, weswegen er denn in großer Demut das Miserere singen ließ. Ferondo kehrte indes ins Dorf zurück, wo jeder, der ihn sah, vor ihm floh, wie man vor etwas Entsetzlichem flieht. Er aber rief alle zurück und versicherte, er sei auferweckt worden. Die Frau fürchtete sich ebenfalls vor ihm, bis endlich die Leute etwas mehr Zutrauen zu ihm faßten, sich überzeugten, daß er lebendig sei und ihm vielerlei Fragen nach jener Welt stellten. Er antwortete allen, als ob er vernünftiger zurückgekehrt sei, erzählte ihnen Neuigkeiten[280] von den Seelen ihrer Angehörigen und erfand sich selber die schönsten Fabeln von der Welt über die Einrichtungen des Fegefeuers. Auch erzählte er vor allem Volke die Offenbarung, die ihm durch den Mund des Erzengels Braghiello vor seiner Wiedererweckung gemacht worden sei. Unterdessen kehrte er mit der Frau in sein Haus zurück, nahm von seinem Vermögen wieder Besitz und schwängerte sie, wenigstens seiner Meinung nach. Zum Glücke traf es sich, daß die Frau gerade zu der Zeit, welche nach der Meinung der Törichten, die sich einbilden, die Frauen trügen genau neun Monate lang die Kinder im Leibe, die richtige war, von einem Knaben genas, der Benedikt Ferondo getauft ward.

Die Rückkehr Ferondos und seine Reden steigerten den Ruf von des Abtes Heiligkeit um vieles; denn fast jedermann glaubte, jener sei wirklich vom Tode erweckt worden. Ferondo aber, der wegen seiner Eifersucht so viele Schläge bekommen hatte, war nun ganz von ihr geheilt und plagte, wie der Abt versprochen hatte, von nun an seine Frau nicht mehr damit. Diese war darüber sehr erfreut und lebte wie zuvor mit ihm in allen Ehren, ohne jedoch zu versäumen, sich dann und wann, wenn es sich schickte, mit dem heiligen Abte zu treffen, der sie so gut und so sorgfältig in den wichtigsten Angelegenheiten bedient hatte.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 271-281.
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