Neunte Geschichte

[370] Herr Guillem von Roussillon gibt seiner Frau das Herz des Herrn Guillem von Cabestaing zu essen, den sie geliebt und den er getötet bat. Als sie es erfährt, stürzt sie sich aus einem hohen Fenster herab und wird mit ihrem Geliebten begraben.


Als die Geschichte der Neifile, nicht ohne lebhaftes Mitleid in den Freundinnen der Erzählerin geweckt zu haben, beendet war, hub der König, weil er des Dioneo Vorrecht nicht zu schmälern gedachte und sonst kein anderer mehr zu erzählen hatte, also zu reden an:

Ihr mitleidigen Damen, ich erinnere mich einer Geschichte, die euch, wenn ihr für die Unfälle der Liebenden so viel Teilnahme empfindet, nicht weniger rühren muß als die vorige; denn diejenigen, welchen geschah, was ich euch berichten werde, standen höher und erfuhren noch Schrecklicheres, als dies in Neifiles Geschichte der Fall war.

So wißt denn, daß nach den Berichten der Provenzalen vor Zeiten in der Provence zwei edle Ritter lebten, deren jeder über Schlösser und Lehnsmannen zu gebieten hatte und von denen der eine Herr Guillem Roussillon, der andere aber Herr[370] Guillem Cabestaing hieß. Weil nun der eine wie der andere mit besonderer Tapferkeit die Waffen führte, waren sie einander sehr gewogen und pflegten zu jedem Turnier, Lanzenrennen oder sonstigen Waffenspiele miteinander und in gleicher Rüstung zu reiten. Obgleich jeder von den beiden ein eigenes Schloß bewohnte und diese wohl drei Stunden auseinander lagen, geschah es dennoch, daß Herr Guillem Cabestaing ohne Rücksicht auf seine Freundschaft und Waffenbrüderschaft mit Herrn Guillem Roussillon sich in dessen schöne und liebenswürdige Gattin über die Maßen verliebte. Auch wußte er diese Liebe in seinem Betragen auf mancherlei Weise der Dame kundzutun, so daß sie seine Gefühle erriet. Und da sie wußte, welch ein wackerer Ritter er war, fand sie an ihm Gefallen, ja sie faßte endlich eine solche Liebe zu ihm, daß sie ihn über alles begehrte und liebte und nur darauf wartete, daß er sie um ihre Gunst anspräche. Dies geschah bald genug, und so hatten sie in großer gegenseitiger Liebe öftere Zusammenkünfte. Weil sie aber nicht mit genügender Vorsicht handelten, wurde der Mann ihr Einverständnis gewahr, und er geriet darüber in einen solchen Zorn, daß seine frühere Liebe zu Cabestaing sich in tödlichen Haß verkehrte. Er wußte denselben besser zu verstecken, als das liebende Paar seine Neigung, und beschloß, jenen umzubringen.

Während sich nun Roussillon noch mit diesem Vorsatz trug, wurde in Frankreich ein großes Turnier angesagt. Roussillon gab dem Cabestaing sogleich Nachricht davon und ließ ihm sagen, wenn es ihm genehm sei, möge er zu ihm kommen, damit sie sich gemeinschaftlich entschließen könnten, ob und wie sie jenes Turnier besuchen wollten. Cabestaing erwiderte voller Freude, er werde auf jeden Fall am folgenden Tage zum Abendessen kommen. Roussillon aber dachte bei dieser Antwort, nun sei die Zeit gekommen, wo er ihn umbringen könne. Er bewaffnete sich daher am andern Tag und ritt mit einigen seiner Diener eine Viertelstunde weit von der Burg weg, wo er sich an einer Stelle, an der Cabestaing vorüberkommen mußte, im Gebüsch verbarg. Schon hatte er eine lange Weile gewartet, als er den Cabestaing, der sich nichts Arges von ihm versah, unbewaffnet mit zwei ebenfalls unbewaffneten Dienern[371] des Weges kommen sah. Kaum war dieser nun an der Stelle, wo jener ihn haben wollte, als er tückisch und voll Ingrimm unter dem Ruf: »Du bist des Todes!« mit vorgestreckter Lanze über ihn herfiel und im selben Augenblick seine Brust durchbohrte. So fiel Cabestaing, ohne das mindeste zu seiner Verteidigung tun zu können, und starb nach wenigen Augenblicken, ohne daß er imstande gewesen wäre, nur noch ein Wort zu reden.

Seine Diener hatten indessen, bevor sie noch erkannt, von wem dieser Überfall ausgegangen war, eiligst die Häupter ihrer Rosse herumgewandt und waren nach der Burg ihres Herrn geflohen, so schnell sie vermochten. Roussillon aber stieg vom Pferde, öffnete dem Cabestaing mit einem Messer die Brust und nahm mit eigenen Händen das Herz heraus. In ein Lanzenfähnchen eingehüllt, ließ er es sich von einem der Diener nachtragen und ritt alsdann, nachdem er ihnen allen eingeschärft hatte, daß keiner sich unterstehen solle, von dem Geschehenen ein Wort zu sagen, da es schon Nacht geworden war, in seine Burg zurück.

Die Dame hatte vernommen, daß Cabestaing zum Abendessen kommen wollte, und erwartete ihn mit der größten Sehnsucht. Als er aber ausblieb, verwunderte sie sich gar sehr und sagte zu ihrem Gemahl: »Herr, was ist das nur, daß Cabestaing noch immer nicht gekommen ist?« Der Mann aber erwiderte: »Frau, er hat mich wissen lassen, daß er vor morgen nicht hier sein kann«, worüber die Dame mißgestimmt blieb.

Inzwischen aber hatte sich Roussillon, als er kaum vom Pferd gestiegen war, den Koch rufen lassen und zu ihm gesagt: »Nimm dieses Eberherz und mache daraus das beste und wohlschmeckendste Gericht, das du weißt, und schicke es mir dann in einer silbernen Schale zur Tafel.« Der Koch nahm das Herz, zerhackte es, tat viele gute Gewürze dazu und bereitete so nach aller seiner Kunst und Geschicklichkeit eine äußerst schmackhafte Schüssel.

Herr Guillem setzte sich, sobald es Zeit war, mit seiner Gemahlin zu Tisch. Die Speisen wurden aufgetragen, das Verbrechen aber, das zu begehen er im Begriff stand, lag ihm so sehr in Gedanken, daß er nur wenig aß. Endlich schickte der[372] Koch das Herz. Herr Guillem ließ die Speise vor die Dame setzen, weil er, wie er vorgab, diesen Abend keinen Appetit hätte, und empfahl sie ihr als besonders vorzüglich. Die Dame, der es nicht an Hunger fehlte, versuchte das Gericht, und da sie es wohlschmeckend fand, verzehrte sie es ganz und gar.

Als der Gemahl sah, daß die Dame die Schüssel leergegessen hatte, sagte er: »Frau, was meint Ihr von der Speise?« Sie entgegnete: »Beim Himmel, Herr, sie hat mir gut geschmeckt.« »Das glaube ich Euch«, erwiderte der Ritter, »so wahr mir Gott helfe, und ich finde es ganz natürlich, daß Euch das, was Euch lebendig vor allem andern behagte, auch nun, da es tot ist, behagt.« Bei diesen Worten stutzte die Dame einen Augenblick, dann aber sagte sie: »Und was war es denn, das Ihr mir zu essen gabt?« »Was Ihr gegessen habt«, entgegnete der Ritter, »war wahrlich das Herz des Herrn Guillem Cabestaing, das Ihr als ein pflichtvergessenes Weib geliebt habt. Zweifelt nicht, es war es wirklich; denn ich habe es ihm selber, kurz bevor ich zurückkam, mit diesen meinen Händen aus dem Leib gerissen.«

Wie sehr es die Dame schmerzte, über den, welchen sie vor allen liebte, solche Botschaft zu erhalten, brauche ich euch nicht erst zu berichten. Nach einer Weile aber sagte sie: »Ihr tatet wie ein ehrloser und niederträchtiger Ritter; denn wenn ich, ohne von Cabestaing gezwungen zu sein, ihn zum Gebieter meines Herzens erwählt hatte und dadurch Eurer Ehre zu nahe getreten war, so durfte mich, nicht aber ihn dafür die Strafe treffen. Das aber soll, so Gott will, nie geschehen, daß ich eine andere Speise nach einer so edlen genieße, als das Herz des Herrn Guillem Cabestaing war, den an Tapferkeit und adliger Sitte kein anderer Ritter übertraf.« Mit diesen Worten stand sie auf und stürzte sich, ohne einen Augenblick zu zögern, rücklings aus einem hinter ihr befindlichen Fenster. Da dies Fenster hoch über dem Boden war, blieb die Dame von dem Sturz nicht allein auf der Stelle tot, sondern ihr Körper war auch fast ganz zerschmettert.

Über diesen Anblick erschrak Herr Guillem sehr und glaubte nun selber, übel getan zu haben. Aus Furcht vor der Rache des Volkes und des Grafen von Provence ließ er die Pferde satteln[373] und floh. Am andern Morgen war der Hergang der Sache schon in der ganzen Gegend bekannt. Die Leute vom Schlosse des Herrn Guillem Cabestaing wie von dem der Dame hoben unter Tränen und Wehklagen die beiden Leichen auf und setzten sie in der zum Besitz der Dame gehörigen Burgkapelle in einer gemeinsamen Gruft bei. Darüber wurden in Versen die Namen der dort Begrabenen und Art und Ursache ihres Todes geschrieben.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 370-374.
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