Neunte Geschichte

[655] Meister Simon, der Arzt, wird von Bruno und Buffalmacco, welche ihn in eine Gesellschaft, die kursieren geht, aufzunehmen versprochen, nachts an einen Ort geschickt, von Buffalmacco in eine Dunggrube gestoßen und darin gelassen.


Nachdem die Damen noch eine Zeitlang über die von den beiden Sienesern eingeführte Weibergemeinschaft geschwatzt hatten, begann die Königin, der allein noch zu erzählen übrigblieb, wenn sie das Vorrecht des Dioneo nicht schmälern wollte, folgendermaßen:

Allerdings, ihr liebevollen Mädchen, hatte Spinelloccio den[655] Streich verdient, welchen Zeppa ihm spielte, und deshalb glaube ich nicht – wie Pampinea uns vor kurzem zeigen wollte –, daß derjenige bitter zu tadeln sei, welcher dem einen Possen spielt, der dies entweder selbst herbeiführt oder der es verdient. Spinelloccio verdiente es; ich aber beabsichtige, euch von einem andern zu erzählen, der sich zu einem solchen Possen gleichsam einlud, und bin dabei der Meinung, daß die, welche ihm diesen Streich spielten, keineswegs zu tadeln, sondern zu loben sind. Der aber, dem dieser Streich gespielt wurde, war ein Arzt, der als ein Schafskopf von Bologna zurückkehrte, obgleich er mit edlem Pelzwerk von oben bis unten verbrämt war.

Wie wir's täglich erleben, kehren unsere Stadtkinder, der eine als Richter, der andere als Arzt, der dritte als Notarius von Bologna mit langen und faltigen Röcken heim, mit Scharlach und Pelzverbrämungen und mit allerhand anderm stattlichem Aufputz, und welche Erfolge dem entsprechen, sehen wir gleichfalls alle Tage. Unter diesen kam vor nicht langer Zeit ein gewisser Meister Simone da Villa, ein Mann, der an Erbgütern reicher war als an Wissenschaft, prächtig in Scharlach gekleidet und mit großem Mantelkragen und seiner Versicherung nach als Doktor der Medizin, zu uns wieder heim und nahm seine Wohnung in der Straße, welche wir heute die Via del Cocomero nennen.

Dieser Meister Simon nun, der, wie erzählt, eben erst in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, hatte unter andern merkwürdigen Gewohnheiten auch die, jeden, der bei ihm war, unablässig zu fragen, wer jeder einzelne Mensch sei, den er über die Straße gehen sah, wobei er – just als ob er aus den Handlungen der Menschen die Medikamente für seine Kranken zusammenzusetzen hätte – auf alles acht gab und sich alles genau merkte. Unter andern, auf die er mit besonderer Aufmerksamkeit seine Augen geworfen hatte, befanden sich auch zwei Maler, von denen heute schon zweimal hier erzählt worden ist, Bruno und Buffalmacco, die in stetem Verkehr miteinander lebten und seine Nachbarn waren. Es schien ihm, daß diese beiden sich weniger Sorgen machten und fröhlicher lebten als irgend jemand auf der Welt – wie sie es denn auch wirklich[656] taten –, und er erkundigte sich daher bei mehreren anderen nach ihren Verhältnissen. Da er nun von allen hörte, sie seien arme Leute und Maler, setzte sich bei ihm der Gedanke fest, sie könnten unmöglich so fröhlich von ihrer Armut leben. Vielmehr hielt er dafür, sie müßten, da sie, wie er gehört hatte, gar schlaue Gesellen wären, von irgendeiner den Leuten unbekannten Seite her große Einnahmen beziehen.

Daraus nun entstand in ihm das Verlangen, wenn es sich machen ließe, mit beiden oder wenigstens mit einem von ihnen vertraut zu werden, und in der Tat gelang es ihm, mit Bruno näheren Umgang anzuknüpfen. Als Bruno wenige Male mit ihm zusammen gewesen war, erkannte er in dem Doktor einen Dummkopf, und er fing an, sich mit ihm unter stets neuen Einfällen den größten Spaß von der Welt zu machen, und der Doktor fand gleichfalls an Brunos Umgang die größte Freude.

Nachdem er ihn mehrere Male zu sich zum Essen geladen hatte und deshalb meinte, nun ganz vertraulich mit ihm sprechen zu können, erzählte er ihm, wie sehr er sich über ihn und Buffalmacco gewundert habe, daß sie als arme Leute ein so lustiges Leben führten, und bat ihn, ihm zu sagen, wie sie das eigentlich anstellten.

Als Bruno den Doktor hörte und diese Frage ihm wieder so eine von seinen vielen törichten und albernen zu sein schien, fing er an zu lachen und nahm sich vor, ihm so zu antworten, wie es seine Einfalt verdiente. Darum sprach er: »Meister, ich würde es nicht vielen sagen, wie wir das anfangen; doch nehme ich keinen Anstand, es Euch zu gestehen, der Ihr mein Freund seid und von dem ich weiß, daß Ihr es niemand weitersagen werdet. In der Tat ist es richtig, daß mein Kamerad und ich so fröhlich und wohlgemut leben, wie es Euch scheint, und eher noch fröhlicher. Von unserer Kunst oder von irgendeinem andern Ertrag, den wir aus unseren Besitzungen ziehen, könnten wir allerdings nicht einmal das Wasser bezahlen, das wir verbrauchen. Doch darum müßt Ihr nicht glauben, daß wir stehlen gehen, sondern wir gehen nur kursieren, und daraus ziehen wir, ohne einem dritten zu schaden, alles und jedes, was zu unserem Vergnügen oder Bedürfnis dient. Daraus allein entspringt die heitere Lebensweise, die Ihr uns führen seht.«[657]

Als der Doktor dies hörte und alles glaubte, ohne zu wissen, was es bedeutete, wunderte er sich über alle Maßen. Zugleich aber überkam ihn auch das heftigste Verlangen zu erfahren, was dies Kursierengehen bedeute, und er bat daher den Bruno auf das inständigste, es ihm zu sagen, wobei er beteuerte, daß er es gewiß und wahrhaftig niemals jemandem wiedersagen würde. »Weh mir«, erwiderte Bruno, »Meister, was verlangt Ihr von mir? Es ist ein gar zu großes Geheimnis, das Ihr von mir zu wissen begehrt, und eine Geschichte, die mich unglücklich machen und aus der Welt, ja geradezu dem Luzifer von San Gallo in den Rachen jagen kann, wenn ein dritter es wiedererführe. Aber so groß ist die Liebe, die ich zu Eurer qualitativen Pinselhaftigkeit von Legnaja hege, so groß das Vertrauen, das ich in Euch setze, daß ich Euch nichts abschlagen kann, was Ihr begehrt. Drum will ich es Euch sagen, unter der Bedingung jedoch, daß Ihr mir beim Kreuz von Mon Tesone schwört, es niemals jemandem wiederzuerzählen, wie Ihr versprochen habt.« Der Meister beteuerte, daß er es nicht tun wolle.

»Ihr müßt also wissen«, sprach Bruno, »mein zuckersüßer Meister, wie es noch gar nicht lange her ist, seit in dieser Stadt ein großer Zauberkünstler und Meister der Schwarzen Kunst weilte, welcher Michael Scotto hieß, weil er aus Schottland war, und von vielen adeligen Männern, von denen jetzt nur noch wenige leben, große Ehre empfing. Als dieser nun von hier abreisen wollte, ließ er auf ihre Bitten hin zwei seiner einsichtigsten Schüler zurück. Diesen trug er auf, beständig zu jedem Wunsch dieser edlen Herren, welche ihn so geehrt hatten, bereit und gewärtig zu sein. Diese dienten nun den eben erwähnten Edelleuten in mehreren kleinen Liebessachen und anderen Stücken willig. Zuletzt aber, da ihnen die Stadt und die Sitten der Einwohner gefielen, entschlossen sie sich, für immer hierzubleiben, und befreundeten sich eng mit einigen Bürgern, ohne darauf zu achten, wer diese wären, ob von Adel oder nicht von Adel, ob reich oder arm, nur vorausgesetzt, daß es Leute waren, die zu ihren Sitten paßten.

Um nun ihren so gewonnenen Freunden gefällig zu sein, stifteten sie eine Gesellschaft von etwa fünfundzwanzig Männern,[658] welche sich wenigstens zweimal im Monat an einem von ihnen bestimmten Orte versammeln. Sind sie hier beieinander, sagt ein jeder ihnen seinen Wunsch, und sie verschaffen ihm diesen sogleich für die Nacht. Mit diesen beiden stehen nun ich und Buffalmacco in besonderer und vertrauter Freundschaft, und wir wurden daher von ihnen in jene Gesellschaft aufgenommen und sind noch darin. Und ich sage Euch, sooft wir uns versammeln, ist es etwas Wunderbares, die Wandverkleidungen rings im Saal zu sehen, in dem wir speisen, und die königlich bedienten Tische, und die Menge edler und schöner Diener, sowohl Frauen als Männer, zur Freude jedes Mitgliedes dieser Gesellschaft, und die schönen Becken, die Weinkrüge und Flaschen, die Becher und das übrige Gerät von Gold und Silber, von dem wir essen und trinken; und außerdem die vielen und verschiedenen Gerichte, welche, je nachdem ein jeder sie begehrt, aufgetragen werden, jede Schüssel zu ihrer gehörigen Zeit. Aber nie könnte ich Euch beschreiben, wie mannigfach und von welcher Art die süßen Töne unzähliger Instrumente und die melodienreichen Gesänge sind, die man hier vernimmt. Ebensowenig könnte ich Euch erzählen, wie groß die Masse der Wachskerzen ist, die bei diesen Gastmahlen brennen, noch welche Menge von Konfekt hier verzehrt wird, oder wie kostbar die Weine sind, die dabei getrunken werden. Und ich möchte nicht, mein Salzkürbislein, daß Ihr etwa glaubtet, wir wären dort mit den Kleidern und in dem Gewand, das Ihr jetzt an uns sehet. Nein, keiner ist dort so schlecht gekleidet, daß er nicht einem Kaiser gliche, mit so kostbaren Stoffen und so herrlichen Sachen sind wir geschmückt. Doch über alle Freuden, die wir dort finden, geht die Lust an den schönen Frauen, welche augenblicklich, sowie es nur einer wünscht, uns aus der ganzen Welt herbeigeschafft werden. Dort könnt Ihr die Beherrscherin der Bartnicker, die Königin der Basken, die Gemahlin des Großsultans, die Kaiserin von Usbecchien, Frau Schwatzin aus dem Mondenlande, die Großmogulin von Plapperheim und Frau Trulle von Nasenheim sehen. Doch was zähle ich Euch diese einzeln auf? Dort könnt Ihr alle Königinnen der Welt finden, bis zur Chinchimurra des Priesterkönigs Johannes, welche die Hörner mitten auf dem Hintern trägt.[659]

Nun seht Ihr wohl! Haben wir getrunken, uns mit Backwerk gestärkt und ein oder zwei Tänzchen gemacht, so begibt sich jede von diesen mit dem, auf dessen Wunsch sie erschienen ist, in eine besondere Kammer. Und wissen müßt Ihr, daß diese Kammern wie ein wahres Paradies anzusehen sind, so schön sind sie, und nicht weniger duftend als die Arzneibüchsen in Eurem Apothekerladen, wenn Ihr gerade Kümmel stoßen laßt; und Betten gibt es da, die Euch schöner dünken würden als das des Dogen von Venedig, und in diese legt sich jedes Paar zum Schlafen nieder. Und wie dann jene Weberinnen die Tritte rühren und den Einschlag an sich ziehen, um das Tuch recht dicht zu weben, das könnt Ihr Euch selbst ausmalen. Doch zu denen, die am besten dran sind, gehören meiner Meinung nach Buffalmacco und ich; denn Buffalmacco läßt sich meist die Königin von Frankreich kommen, während ich die von England vorziehe, welche beiden wohl die schönsten Frauen auf Erden sind, und wir haben uns so bei ihnen einzuschmeicheln gewußt, daß sie für niemand anders mehr ein Auge im Kopf haben als eben für uns. Deshalb könnt Ihr denn wohl ermessen, ob wir nicht mehr als die andern Menschen lustig und guter Dinge leben und sein können und müssen, wenn Ihr bedenkt, daß wir die Liebe zweier solcher Königinnen besitzen, abgesehen davon, daß wir, wenn wir ein- oder zweitausend Goldstücke von ihnen begehren, sie nicht bekommen. Dies eben nennen wir kursieren gehen; denn wie die Korsaren die Besitztümer eines jeden sich aneignen, so machen auch wir es, mit dem Unterschied jedoch, daß jene sie niemals, wir sie aber zurückgeben, sobald wir sie gebraucht haben. Und so habt Ihr, mein allervortrefflichster Meister, nun gehört, was wir kursieren gehen nennen. Allein, wie sehr dies alles geheim bleiben muß, das seht Ihr wohl selbst ein, und darum sage ich nichts mehr darüber und bitte Euch nicht erst weiter darum.«

Der Doktor, dessen Wissenschaft sich wahrscheinlich nicht weiter erstreckte, als kleinen Kindern den Grind zu kurieren, schenkte Brunos Worten soviel Glauben, als es nur bei irgendeiner ausgemachten Wahrheit angemessen gewesen wäre, und er ward von solchem Verlangen, in diese Gesellschaft aufgenommen zu werden, entflammt, wie er sich von keinem andern[660] wünschenswerten Ding hätte entflammen lassen können. Deshalb antwortete er Bruno: freilich sei es ihm nun kein Wunder mehr, wenn sie fröhlich und guter Dinge lebten. Nur mit großer Mühe zügelte er sich so weit, daß er die Bitte, ihn in jene Gesellschaft aufnehmen zu lassen, verschob, bis er dem Bruno noch mehr Ehre erwiesen hätte, um alsdann seinen Antrag mit größerer Zuversicht vorbringen zu können. Er überwand sich jedoch und setzte den Umgang mit ihm fleißig fort, lud ihn abends und morgens zu Tisch und bezeigte ihm überhaupt eine übermäßige Liebe.

Bald ward diese Vertraulichkeit so groß und anhaltend, daß es schien, als könnte der Doktor ohne Bruno nicht mehr sein oder leben. Bruno, der sich dabei ganz wohl befand, hatte dem Doktor, um für alle Ehre, welche dieser ihm erwies, nicht undankbar zu scheinen, in seinem Speisesaal die Fasten gemalt und ein Agnus Dei über den Eingang seines Zimmers, über die Haustür aber ein Uringlas gepinselt, damit die, welche seines Rats bedürften, ihn vor andern zu erkennen wüßten. In einer offenen Halle aber malte er ihm den Kampf der Mäuse mit den Katzen, welches Gemälde der Doktor für ein wunderschönes Werk hielt. Außerdem aber sagte er gelegentlich zum Meister, wenn er gerade nicht bei ihm zu Abend gegessen hatte: »Diese Nacht war ich in unserer Gesellschaft, und da ich der Königin von England ein wenig überdrüssig bin, so habe ich mir heute Frau Gumedra, die Gemahlin des Großmoguls von Tarisi, kommen lassen.« »Was bedeutet Gumedra?« fragte der Doktor. »Ich verstehe alle diese Namen nicht.« »O mein liebster Meister«, antwortete Bruno, »darüber wundere ich mich gar nicht. Ich habe oft sagen hören, daß Hippengras und Achwieschön nichts davon berichten.« »Du meinst wohl«, erwiderte der Meister, »Hippokrates und Avicenna?« »Meiner Treu, ich weiß nicht«, entgegnete Bruno, »ich verstehe mich auf Eure Namen ebenso schlecht wie Ihr Euch auf die meinigen. Aber Gumedra bedeutet in der Sprache des Großmoguls soviel wie Kaiserin in der unseren. Oh, wie würde Euch das Weibsbild gefallen! Ich sage Euch, sie machte Euch Medikamente und Klistiere und Pflaster und alles andere vergessen!«

Durch solche Erzählungen brachte er ihn von Zeit zu Zeit[661] noch mehr in die Hitze, und in der Meinung, daß er den Bruno nun durch allerhand Ehrenbezeigungen genügend für sich eingenommen habe, entschloß sich der Doktor eines Abends, als er lange aufblieb und dem Bruno das Licht hielt, während er an der Mäuse- und Katzenschlacht malte, diesem seine Wünsche zu eröffnen. Sie waren allein, und er begann: »Bruno, Gott weiß, jetzt lebt kein Mensch, für den ich alles so tun könnte wie für dich, und wenn du mir jetzt sagtest, gehe nach Peretola, ich glaube, wenig fehlte daran, so ginge ich. Darum mußt du dich denn nicht wundern, wenn ich ganz vertraulich und mit aller Zuversicht dich um etwas bitte. Wie du weißt, ist es noch nicht lange her, daß du mir von der Art und Weise eurer lustigen Gesellschaft erzählt hast. Mich aber hat ein so großes Verlangen ergriffen, zu dieser zu gehören, daß niemals von irgendwem etwas anderes so heftig begehrt worden ist. Daß ich aber dazu guten Grund habe, würdest du bald sehen, wenn es mir gelänge, in sie aufgenommen zu werden. Denn gleich jetzt will ich dir das Recht geben, daß du mich zum Narren halten sollst, wenn ich nicht das schönste Mägdlein, das du seit langer Zeit gesehen hast, dorthin kommen lasse, das ich erst im vorigen Jahr in Kackenwinkel gesehen und dem ich mein ganzes Herz geschenkt habe. Beim Leibe Christi, ich wollte der Kleinen damals zehn bolognesische Groschen geben, wäre sie mir zu Willen gewesen, allein sie wollte nicht. Und so bitte ich dich denn, so sehr ich nur kann, sag mir, was hab ich zu tun, um hinkommen zu können. Und mach und wirke, daß ich dort aufgenommen werde; wahrhaftig, ihr sollt an mir einen guten, getreuen und ehrenwerten Kameraden haben. Zuvörderst siehst du, daß ich ein ganz hübscher Mann bin und die Beine mir gut zu Leibe stehen; und ein Gesicht habe ich wie eine Rose, und außerdem bin ich Doktor der Medizin, dergleichen ich nicht glaube, daß ihr unter euch habt, und viele prächtige Geschichten weiß ich und schöne Lieder, und gleich will ich dir eines singen.« Und damit sang er los.

Bruno hatte solch ein Verlangen zu lachen, daß er sich fast nicht halten konnte; doch bezwang er sich. Als das Lied zu Ende war, sprach der Doktor: »Nun, was hältst du davon?« »Wahrhaftig«, entgegnete Bruno, »gegen Euch können nicht[662] einmal die Strohfiedeln aufkommen, so wundersambarlicher Weise könnt Ihr singen und übersingen.« »Nicht wahr«, sagte der Meister, »ich sage dir, du hättest mir's nicht geglaubt, wenn du mich nicht selbst gehört hättest.« »Gewiß, Ihr sagt die Wahrheit«, entgegnete Bruno. »Oh, ich weiß noch viele andere«, erwiderte der Meister, »aber lassen wir das jetzt. So wie du mich hier siehst, war mein Vater ein Edelmann, obschon er auf dem Dorf wohnte, und von Mutterseite her stamme ich aus dem Geschlecht der Herren von Valecchio. Und wie du hast sehen können, habe ich schönere Bücher und bessere Kleider als irgendein Arzt in ganz Florenz. Gottestreu, ich habe Sachen, die, alles gerechnet, mich fast hundert Lire in Hellern kosteten, und die habe ich schon seit mehr als zehn Jahren. Drum beschwöre ich dich, soviel ich kann, mach, daß ich dort aufgenommen werde. So wahr Gott lebt, wenn du das fertigbringst, so sei krank, soviel du Lust hast, nie werde ich dir einen Dreier für meine Bemühungen abnehmen.«

Als Bruno dies hörte und erkannte, was er schon oft festgestellt hatte, daß nämlich der Doktor ein Einfaltspinsel sei, rief er: »Meister, leuchtet einmal ein wenig hierher und geduldet Euch, bis ich diesen Mäusen hier die Schwänze gemalt habe; dann will ich Euch antworten.«

Als die Schwänze fertig waren, tat Bruno, als wenn dieser Antrag ihn sehr in Verlegenheit setzte, und sprach: »Liebster Meister, freilich sind das gar große Dinge, die Ihr für mich zu tun bereit seid, und ich erkenne das wohl an. Doch bei alledem ist, was Ihr von mir verlangt, so klein es auch im Vergleich zu der Größe Eures Gehirns ist, für mich eine gar große Sache. Ich kenne keinen Menschen auf der Welt, für den ich – die Möglichkeit es zu tun vorausgesetzt – mich dazu entschlösse, wenn ich es nicht für Euch tue. Ich will es teils tun, weil ich Euch so liebe, wie es Euch zukommt, teils Eurer Worte wegen, die so mit Weisheit gewürzt sind, daß sie die Betschwestern aus den Wasserstiefeln ziehen und mich von meinem Vorsatz abbringen können, und je länger ich mit Euch umgehe, um so weiser kommt Ihr mir vor. Ja, auch das will ich Euch sagen: wenn ich keine anderen Gründe hätte, Euch liebzuhaben, so tät ich es schon darum, weil Ihr Euch in etwas so[663] Schönes, von dem Ihr eben sprachet, verliebt habt. Leider aber muß ich Euch gestehen, daß ich in diesen Dingen weniger vermag, als Ihr glaubt, und darum kann ich für Euch nicht soviel tun, wie nötig wäre. Doch wenn Ihr mir bei Eurer festen und vielverbrüchlichen Treue versprecht, das Geheimnis zu bewahren, so will ich Euch den Weg anzeigen, den Ihr einschlagen müßt, und dann halte ich es für gewiß, daß es Euch, die Ihr so schöne Bücher und andere Dinge besitzt, von denen Ihr mir gesagt habt, notwendig gelingen muß.«

»Sprich nur dreist«, entgegnete der Meister. »Ich sehe wohl, du kennst mich noch nicht recht und weißt nicht, wie ich Geheimnisse zu bewahren verstehe. Traun, es waren wenig Dinge, die Messer Gasparruolo da Saliceto unternahm, solange er Richter des Podesta von Forlimpopuli war, die er mich nicht wissen ließ, weil er an mir einen so guten Geheimtuer fand. Und willst du sehen, ob ich dir die Wahrheit sage? Ich war der erste Mensch, dem er sagte, daß er im Begriff stand, die Bergamina zu heiraten. Nun siehst du wohl!«

»Vortrefflich«, sagte Bruno, »wenn der sich Euch anvertraute, so kann ich es wohl auch tun. Der Weg also, den Ihr einschlagen müßt, ist der: Wir haben in unserer Gesellschaft immer einen Hauptmann und zwei Räte, welche alle sechs Monate wechseln, und gewiß wird am nächsten Ersten Buffalmacco Hauptmann werden und ich Rat; denn das ist schon beschlossen. Wer nun Hauptmann ist, der vermag gar viel, um hineinzubringen und aufnehmen zu lassen, wen er will. Darum scheint mir das beste, wenn Ihr Buffalmaccos Vertrauen möglichst zu gewinnen sucht und ihm Ehre erweist. Wenn er sieht, wie weise Ihr seid, wird er Euch sogleich gern haben, und wenn Ihr ihn dann mit Eurem Verstand und mit all den guten Dingen, die Ihr besitzt, ein wenig gewonnen haben werdet, dann könnt Ihr ihn darum bitten, und er wird Euch nicht nein sagen können. Ich habe ihm bereits von Euch gesprochen, und er ist Euch schon jetzt überaus zugetan, und habt Ihr nur erst all das vollbracht, dann laßt nur mich das Weitere mit ihm abmachen.«

Hierauf entgegnete der Meister: »Was du mir sagst, gefällt mir ungemein; und ist er ein Mann, der am Umgang mit verständigen[664] Männern Gefallen findet, und läßt er sich nur ein wenig mit mir ins Gespräch ein, so will ich's schon einrichten, daß er mich immer wieder aufsuchen soll; denn an Geist habe ich so viel übrig, daß ich eine ganze Stadt damit versorgen könnte und doch noch klug genug bliebe.«

Nachdem sie sich also geeinigt hatten, erzählte Bruno dem Buffalmacco alles der Reihe nach. Dieser konnte den Augenblick nicht erwarten, dem Meister Einfalt zu gewähren, was dieser so begierig erstrebte. Der Doktor, der über alle Maßen danach verlangte, mit kursieren zu gehen, ließ nicht locker, bis er Buffalmaccos Freund wurde, was ihm gar leicht gelang. Er fing damit an, ihm die schönsten Abendessen und die herrlichsten Imbisse von der Welt zu geben und dem Bruno mit ihm. Sie aber machten ihm mit ihrem Schwatzen den Kopf ganz verdreht, und während sie sich seine trefflichen Weine, die fetten Kapaune und andere gute Dinge in Menge wohlschmecken ließen, auch stets um ihn her waren und ohne lange Einladungen bei ihm zu Gaste blieben, sagten sie ihm, wie die gnädigen Herren wohl manchmal zu sagen pflegen, immer erneut, daß sie dies mit keinem andern Menschen auf der Welt täten.

Als es dem Doktor an der Zeit schien, trug er, wie Bruno ihm gesagt hatte, dem Buffalmacco endlich sein Begehren vor. Dieser zeigte sich darüber sehr bestürzt und begann Bruno auf das heftigste anzufahren, indem er rief: »Beim Herrgott von Pasignano schwöre ich, ich kann mich kaum zurückhalten, daß ich dir nicht eins auf den Kopf versetze, daß dir die Nase auf die Fersen rutscht, du Verräter, der du bist! Denn niemand anders wie du hat alle diese Dinge dem Meister hier offenbart.« Indes entschuldigte ihn der Doktor lebhaft, schwor und beteuerte, er hätte es von anderer Seite erfahren, und beschwichtigte ihn endlich durch viele weise Reden seiner gewohnten Art.

Buffalmacco aber wandte sich dem Doktor zu und rief: »Lieber Meister, man sieht wohl, daß Ihr in Bologna gewesen seid und einen reinen Mund mit in diese Stadt gebracht habt, ja noch mehr sage ich Euch: man sieht, daß Ihr das Abc nicht an Äpfeln gelernt habt, wie die Dummköpfe zu tun pflegen, sondern an Kürbissen, weil es so lang ist, und irre ich mich[665] nicht, so seid Ihr am Sonntag getauft. Obwohl Bruno mir gesagt hat, daß Ihr dort Medizin studiert habt, so denke ich meinesteils doch, Ihr habt studiert, die Menschen für Euch einzunehmen; denn wahrlich, das versteht Ihr mit Eurem Geist und mit Euren guten Einfällen besser als irgendein Mensch, den ich je gesehen habe.«

Der Doktor schnitt ihm das Wort am Munde ab und sagte, zu Bruno gewandt: »Da sieht man, was es heißt, mit klugen Leuten reden und umgehen. Wer hätte jede Eigentümlichkeit meiner Gesinnung so bald erkannt wie dieser treffliche Mann? Du hast das nicht so bald gemerkt und nicht so schnell wie er gesehen, was ich wert bin. Aber nun sag ihm auch, was ich geantwortet habe, als du mir sagtest, daß Buffalmacco sich im Umgang mit weisen Leuten gefiele! Gibst du zu, daß ich das getan habe, he?« »Und wie!« antwortete Bruno.

Darauf sagte der Doktor zu Buffalmacco: »Noch ganz anders sprächest du, hättest du mich in Bologna gesehen. Da war weder groß noch klein, weder Professor noch Student, der mir nicht so wohlgesonnen gewesen wäre, wie einem nur auf der Welt geschehen kann; so wußte ich alle mit meinen Reden und meinem Geist zu befriedigen. Ja, mehr will ich dir sagen, nie habe ich dort ein Wort gesprochen, das nicht jedermann lachen gemacht hätte, so sehr gefiel es ihnen. Als ich fortging, da vergossen sie alle die bittersten Tränen und verlangten sämtlich, daß ich doch bleiben sollte, ja man ging so weit, daß man mich allein die Vorlesungen über Medizin für alle Studenten halten lassen wollte, wenn ich nur bliebe; allein ich wollte nicht und zog es vor, wieder hierher zu den großen Erbgütern zu kommen, welche ich hier besitze und welche schon immer meinen Vorfahren gehört haben. Und so tat ich denn auch.«

»Was meinst du nun?« sagte Bruno zu Buffalmacco. »Du wolltest mir's nicht glauben, als ich dir's erzählte. Beim Evangelium, es gibt in der ganzen Stadt keinen Doktor, der sich so auf den Eselurin versteht wie dieser hier, und gewiß und wahrhaftig, du findest keinen wie ihn von hier bis vor die Tore von Paris. Geh nun und widersteh ihm einmal, wenn du kannst, und tue nicht, was er will.«

Hierauf entgegnete der Doktor: »Bruno sagt die Wahrheit;[666] doch ich werde hier nicht erkannt. Ihr seid eher Leute von grobem Schlage; aber ich wollte nur, ihr sähet mich unter Doktoren, welchen Platz ich da einnehme.«

»Wahrhaftig, Meister«, erwiderte Buffalmacco, »Ihr versteht die Schliche besser als ich je geglaubt hätte, und darum rede ich zu Euch, wie man zu einem so weisen Manne, wie Ihr es seid, zu reden hat, und sage Euch mit geziemender Konfusion, ich werde Sorge tragen, daß Ihr ohne Fehl in unsere Gesellschaft aufgenommen werden sollt.«

Nach diesem Versprechen verdoppelten sich die Aufmerksamkeiten, welche der Doktor ihnen erwies, und sie ließen ihn in ihrem Übermut dafür den Bock des tollsten Unsinnes von der Welt reiten und versprachen, ihm die Gräfin von Latrinien als Gattin zu verschaffen, welche das schönste Wesen sei, das im ganzen Hinternreich des menschlichen Geschlechts zu finden wäre. Nun fragte der Doktor, wer diese Gräfin sei. »Mein Samengürkchen«, antwortete ihm Buffalmacco, »das ist eine gar große Dame, und wenig Häuser gibt es in der Welt, wo sie nicht etwas zu sagen hätte, von den andern nicht zu reden; selbst die Minoritenbrüder huldigen ihr und bringen ihr Tribut beim Schall der Heerpauken. Auch kann ich Euch sagen: wenn sie einmal umhergeht, weiß sie sich wohl bemerkbar zu machen, wie verschlossen sie auch gehalten werden mag. Noch ist's nicht lange her, daß sie nachts an meiner Tür vorüberging, um sich am Arno die Füße abzuspülen und ein wenig frische Luft zu schöpfen; doch ihre gewöhnliche Wohnung ist im Laterin. Gleichwohl gehen ihre Knechte häufig im Lande umher und tragen als Zeichen ihrer Herrlichkeit das Besenreis und die Bleischnur. Ihre Vasallen sieht man überall, wie zum Beispiel den Herrn Schildwache vom Torweg, Don Häuflein, Herrn von Würstchen, Frau Katharina Schnelle und viele andere, die alle, wie ich glaube, auch Euch befreundet sind, ohne daß Ihr Euch ihrer jetzt erinnert. Einer so vornehmen Dame wollen wir Euch, wenn Ihr Eure Geliebte von Kackenwinkel im Stiche laßt und unsere Pläne uns nicht mißraten, in die holden Arme führen.« Der Doktor, welcher in Bologna erzogen und aufgewachsen war, verstand alle diese Worte nicht und erklärte sich mit dieser Dame vollkommen zufrieden.[667]

Nicht lange nach diesen Geschichten hinterbrachten ihm die beiden Maler, er solle aufgenommen werden. Als nun der Tag erschienen war, an dessen Abend man sich versammeln sollte, lud der Meister beide zum Imbiß zu sich, und nachdem man gespeist hatte, fragte er sie, wie er sich zu benehmen habe, um zu dieser Gesellschaft zu kommen. »Seht, Meister«, sprach Buffalmacco zu ihm, »vor allem müßt Ihr frohen Mutes sein. Denn wäret Ihr nicht sehr sicher und mutig, so könnte die Sache mißraten, und Ihr könntet uns alle in großen Schaden stürzen. Das aber, wobei Ihr vor allem den größten Mut beweisen müßt, sollt Ihr jetzt von mir erfahren. Zuerst müßt Ihr heute abend um die Zeit des ersten Schlafs Euch auf einem jener erhöhten Grabmäler einfinden, die erst vor kurzem außerhalb von Santa Maria Novella aufgerichtet wurden, und zwar in einem Eurer besten Gewänder, damit Ihr zum ersten Mal anständig vor der Gesellschaft erscheint, und auch darum, weil Ihr nach dem, was uns berichtet ist, denn mit angesehen haben wir es nicht, ein Edelmann seid, weshalb die Gräfin Euch auf ihre Kosten zum gebadeten Ritter machen will. Dort müßt Ihr so lange warten, bis derjenige kommen wird, den wir nach Euch senden werden. Und damit Ihr von allem gehörig unterrichtet seid, so wißt, daß Euch ein schwarzes Tier mit Hörnern, jedoch nicht allzu groß, heimsuchen und auf dem Platz vor Euch ein gewaltiges Schnaufen und Umherspringen vollführen wird, um Euch zu erschrecken. Doch wenn es sehen wird, daß Ihr Euch nicht fürchtet, wird es sich langsam Euch nähern; und wenn es neben Euch steht, so steigt nur ohne Furcht von dem Grabmal herunter und setzt Euch getrost darauf, ohne Gott und die Heiligen anzurufen. Habt Ihr Euch darauf zurechtgesetzt, so schlagt die Arme übereinander und legt, ohne das Tier weiter zu berühren, die Hände auf die Brust. Dies wird sich dann langsam in Bewegung setzen und Euch zu uns bringen. Aber gleich jetzt muß ich Euch sagen: wenn Ihr Gott oder die Heiligen anriefet oder Furcht fühltet, dann könnte es Euch leicht abwerfen oder Euch wohin stürzen, so daß Ihr danach übel röchet. Darum, wenn Ihr den Mut nicht fühlt, ganz herzhaft zu bleiben, so kommt lieber gar nicht, denn Ihr würdet Euch nur Schaden bereiten, ohne uns den geringsten Nutzen zu verschaffen.«[668]

Hierauf antwortete der Doktor: »Freunde, ihr kennt mich noch nicht. Vielleicht habt ihr Bedenken, weil ich Handschuhe trage und lange Röcke. Wüßtet ihr aber, was ich in Bologna bei der Nacht, wenn ich zuweilen mit meinen Kameraden auf Weiber ausging, für Geschichten gemacht habe, so stauntet ihr. Gottes Treu, es war einmal eine Nacht, da hab ich eine, die nicht mit uns kommen wollte, solch ein kümmerliches Ding und kaum eine Spanne hoch, nachdem ich ihr erst eine gute Portion Faustschläge gegeben, beim Kragen genommen und sie wohl bald einen Pfeilschuß weit fortgeschleppt, und so habe ich es durchgesetzt, daß sie mitkommen mußte, mochte sie wollen oder nicht. Ein andermal, erinnere ich mich, als niemand bei mir war als einer von meinen Dienern, ging ich abends kurz nach dem Ave-Maria beim Kirchhofe der Minoriten vorüber, wo erst am selben Tag eine Frau begraben worden war, und doch hatte ich keine Furcht. Drum sorgt nicht, denn Zuversicht und Mut habe ich eher allzuviel. Und ich sage euch, um an Anstand nichts fehlen zu lassen, werde ich meinen Scharlachrock anziehen, in dem man mich zum Doktor gemacht hat, und dann sollt ihr sehen, ob die Gesellschaft sich freuen wird, wenn sie mich erblickt, und ob ich nicht mit der Zeit zum Hauptmann ernannt werde. Kurz, ihr werdet schon sehen, wie die Sache läuft, wenn ich nur erst einmal dagewesen bin; hat ja jene Gräfin, ohne mich noch gesehen zu haben, sich doch schon so in mich verliebt, daß sie mich zum gebadeten Ritter machen will. Vielleicht wird mir die Ritterschaft schlecht stehen, und ich werde sie schlecht zu behaupten wissen, vielleicht aber auch umgekehrt. Drum laßt mich nur machen.«

»Ihr habt vollkommen recht«, sagte Buffalmacco hierauf. »Aber hütet Euch nur, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen, indem Ihr etwa nicht kämt oder nicht gefunden würdet, wenn wir nach Euch schicken. Und dies sage ich darum, weil es kalt ist und ihr Herren Ärzte euch gewöhnlich vor der Kälte sehr in acht nehmt.« »Gott bewahre«, sagte der Doktor hierauf. »Ich gehöre ganz und gar nicht zu den Frostigen und mache mir nichts aus der Kälte. Selten geschieht es, wenn ich nachts um der Notdurft willen aufstehen muß, wie es einem jeden bisweilen begegnet, daß ich mir mehr als meinen Pelz[669] über das Wams werfe; und darum seid unbesorgt, ich werde gewiß zur Stelle sein.«

Damit schieden sie, und als es Nacht zu werden begann, brachte der Doktor zu Hause bei seiner Frau allerhand Ausreden vor, suchte heimlich seinen Scharlachrock hervor, zog ihn an, als es ihm an der Zeit schien, und stieg dann auf eines jener Grabmäler. Da die Kälte groß war, kauerte er sich auf dem Marmor zusammen und fing an, das Kommen des Untiers zu erwarten. Buffalmacco, der groß und kräftig von Gestalt war, hatte sich indes eine jener Masken besorgen lassen, die man bei gewissen, jetzt aus der Übung gekommenen öffentlichen Spielen zu gebrauchen pflegte, und warf sich dann einen schwarzen Pelz über, die Haare nach außen gekehrt, so daß er aussah wie ein Bär, nur daß er einen Teufelskopf mit Hörnern hatte. So angetan, begab er sich, um zu sehen, wie die Sache ablaufen würde, nach dem neuen Platz von Santa Maria Novella, und Bruno folgte ihm in geringer Entfernung. Sobald er gewahrte, daß der Herr Meister dort war, fing er an, Sprünge zu machen und ein gewaltiges Lärmen auf dem Platz zu erheben, zu prusten, zu heulen und zu schnaufen, als wenn er besessen wäre. Als der Doktor dies hörte und sah, stellte sich ihm jedes Haar auf dem Leibe zu Berg, und er fing zu zittern an, wie er denn in der Tat feiger und furchtsamer war als ein Weib; und in jenem Augenblick hätte er sich lieber zu Hause gesehen als an jener Stelle. Nichtsdestoweniger nahm er sich zusammen, weil er doch einmal gekommen war, und zwang sich zu einigem Mut; so sehr trieb ihn das Verlangen, die Wunder zu schauen, von denen jene ihm erzählt hatten.

Nachdem Buffalmacco noch eine Zeitlang in jener Weise fortgewütet hatte, stellte er sich, als würde er ruhiger, näherte sich dem Grabmal, auf welchem der Doktor saß, und blieb stehen. Der Meister zitterte vor Furcht und wußte nicht, was er beginnen sollte, ob aufsteigen oder davonbleiben. Da er jedoch zu fürchten anfing, daß ihm das Ungetüm etwas zuleide tun möchte, wenn er nicht aufstiege, verscheuchte er endlich die erste Furcht durch die zweite und verließ das Grabmal, indem er leise sprach: »Gott steh mir bei!« Dann stieg er auf, setzte sich wohl zurecht und legte, am ganzen Leibe zitternd,[670] die Hände auf der Brust zusammen, wie ihm befohlen worden war.

Nun fing Buffalmacco an, sich leise nach Santa Maria della Scala hinzuwenden, und trug ihn, immer auf allen vieren kriechend, bis nahe zu den Nonnen von Ripole. Um jene Zeit aber befanden sich in dieser Gegend Gruben, in welche die Besitzer der benachbarten Felder die »Gräfin von Latrinien« ausschütten ließen, um damit ihr Land zu düngen. Als Buffalmacco zu diesen Gruben gelangt war, näherte er sich dem Rande einer Grube, ergriff mit der einen Hand im rechten Augenblick einen Fuß des Doktors, riß ihn herab und schleuderte ihn richtig kopfüber in die Grube, indem er zugleich laut zu knurren, zu springen und zu toben anfing und dann vor Santa Maria della Scala vorüber nach Prato d'Ognissanti eilte, wo er Bruno fand, der geflohen war, weil er das Lachen nicht länger hatte halten können. Beide freuten sich nun des gelungenen Spaßes und stellten sich von ferne auf die Lauer, um zu sehen, was der eingeteigte Doktor jetzt begänne.

Als dieser gewahr ward, an welchem abscheulichen Ort er sich befand, strebte er, sich wieder aufzurichten und emporzuarbeiten, um herauszukommen. Doch erst nachdem er bald hier, bald dort wieder hingefallen, von Kopf bis Fuß ganz eingeteigt war und etliche Drachmen dabei geschluckt hatte, gelangte er jammernd und wutentbrannt wieder hinaus, wobei er seinen Mantelkragen zurückließ. Nun schabte er sich mit den Händen den Teig ab, so gut es gehen wollte, und kehrte, da er nichts anderes anzufangen wußte, nach Hause zurück, wo er so lange klopfte, bis ihm aufgemacht ward.

Doch kaum war er so stinkend eingetreten und die Tür hinter ihm geschlossen, als auch Bruno und Buffalmacco zur Stelle waren, um zu hören, wie der Meister von seiner Frau empfangen würde. Während sie nun lauschten, vernahmen sie die Frau die schrecklichsten Schimpfreden, die je dem ärgsten Schurken gesagt wurden, gegen ihn ausstoßen. »Ha«, rief sie, »wie recht ist dir geschehen! Gewiß warst du zu irgendeinem Weibsbild gegangen und wolltest in deinem Scharlachrock recht stattlich vor ihr erscheinen. Genügte ich dir etwa nicht? Mein Schatz, einem ganzen Volke könnte ich genügen, geschweige denn dir![671] O hätten sie dich nur drin ersäuft, als sie dich dort hineinwarfen, wohin du mit Recht gehörst! Ei, seht mir doch den ehrenwerten Doktor! Eine Frau zu haben und nachts auf fremde Weiber ausgehen!«

Mit solchen und ähnlichen Redensarten hörte sie bis Mitternacht nicht auf, ihn zu quälen, während der Doktor sich über und über waschen und reinigen ließ.

Nachdem Bruno und Buffalmacco sich am folgenden Morgen die Haut unter den Kleidern allerwegs mit blauen Striemen bemalt hatten, wie Püffe und Schläge sie zu bewirken pflegen, begaben sie sich ins Haus des Doktors, den sie schon aufgestanden antrafen. Als sie bei ihm eintraten, stank ihnen alles entgegen, denn noch hatte man ihn nicht so vollständig reinigen können, daß es nicht fortwährend gerochen hätte. Der Doktor nun hörte sie kommen, ging ihnen entgegen und bot ihnen einen guten Tag. Doch Bruno und Buffalmacco erwiderten ihm, wie sie untereinander verabredet hatten, mit zornigem Gesicht: »Den geben wir Euch nicht zurück! Im Gegenteil bitten wir den Himmel, daß er Euch als dem treulosesten und abscheulichsten Verräter, der lebt, so viel arge Zeit schicke, daß Ihr eines üblen Todes sterbet. Wahrlich, an Euch hat es nicht gelegen, daß wir, die wir uns bemühten, Euch Ehre und Freude zu verschaffen, nicht gleich Hunden totgeschlagen sind. Eurer Treulosigkeit wegen haben wir diese Nacht so viele Stöße und Püffe bekommen, daß mit wenigeren ein Esel von hier bis Rom zu treiben wäre, abgesehen davon, daß wir in Gefahr schwebten, aus der Gesellschaft gestoßen zu werden, in welche wir Euch hatten aufnehmen lassen wollen. Und glaubt Ihr uns nicht, so seht hier unsere Haut, wie sie aussieht.« Und nun öffneten sie im Zwielicht ihre Kleider und zeigten ihm ihre bemalte Brust, knöpften aber gleich wieder zu.

Der Doktor wollte sich entschuldigen und von seinem Mißgeschick erzählen und wie und wo er abgeworfen worden sei. Aber Buffalmacco sprach: »Ich wollte, das Tier hätte Euch von der Brücke in den Arno geworfen! Warum mußtet Ihr auch Gott anrufen oder die Heiligen? War es Euch nicht vorhergesagt worden?« »So wahr Gott lebt«, sprach der Doktor, »ich habe dergleichen nicht angerufen.« »Wie«, rief Buffalmacco,[672] »Ihr hättet nicht? Freilich, Ihr werdet Euch nicht erinnern, denn unser Bote hat uns wohl berichtet, daß Ihr am ganzen Leib gezittert habt wie Espenlaub und nicht gewußt habt, wo Ihr waret. Ihr habt es schon recht gemacht, das mag sein; aber kein Mensch soll uns mehr solch einen Streich spielen, und Euch wollen wir schon noch die Ehre erweisen, die Euch dafür gebührt.«

Darauf begann der Doktor sie um Vergebung zu bitten und sie bei Gott zu beschwören, sie möchten ihn nicht in Schande bringen, und suchte mit den schönsten Worten, die er nur wußte, sie zu beschwichtigen. Vor Furcht aber, daß sie seine Schmach weiterverbreiten könnten, fing er an, wenn er sie schon vorher geehrt hatte, sie durch Einladungen und auf andere Weise noch viel mehr zu ehren und wertzuhalten.

So also, wie ihr eben gehört habt, macht man diejenigen klug, die dies in Bologna noch nicht gelernt haben.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 655-673.
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