Siebente Geschichte

[725] Talano di Molese träumt, daß ein Wolf die Kehle und das Gesicht seiner Frau zerfleische, und rät ihr, sich in acht zu nehmen. Sie tut es nicht, und das Geträumte widerfährt ihr.


Als die Erzählung Panfilos zu Ende gegangen und die List der Frau von allen sehr gelobt worden war, befahl die Königin der Pampinea, nun ihre Geschichte zu erzählen. Diese begann daher:

Schon früher, anmutige Mädchen, haben wir unter uns von der Zuverlässigkeit der Träume gesprochen, welche viele verlachen. Darum will ich, wiewohl schon davon erzählt worden ist, doch nicht unterlassen, euch in einer ziemlich kurzen Geschichte mitzuteilen, wie es einer meiner Nachbarinnen vor noch nicht langer Zeit erging, weil sie einem sie betreffenden Traum ihres Gatten keinen Glauben schenken wollte.

Ich weiß nicht, ob ihr hier einen gewissen Talano di Molese, einen achtbaren Mann, gekannt habt. Dieser hatte ein junges und ungewöhnlich schönes Mädchen, namens Margarita, zur Frau genommen. Margarita war jedoch so überaus eigensinnig, unfreundlich und widerspenstig, daß sie nichts so machen wollte, wie andere es wünschten, daß aber auch kein anderer ihr etwas recht zu machen wußte. Dies war für Talano oft[725] sehr schwer zu ertragen; allein, da er es nicht ändern konnte, so duldete er es.

Nun begab es sich in einer Nacht, während Talano mit seiner Margarita auf einer seiner Besitzungen in der Umgegend verweilte, daß er, schlafend und träumend, seine Frau durch ein schönes Gehölz wandeln sah, welches sie nicht weit von ihrem Hause entfernt besaßen. Und indem sie so wandelte, schien es ihm, als käme von der einen Seite des Waldes ein großer und fürchterlicher Wolf daher, welcher sie beim Halse packte und zur Erde niederriß. Während sie um Hilfe schrie, bemühte sich der Wolf, sie fortzuschleppen. Endlich entrann sie seinem Rachen, jedoch so, daß Hals und Gesicht ganz zerfleischt schienen.

Am Morgen darauf sagte Talano, als sie aufstanden, zur Margarita: »Frau, wenngleich deine Widerspenstigkeit mich nie einen frohen Tag mit dir hat genießen lassen, so sollte es mir doch leid tun, wenn dir ein Unglück zustieße. Darum folge meinem Rat und geh heute nicht aus dem Hause.« Und als sie ihn nun nach dem Warum fragte, erzählte er ihr ausführlich seinen Traum. Die Frau schüttelte den Kopf und sprach: »Wer dir übel will, träumt Übles von dir. Du tust sehr besorgt um mich, doch du träumst nur von mir, was du wünschest, daß mir geschehen möge. Aber wahrhaftig, ich werde mich wohl in acht neh men, heute und alle Zeit, dich weder durch dieses noch durch ein anderes Unglück zu erfreuen.« »Ich wußte wohl«, entgegnete Talano hierauf, »daß du so sprächest; denn das ist der Dank, den man gewinnt, wenn man einem den Grind kämmt. Aber glaube, was du willst, ich sage es in guter Absicht, und ich rate dir nochmals, heute zu Hause zu bleiben oder wenigstens nicht in unser Gehölz zu gehen.« »Gut«, sagte die Frau, »ich will es tun.«

Danach aber sprach sie zu sich selbst: »Hast du gesehen, wie dieser Mann mir hinterlistigerweise Furcht eingejagt zu haben glaubt, daß ich heute nicht in unser Gehölz gehen soll? Gewiß hat er dort irgendeiner schlechten Dirne ein Stelldichein gegeben und will nun nicht, daß ich ihn dabei überrasche. Freilich, wer mit Blinden zu Tische sitzt, kann sich die besten Bissen suchen, aber ich müßte sehr töricht sein, wenn ich ihn[726] nicht kennte und ihm glauben wollte. Gewiß, das soll ihm nicht gelingen, und sollte ich auch den ganzen Tag draußen warten, so muß ich doch sehen, was für einen Handel er heute vorhat.«

Als sie sich dies vorgenommen und der Mann auf der einen Seite das Haus verlassen hatte, ging sie auf der andern hinaus und eilte, so heimlich sie konnte, ohne Aufschub nach dem Gehölze hin, verbarg sich an der dichtesten Stelle, die darin zu finden war, und horchte und spähte nach allen Seiten umher, ob sie irgend jemand kommen sähe. Während sie auf diese Weise, ohne an einen Wolf auch nur zu denken, lauerte, brach dicht neben ihr aus dem Dickicht ein großer, entsetzlicher Wolf hervor, und nachdem sie ihn gesehen hatte, blieb ihr kaum noch Zeit, »Herr, steh mir bei!« zu rufen, als der Wolf ihr auch schon an den Hals sprang, sie heftig faßte und hinwegzuschleppen anfing, als wäre sie ein kleines Lamm gewesen. Sie konnte weder schreien, so fest hatte er sie gefaßt, noch sich auf eine andere Art helfen, und so hätte sie der Wolf, der sie davontrug, ohne Zweifel erwürgt, wäre er nicht auf einige Hirten gestoßen, die ihn anschrien und nötigten, sie fallen zu lassen.

Die Unglückliche wurde von den Hirten erkannt und nach Hause getragen. Nach langer Bemühung konnten die Ärzte sie zwar heilen, jedoch nicht anders, als daß ihr der ganze Hals und ein Teil des Gesichts von Narben entstellt blieb, so daß sie, die vorher für schön gegolten hatte, von dieser Zeit an immer widerwärtig und mißgestaltet aussah. Daher scheute sie sich denn zu erscheinen, wo sie irgend gesehen werden konnte, und beweinte nun oft und bitter ihre Widerspenstigkeit und bereute, daß sie dem, was sie nichts kostete, dem wahrhaftigen Traum ihres Mannes, nicht hatte glauben wollen.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 725-727.
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