Neunte Geschichte

[731] Zwei junge Männer fragen Salomo um Rat, der eine, wie er geliebt werden, der andere, wie er seine widerspenstige Frau bessern könne. Dem ersten antwortet er, er solle lieben, dem zweiten, er solle zur Gänsebrücke gehen.


Wenn die Königin dem Dioneo sein Vorrecht erhalten wollte, blieb niemand mehr als sie selbst zum Erzählen übrig. Nachdem nun die Damen noch viel über den unglücklichen Biondello gelacht hatten, fing sie heiter folgendermaßen zu reden an:

Liebenswürdige Mädchen, wenn wir mit gesundem Sinn die Ordnung der Dinge überdenken, so werden wir leicht einsehen, daß alle Frauen durch Natur, Sitte und Gesetz den Männern unterworfen sind und nach deren Gutbefinden sich zu betragen und einzurichten haben, so daß jede, die Ruhe, Freude und Zufriedenheit mit dem Manne genießen will, dem sie angehört, ihm unterwürfig, duldsam und ergeben sein muß; von ihrer Ehrbarkeit zu schweigen, welche der höchste und besondere Schatz jeder verständigen Frau ist. Wenn uns hierzu nicht schon die Gesetze, die das gemeine Wohl in allen Dingen berücksichtigen, sowie das Herkommen und die Sitte anleiteten, deren Macht überaus groß und ehrwürdig ist, so zeigte es uns die Natur deutlich genug, die uns zart und hinfällig an Körper, schüchtern und furchtsam an Geist gebildet hat, uns geringe Körperkräfte, eine gefällige Stimme und sanfte Bewegungen der Glieder verlieh; lauter Dinge, welche bezeugen, wie sehr wir fremder Lenkung bedürfen.

Wer aber fremder Hilfe und Leitung bedarf, dem befiehlt die Vernunft unbedingt, daß er seinem Lenker gehorsam, unterwürfig und ergeben sei. Und wen anders haben wir zu Helfern und Lenkern als die Männer? So ist es denn Pflicht für uns, die Männer hoch zu ehren und uns ihnen zu unterwerfen, und die Frau, die davon abweicht, halte ich nicht allein schweren Tadels, sondern auch strenger Züchtigung würdig.

Zu dieser Betrachtung, wiewohl ich sie auch sonst schon angestellt habe, führte mich eben vorhin zurück, was Pampinea von der widerspenstigen Frau des Talano uns erzählte, welcher[732] Gott die Züchtigung schickte, die ihr Mann ihr nicht zu geben wußte. Deshalb sind meiner Meinung nach, wie schon gesagt, alle die einer rauhen und strengen Strafe würdig, welche sich davon entfernen, freundlich, wohlwollend und fügsam zu sein, wie die Natur, die Sitte und das Gesetz es verlangen.

Darum gefällt es mir denn, euch von einem Rate zu erzählen, den Salomo einst erteilt hat und der als eine nützliche Arznei dienen kann, um alle, die so beschaffen sind wie jene, von denen ich eben sprach, von solchem Übel zu heilen. Keine aber, die diese Arznei nicht braucht, möge sich getroffen fühlen, obwohl die Männer ein Sprichwort haben, welches besagt: Ein gutes Roß braucht ebenso die Sporen wie ein schlechtes, und ein gutes Weib hat den Stock ebenso nötig wie ein schlechtes. Wer dieses Wort scherzhaft erklären wollte, dem geständen alle Frauen gern zu, daß es wahr ist. Aber selbst ernstgemeint behaupte ich, daß es zutrifft. Denn alle Frauen sind von Natur schwach und leicht zu überreden, und darum bedarf es des Stockes, um die Schlechtigkeit derer zu strafen, die zu weit über die ihnen angewiesenen Grenzen hinausschweifen, auf der andern Seite aber bedarf es ebenso des Stockes, um die Tugend derer zu unterstützen, die sich nicht hinreißen lassen, und um sie zu schrecken. Doch lassen wir jetzt das Predigen und kommen wir zu dem, was ich im Sinn habe, euch zu erzählen.

Ich sage euch also, daß zu der Zeit, als schon die ganze Welt erfüllt war von dem hohen Ruhme der wunderbaren Weisheit Salomos und von dem Ruf, daß er diese Weisheit jedermann freigebig zeigte, der aus eigener Erfahrung Gewißheit darüber erlangen wollte, gar viele Menschen aus allen Weltgegenden zusammenströmten, um in dringenden und wichtigen Fällen seinen Rat zu erbitten.

Unter andern nun, die aus solchem Grunde zu ihm wanderten, reiste auch ein junger Mann, der Melissus hieß und ein edler und sehr reicher Herr war, aus der Stadt Lajazzo, wo er gebürtig war und wohnte, dahin. Auf dem Wege nach Jerusalem, eben als er Antiochia verließ, traf es sich, daß er mit einem andern Jüngling namens Joseph, der denselben Weg machte, eine Strecke weit zusammen ritt und, wie es unter Reisenden Sitte ist, mit ihm in ein Gespräch geriet.[733]

Nachdem Melissus schon von Josephs Stand und Heimat erfahren hatte, fragte er ihn auch, wohin er ginge und in welcher Absicht. Joseph erwiderte ihm, er reise zu Salomo, um von ihm einen Rat zu erbitten, wie er sich gegen seine Frau verhalten solle, die mehr als irgendeine andere widerspenstig und bösartig sei und die er weder durch Bitten noch durch Schmeicheleien noch sonstwie von ihrer Halsstarrigkeit abzubringen vermöge. Dann fragte er ihn gleichermaßen, woher er wäre, wohin er reise und zu welchem Zweck, und Melissus antwortete ihm: »Ich bin aus Lajazzo, und so wie du deinen Kummer hast, so habe ich auch den meinigen. Ich bin ein reicher junger Mann und verwende das Meinige, um offene Tafel zu halten und meinen Mitbürgern Ehre zu erweisen. Dennoch, wie seltsam und wunderbar zu denken dies auch ist, kann ich bei alledem niemand finden, der mir wohlwill. Darum gehe ich auch dahin, wohin du gehst, um einen Rat zu erhalten, wie ich es machen soll, um geliebt zu werden.«

Nun reisten die beiden Gefährten zusammen weiter, gelangten endlich nach Jerusalem und wurden durch einen der Großen Salomos bei ihm eingeführt. Melissus trug ihm kurz sein Anliegen vor, und Salomo antwortete ihm: »Liebe!« Dann wurde Melissus sogleich hinausgeführt, und Joseph trug nun vor, weshalb er gekommen. Salomo antwortete ihm nur: »Geh zur Gänsebrücke.« Als er dies gesagt hatte, wurde Joseph gleichfalls ohne Säumen aus der Gegenwart des Königs entfernt, worauf er dem Melissus, der draußen wartete, erzählte, was er für eine Antwort bekommen hatte. Sie überlegten diese Worte zusammen, und da sie weder Sinn noch irgendeine Ausbeute für ihren Zweck darin zu entdecken vermochten, glaubten sie sich verhöhnt und machten sich zusammen auf den Heimweg.

Nachdem sie einige Tage gereist waren, gelangten sie an einen Fluß, über den eine schöne Brücke führte, und weil gerade eine große Karawane mit beladenen Maultieren und Saumrossen darüber hinzog, mußte sie so lange warten, bis diese hinüber waren. Als nun die Tiere schon fast alle über die Brücke gegangen waren, sahen sie noch ein Maultier, welches scheute, wie wir diese Tiere häufig tun sehen, und auf keine[734] Weise vorwärts wollte. Deshalb griff denn der Treiber zu einem Stecken und fing an, das Tier zuerst ganz mäßig zu schlagen, damit es hinüberginge. Aber das Maultier sprang bald nach dieser, bald nach jener Seite des Weges in die Quere, ging bisweilen sogar rückwärts und wollte auf keine Art hinüber. Unmäßig erzürnt, fing der Treiber nun an, es mit dem Stock auf das unbarmherzigste bald auf den Kopf, bald auf die Seiten und bald auf den Rücken zu schlagen, doch all das half nichts.

Melissus und Joseph, die dies mit ansahen, riefen daher dem Treiber wiederholt zu: »Du Unmensch, was machst du? Willst du das Tier totschlagen? Warum bemühst du dich nicht, es sanft und leise vorwärts zu führen? Es folgte dir eher, als wenn du es so schlägst, wie du tust.« Doch der Treiber antwortete ihnen: »Ihr kennt eure Pferde, und ich kenne mein Maultier, darum laßt mich nur mit ihm machen.« Damit fing er von neuem an, es zu schlagen, und so viel Hiebe versetzte er ihm bald von der einen, bald von der andern Seite, daß das Tier endlich vorwärts ging und der Maultiertreiber seinen Willen durchsetzte.

Als nun die beiden jungen Männer im Begriff standen, weiterzureisen, fragte Joseph einen guten Mann, der am Ende der Brücke saß, wie dieser Ort heiße. Der gute Mann antwortete ihm: »Herr, dies hier heißt die Gänsebrücke.« Als Joseph dies hörte, erinnerte er sich der Worte Salomos und sprach zu Melissus: »Nun sage ich dir, Geselle, daß der Rat, den mir Salomo gab, doch wohl gut und richtig sein könnte; denn ich erkenne jetzt deutlich, daß ich mein Weib nur nicht gehörig zu prügeln verstand. Doch dieser Maultiertreiber hat mir gezeigt, was ich zu tun habe.«

Einige Tage darauf gelangten sie nach Antiochia, und Joseph behielt den Melissus bei sich, damit er sich etliche Tage ausruhe. Joseph, den seine Frau nicht eben zärtlich empfangen hatte, gebot ihr, das Abendessen so zu besorgen, wie Melissus es angäbe. Als dieser sah, daß Joseph es so wünschte, tat er dies mit wenigen Worten. Die Frau aber machte, wie sie von altersher gewohnt war, nicht das, was Melissus bestellt hatte, sondern fast genau das Gegenteil davon. Als Joseph[735] dies sah, sprach er zornig: »War es dir nicht gesagt worden, auf welche Art du dieses Abendessen herrichten solltest?« Die Frau aber wandte sich hochmütig um und sagte: »Was soll das bedeuten? Warum ißt du nicht, wenn du essen willst? Wurde es mir anders aufgetragen, so gefiel es mir, die Mahlzeit so zu bestellen. Ist dir das genehm, so ist es mir recht, wo nicht, so laß es bleiben.«

Über diese Antwort der Frau wunderte sich Melissus und tadelte sie heftig. Joseph aber sprach, als er dies hörte: »Weib, du bist noch immer, wie du zu sein pflegtest. Aber glaube mir, ich werde dich anders machen.« Dann fügte er, zu Melissus gewandt, hinzu: »Freund, jetzt werden wir sehen, welcher Art Salomos Rat war. Ich bitte dich nur, es dir nicht leid sein zu lassen und für ein Spiel zu halten, was ich tue. Und damit du mich nicht darin hinderst, so erinnere dich der Antwort, die uns der Maultiertreiber gab, als uns sein Tier leid tat.« »Ich befinde mich in deinem Hause«, antwortete Melissus, »und bin nicht willens, deiner Gesinnung zuwider zu sein.«

Nun holte Joseph einen runden Stock von einem jungen Eichenstämmchen, ging in die Kammer, wohin die Frau, die aus Ingrimm vom Tisch aufgestanden war, sich brummend begeben hatte, packte sie bei den Zöpfen, warf sie nieder und fing an, sie heftig mit seinem Stock zu schlagen. Zuerst schrie sie, dann fing sie an zu drohen; als sie aber sah, daß Joseph darum nicht aufhörte, fing sie, schon ganz zerschlagen, ihn bei Gott um Gnade zu bitten an, daß er sie nicht totschlüge, und beteuerte dabei, daß sie sich nie mehr von seinem Willen entfernen wolle. Doch darum hörte Joseph noch immer nicht auf, sondern schlug sie mit jedem Hiebe immer heftiger, bald auf die Seite, bald auf die Hüften, bald auf die Schultern, als wollte er ihr alle Nähte festklopfen, und ließ nicht eher nach, als bis er müde war. Kurzum, die gute Frau behielt keinen Knochen und kein Fleckchen am Leibe, das er ihr nicht ganz mürbe geschlagen hätte.

Als er fertig war, kehrte er zu Melissus zurück und sprach: »Morgen wollen wir sehen, wie sich der Ausspruch ›Geh zur Gänsebrücke‹ erprobt haben wird.« Dann erholte er sich etwas, wusch sich die Hände und speiste mit Melissus, worauf sie, als[736] es ihnen Zeit schien, zur Ruhe gingen. Die arme Frau aber erhob sich mit großer Mühe von der Erde und warf sich auf das Bett, von wo sie nach einer kurzen, durch die Schmerzen gestörten Nachtruhe sehr zeitig aufstand und den Joseph fragen ließ, welchen Imbiß er bereitet haben wolle. Gemeinsam mit Melissus lachte er über soviel Dienstfertigkeit und traf die begehrten Anordnungen, und als sie danach zur gehörigen Zeit von ihrem Gange heimkehrten, fanden sie alles aufs beste und ganz nach dem gegebenen Befehl angerichtet, weshalb sie denn Salomos Rat, den sie beide zuerst schlecht verstanden hatten, auf das höchste lobten.

Einige Tage später trennte Melissus sich von Joseph, kehrte in seine Heimat zurück und teilte einem weisen Manne seiner Bekanntschaft mit, was er von Salomo für einen Rat erhalten hatte. Dieser antwortete ihm: »Keinen wahreren und besseren Rat konnte er dir geben. Du weißt, daß du niemanden liebst, und die Ehren und Dienste, welche du den Leuten erweist, hast du ihnen nicht aus Liebe, sondern aus Prunksucht erwiesen. Liebe daher, wie Salomo dir gesagt hat, und du wirst wieder geliebt werden.«

So also wurde die widerspenstige Frau gebessert, und der junge Mann wurde geliebt, sobald er selbst liebte.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 731-737.
Lizenz:
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