Erste Geschichte

[748] Ein Ritter hat dem König von Spanien gedient und glaubt, dafür schlecht belohnt worden zu sein, weshalb der König ihm durch eine sichere Probe beweist, daß dies nicht seine, sondern seines widrigen Geschickes Schuld ist, und ihn hierauf reichlich beschenkt.


Für eine große Gunst, ihr ehrenwerten Mädchen, muß ich es halten, daß unser König befohlen hat, bei einem so wichtigen Gegenstande, wie es das Erzählen großmütiger Handlungen ist, den Anfang zu machen. Denn wie die Sonne Schmuck und Schönheit des ganzen Himmels ist, so ist die Großmut der Glanz und das Licht jeder andern Tugend. Ich werde euch daher eine, wie mir scheint, ganz gefällige kleine Geschichte darüber erzählen, die zu hören nicht anders als nützlich sein kann.

Ihr müßt also wissen, daß unter den andern tapfern Rittern, welche von langer Zeit her in unserer Stadt gewesen sind, einer und vielleicht der allerehrenwerteste Herr Ruggieri de' Figiovanni war, ein reicher und hochherziger Mann, der einsah, daß er bei der Lebensweise und den Bräuchen in der Toskana, wenn er hierbliebe, wenig oder gar nicht seinen Mut beweisen könnte. Daher faßte er den Entschluß, eine Zeitlang zu König Alfons von Spanien zu gehen, dessen Tatenruhm zu dieser Zeit den aller andern Herren überragte. Wohl ausgerüstet mit Waffen, Rossen und Gefolge begab er sich daher zu ihm nach Spanien und wurde vom König freundlich aufgenommen. Hier verweilte nun Herr Ruggieri und ließ durch seine glänzende Lebensweise und seine wundersamen Waffentaten bald erkennen, daß er ein würdiger Ritter war.

Nachdem er aber schon geraume Zeit hier verweilt hatte und sorgfältig auf das Verhalten des Königs achtete, dünkte es ihn, daß derselbe ziemlich wahllos bald diesem und bald jenem Schlösser, Städte oder Herrschaften schenkte, indem er solche an Menschen gab, die ihrer nicht wert waren. Und weil der König ihm selbst, der sich für das hielt, was er wirklich war, nichts schenkte, so meinte er, daß sein Ruhm darunter leiden könne, entschloß sich, wieder fortzugehen, und bat daher den[748] König um seinen Urlaub. Der König bewilligte ihm diesen und schenkte ihm eins der besten und schönsten Maultiere, das vielleicht je geritten wurde, welches bei der langen Reise, die er zu machen hatte, Herrn Ruggieri gar willkommen war. Als dies geschehen war, trug der König einem verständigen Diener auf, er solle sich auf die Art, die ihm die beste scheine, so einrichten, daß er mit Herrn Ruggieri reise, jedoch ohne daß dieser merke, daß er vom König geschickt sei. Unterwegs aber solle er sich alles einprägen, was jener von ihm sage, damit er es ihm berichten könne, und ihm am nächsten Morgen gebieten, zum König zurückzukehren. Der Diener hatte acht darauf, und als Ruggieri die Stadt verließ, schloß er sich ihm vorsichtig an, indem er tat, als reise auch er nach Italien.

Herr Ruggieri ritt auf dem Maultier, das der König ihm geschenkt hatte, und so, von diesem und jenem redend, sagte er, als es etwa um die dritte Morgenstunde war: »Ich meine, es sei wohlgetan, unseren Tieren Stallung zu geben.« Als sie nun in den Stall traten, stallten alle andern Tiere, nur Ruggieris Maultier nicht. Indem sie darauf weiterritten, wobei der Knappe immer noch aufmerksam auf jedes Wort des Ritters war, gelangten sie an einen Fluß, und wie sie die Tiere tränkten, tauchte das Maultier in den Fluß. Als Herr Ruggieri dies sah, rief er: »Strafe dich Gott, du Vieh! Du bist gerade wie dein Herr, der dich mir schenkte.« Der Diener fing dieses Wort auf, und wiewohl er noch viele andere Worte sammelte, während er so den ganzen Tag mit ihm ritt, so war doch keines darunter, das nicht zum höchsten Lob des Königs gewesen wäre.

Als sie daher am nächsten Morgen zu Pferd stiegen, um weiter nach Toskana zu reisen, richtete ihm der Diener den Befehl des Königs aus, worauf Herr Ruggieri sogleich umkehrte. Der König hatte bereits erfahren, was er von dem Maultier gesagt hatte, ließ ihn zu sich kommen, empfing ihn mit freundlichem Gesicht und fragte ihn, warum er ihn mit seinem Maultier oder das Maultier mit ihm verglichen habe. Herr Ruggieri antwortete ihm mit freier Stirn: »Mein Gebieter, darum verglich ich es mit Euch, weil Ihr schenkt, wo es sich nicht ziemt, und nicht schenkt, wo es am Platze wäre, so wie das[749] Maultier nicht stallte, wo der Ort dafür war, sondern dort, wo es wenig angebracht war.«

Nun sprach der König: »Herr Ruggieri, daß ich Euch nicht beschenkt habe wie so viele andere, die mit Euch verglichen nichts wert sind, geschah nicht deshalb, weil ich Euch nicht für einen gar wackeren Ritter, der jedes Geschenkes wert wäre, erkannt hätte. Euer schlechtes Glück, das mir nicht gestattet hat, Euch gebührend zu beschenken, trägt die Schuld daran, nicht ich. Und daß ich die Wahrheit sage, will ich Euch sogleich handgreiflich beweisen.« »Herr«, entgegnete ihm Ruggieri, »ich härme mich nicht darüber, keine Gabe von Euch empfangen zu haben, weil ich dergleichen nicht begehrt habe, um mich dadurch zu bereichern, sondern nur darüber, daß Ihr mir auf keine Art ein Zeugnis für meine Verdienste gegeben habt. Nichtsdestoweniger halte ich Eure Entschuldigung für gut und ehrenhaft und bin bereit zu sehen, was Euch beliebt, wiewohl ich Euch auch ohne Zeugnis glaube.«

Nun führte ihn der König in einen großen Saal, wo, wie er vorher angeordnet hatte, zwei große verschlossene Truhen standen, und sagte in Gegenwart vieler Herren zu ihm: »Herr Ruggieri, in einer dieser Truhen sind meine Krone, mein königliches Zepter und der Reichsapfel, sowie viel schöne goldene Gürtel, Schlösser, Ringe und kostbare Edelsteine, soviel ich ihrer besitze. Die andere ist mit Erde gefüllt. Wählt nun eine davon, und die Ihr nehmt, die sei Euer. Ihr werdet dann sehen, wer gegen Euer Verdienst ungerecht gewesen ist, ich oder Euer Glück.«

Als Herr Ruggieri sah, daß es dem König so gefiel, wählte er eine der Truhen. Der König befahl, sie zu öffnen, und man fand, daß es die mit Erde gefüllte war. Lächelnd sagte der König nun: »Jetzt, Herr Ruggieri, könnt Ihr sehen, daß es wahr ist, was ich von Eurem Glück sagte. Doch fürwahr, Eure Trefflichkeit verdient es, daß ich mich seiner Macht widersetze. Ich weiß, daß Ihr nicht willens seid, ein Spanier zu werden, und darum will ich Euch hier weder Schlösser noch Städte schenken, sondern jene Truhe, die das Glück Euch entzog. Diese soll, ihm zum Trotz, Euer sein, damit Ihr sie in Euer Vaterland mitnehmen und Euch mit dem Zeugnis meiner Gaben gebührend vor Euren Landsleuten Eurer Verdienste rühmen könnt.«[750]

Herr Ruggieri nahm die Truhe, sagte dem König den Dank, der einem solchen Geschenk entsprach, und kehrte dann fröhlich mit ihr nach Toskana heim.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 748-751.
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