Wollust

[26] Nach Shakespeare's 129. Sonett.


In wüster Schmach Vergeudung heil'ger Glut

ist Wollust, wenn sie praßt, – und leergepraßt

bricht Schwüre sie, verleumdet, lästert, haßt,

buhlt mit dem Grauen, bangt und giert nach Blut, –
[26]

gesättigt kaum, von Ekel schon gehetzt, –

sinnlose Lüsternheit und, kaum verraucht,

sinnlose Düsterkeit, in Wut getaucht,

als hätt' ein Tollkraut die Vernunft zerfetzt, –


maßlos im Rausch, im Taumel, in der Wahl, –

im Wunsche Wahnsinn, Wahnsinn in der Brunst, –

erdürstet Ueppigkeit, genossen Dunst, –

verzückt vor Wonne, dann erdrückt von Qual ...


Ach, Jeder kennt und – Jeder geht den Weg:

zu dieser Hölle diesen Himmelssteg!

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 26-27.
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