17.

[193] Und sie staunen ins Land: es atmet Glanz ohne Ende.

Mittagsnebel wandern und weiten alle Grenzen;

aus jedem der tausend Schleier scheint die Sonne zu glänzen.

Und der Mann berührt des Weibes gefaltete Hände:


Also morgen geh ich uns mein Töchterchen holen.

Du wirst dich wundern, Lea – vielleicht auch nicht:

sie wird dein Ebenbild – Gang, Haltung, Gesicht –

trotzdem sie blond ist wie ein Goldfuchsfohlen.

Ja, Meine, du hast mir schon im Geist geschlafen,

bevor sich unsre wachen beiden Körper trafen;

und nun begreifft du wohl mein Mannesbangen.

Der Geist, der Alles antreibt, in Eins zu gehören,[194]

der strebt das Einzelgeschöpf zu zerstören;

denk, wie wir todeslüstern am Meer uns umschlangen!

Da jauchzten wir den irresten Lebenstrieben;

da hätte die Liebesgier uns aufgerieben,

hätt ich nicht Botschaft von der Toten empfangen.

Jetzt seh ich dort die Nebelgeister walten

und freu mich unsrer festeren Gestalten.


Es wogt; und blaß, wie ferne Inseln, erscheinen

die Wälder durch die leuchtend wehenden Falten.

Das Weib legt schwer die Hände in die seinen:


So laß uns denn den Leib recht heilig halten;

die Seele weiß sich schon allein zu frommen.

Mir ahnt ohnehin, uns wird von deinen alten

Geistesfreunden noch Unheil kommen.

Nimm's nicht für Furcht! O, umso stolzer bin ich,

daß du nicht loskonntest von mir.

Und umso demutwilliger weiß ich innig,

daß ich nicht lassen kann von Dir.

Und so, leibhaftig, ist dein Kind auch mein;

ich will ihm eine Mutter sein,

als hätt's in meinem Schooß geruht,

es ist ja Blut von Deinem Blut.


Und blaß und blasser wehn die Nebel ins Leere.

Zwei Seelen segnen ihre Erdenschwere.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 193-195.
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