CVII.

Ein Freyschütz, der zum Galgen verurtheilet war, wird mit Erlaubniß Ludwigs XI. lebendig geöfnet, um den Sitz des Steins kennen zu lernen, und in funfzehen Tagen völlig geheilet, begnadiget und belohnet.

[229] Die Toden sind fast bey allen alten Völkern ein Gegenstand der abergläubischen Gebräuche gewesen, welche der weiteren Beförderung und Aufnahme der anatomischen Kenntnissen eine dem menschlichen Verstand sehr schimpfliche Hinderniß im Wege geleget haben. Ein gewisser Pabst im Anfang des vierzehenden Jahrhunderts schämte sich nicht eine Verordnung ergehen zu lassen, in welcher er den Gebrauch, die toden Körper zu zerstücken, abschafte. Dieser heilige Vater, nennet diesen Gebrauch eine abscheuliche Barbarey, die er schlechterdings bey Strafe des Bannes wider[229] die, welche solche ausüben würden, und bey Strafe der Beraubung eines geistlichen Begräbnisses, in Ansehung der auf solche Art zerstückten Körper, verbietet.


Sechs und zwanzig Jahre hernach hatten die Aerzte weniger Mühe zu zergliedern und sich unterrichten zu können. In Frankreich wagten sie es so gar, Ludwig XI. der dazumal regierte, die Vorstellung zu machen, daß es sehr nützlich wäre, nachdem unterschiedliche Personen von vornehmen Stand an dem Steinschmerzen, der Colick, und Schmerzen an der Seite litten, wenn man den Ort untersuchen könnte, wo diese Krankheiten veranlasset werden; welches nicht besser geschehen könnte, als wenn man die Operation in einem lebendigen Menschen vornähme; weswegen sie unterthänigst ersuchten, daß man ihnen einen Freyschützen übergeben mögte, der Diebstahls wegen zum Galgen verurtheilet worden, und mit besagten Uebeln sehr stark beschweret war. Der König bewilligte dieses Ansuchen, und man nahm diese Operation in dem Kirchhof von S. Severin öffentlich vor: Nachdem man untersuchet und gearbeitet hatte, sagt die Chronick Ludwigs XI. schob man besagte Eingeweide wieder in den Leib des[230] bemeldten Freyschützens hinein, nähete solchen zu, und heilte ihn auf königlichen Befehl so gut, daß er nach funfzehen Tagen völlig gesund war, ihm seine Verbrechen ohnentgeldlich nachgelassen wurden, und noch Geld dazu gegeben wurde.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 229-231.
Lizenz: