LIII. Brief

An Fanny

[131] Freundin! – Dein Malchen wird zur Lügnerin, ich muß Dir noch, eh Du mir schreibst, vor meiner Abreise die gefährlichen Auftritte für mein Herz erzählen. – Das ist ausgemacht, entschieden, und ich bins auch jezt zum erstenmale in meinem Leben überzeugt, daß die Liebe beim ersten Anblik einer Person hinreißt, bis zur süßen Schwermuth hinreißt! – Mein Unglüksstern führte mich gestern ins Schauspiel, ich kam gerade neben einem schwarzbraunen[131] schönen Jungen zu sizzen. Kaum war der düstere Nebel, von dem man gewöhnlich beim Eintritt überfallen wird, meinen Augen entflohen, so stieg mir auf den ersten Blik, den ich auf meinen Nachbar warf, eine brennende Röthe ins Gesicht! Wir saßen beide sprachlos, wie angenagelt, nur zuweilen begegneten wir uns mit Blikken. – Er fieng endlich zu sprechen an, ich antwortete ihm so gut ich konnte, und dabei bat er mich um die Erlaubnis, mich bis an meine Hausthüre zu begleiten. Schon wartete ich auf den Antrag einer Bekanntschaft, aber mit einer getäuschten Hofnung, die mir durch die Seele zitterte, sah ich mich auf einmal betrogen. – »Lange schon, fieng er nun an, liebe ich Sie, mich deucht, daß sie erwiedert würde von Ihnen, diese Liebe, wenn mich die Ehre nicht davon abhielt, nach einem Gut zu greifen, dessen Entbehrung mich vielleicht eben so schröklich für immer verdammt! – Ich bin arm, unversorgt, um ihre Hand buhlt ein Anderer, der Sie wenigstens durch seinen Stand glüklich machen kann. Gott segne Sie beide, und mir gebe er Ruhe, oder.... Tod!« – Rasch flog dieser Jüngling von mir, und ich sah ihn seither nicht wieder, auch weis ich nicht einmal wer er ist. Sein Andenken ist ein schleichender Wurm in meinem Herzen, und meine schmeichelnde Eigenliebe sagt mir immer, er hätte nicht entfliehen sollen, der Undankbare! – Während dieser Zeit wuchs die Leidenschaft meines Freiers bis zum Grade, daß er Mitleiden verdient. – Der obige Auftritt hat mein Herz in etwas gegen ihn verstimmt, und da er mit seiner Leidenschaft vorbeieilte, ohne auf den Grad der meinigen zu achten, so sind wir beide noch um ein ziemliches von einander entfernt. – Mitleiden wallt in meinem Herzen für ihn, aber Mitleiden ist noch lange nicht Liebe. – Er hat übrigens einen Anschein von stiller Gemüthsart, wenn es Solidität ist, dann wäre schon ein starker Grad meines Zutrauens gewonnen.[132] Die Leute, die mit aller Ueberredungskunst auf diese Heirath dringen, behaupten durchaus, daß es wirklich ein fester, gebildeter Karakter seye. Furcht, Angst und Begierde nach Versorgung, um meine Schwester zu retten, streiten in meinem Kopfe. – Ich bin das elendeste Mädchen unter der Sonne, wenn sich mein gutes Herz leichtgläubig ins Spiel mischt, ehe die Vernunft und ihre Ueberlegung den Rath zu dieser Heirath giebt. Du weist, ich habe noch ein artiges Vermögen, auch spricht er mir davon, daß er welches besäße... Doch was kümmert mich Vermögen, wenn nur mein armes Herz Ruhe bei ihm fände! – Ich bin traurig bis zum Tiefsinn! – Lebe wohl! Deine schwermüthige


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 131-133.
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