CXXXIV. Brief

An Fanny

[165] Tausend Küße, meine Liebe, für dein schönes Briefchen! es ist gar zu zierlich geschrieben! – Dafür halte ich Dir aber auch heute mein Versprechen, und theile Dir die Bemerkungen über die moralischen Karakter unserer Schauspielerinnen mit. – Ich würde diese Beschreibung gewis nicht unternehmen, wenn mir nicht mein Gewissen für die Wahrheit bürgte. –[165]

Madame M.... ist im Grunde genommen ein gutes Weibchen, die ihre Pflichten als Gattin und Mutter genau erfüllt; nur fehlt es ihr an guten Grundsäzzen, um aus Ueberlegung rechtschaffen zu handeln. – Rollen-Neid zeigt sie gar keinen, aber desto mehr andere kleine Bosheiten, wodurch sie die übrigen Schauspielerinnen ihre Direktrisen-Herrschaft fühlen läßt. Sie besizt vielen natürlichen Wiz; aber ohne Kultur und Erziehung treibt sie ihn gar oft bis zur Unbescheidenheit. Von ihrem Manne wird sie auf die grausamste Weise mishandelt, und behauptet dann dabei eine Tugend, die so wenig Weibern eigen ist, wenn ihre Männer im Zorn sind, sie kann – schweigen. –

Madame K... s ist ein Fleischbrokken, der jedem zu Befehl steht. Ihre abscheuliche Sinnlichkeit gränzt an die äußerste Verachtung, die ihr von den Männern zu Theil wird, die sie kennen. – Ihre Eroberungssucht, Eitelkeit, Eigennuz, u.s.w. fallen beim ersten Anblik dem Beobachter in die Augen. Ihr Mann wird wie ein Bube von ihr behandelt; sie drohet ihm mit Schlägen, wenn er es wagt über ihren Lebenswandel nur die geringste Anmerkung zu machen. – Da er einer von jener Gattung zaghafter Schwachköpfe ist, so genießt sie bei ihrer Buhlerei die ungestörteste Freiheit. – Ich habe doch in der Welt immer bemerkt, daß die allerdümmsten Weiber allezeit die ausschweifendsten sind. – So viel von diesem Karakter; und nun zur Madame L.... g. –

Diesem Weibe würde man im Umgang ihre Ungeschiklichkeit in der Schauspielkunst gar nicht anmerken. – Sie weis recht artig zu plaudern, empfindet so gar zuweilen aus Büchern; aber alles verliert unendlich bei ihrer schwäbischen Aussprache. – Auch Koketterie sizt tief in ihrem Herzen; wahre Liebe ist ihr fremd, und bei allem dem ist sie auch die größte Puznärrin im ganzen Orte. – Aus Eitelkeit wirft sie ihr Nezchen aus, so lang es angeht, aber mit mehr[166] kostbarer Ziererei und Verstellung, als eine ganz pöbelhafte Buhlerin. –

Madame J... hingegen entschädigt den Beobachter für die übrigen alle: sie ist ein braves soliddenkendes Weib, deren Denkungsart untadelhaft und rechtschaffen ist. – Sie theilt ihre Beschäftigung zwischen Religion und Berufspflicht, und lebt in der glüklichsten, zufriedensten Ehe. – Eine Menge ausgestandener Theater-Schiksale entzogen ihr jene Glüksgüter, die sie ihres Talents und Fleißes wegen so sehr verdient hätte. – Unglük hat das gute Weib sanft und weise gemacht; sie fodert wenig vom Schiksale, und genießt das Wenige mit reinem, vorwurfsfreiem Gewissen. Wie sehr verdient diese Edle alles Erdenglük! –

Die übrigen Weibsleute bei unserer Gesellschaft sind meiner Beobachtung ganz unwürdig. – Ich würde Dir auch etwas weniges von den moralischen Karaktern unserer Schauspieler schreiben, aber da ich keinen Umgang mit ihnen pflege, so ist es mir wohl nicht möglich sie genauer zu kennen. – Die Stunde ist da; die Post wird abgehen; ich muß also schließen, meine Fanny. –

Lebe wohl! –

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 165-167.
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