1.

[243] Das Kindlein spielt' draußen im Frühlingsschein,

Und freut' sich und hatte so viel zu sehen,

Wie die Felder schimmern und die Ströme gehen –

Da sah der Abend durch die Bäume herein,

Der alle die schönen Bilder verwirrt.

Und wie es nun ringsum so stille wird,

Beginnt aus den Tälern ein heimlich Singen,

Als wollt's mit Wehmut die Welt umschlingen,

Die Farben vergehn und die Erde wird blaß.

Voll Staunen fragt 's Kindlein: »Ach, was ist das?«

Und legt sich träumend ins säuselnde Gras;

Da rühren die Blumen ihm kühle ans Herz

Und lächelnd fühlt es so süßen Schmerz,

Und die Erde, die Mutter, so schön und bleich,

Küßt das Kindlein und läßt's nicht los,

Zieht es herzinnig in ihren Schoß

Und bettet es drunten gar warm und weich,

Still unter Blumen und Moos. –


»Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich?

In einem viel schöneren Garten bin ich,

Der ist so groß und weit und wunderbar,

Viel Blumen stehn dort von Golde klar,[243]

Und schöne Kindlein mit Flügeln schwingen

Auf und nieder sich drauf und singen. –

Die kenn ich gar wohl aus der Frühlingszeit,

Wie sie zogen über Berge und Täler weit

Und mancher mich da aus dem Himmelblau rief,

Wenn ich drunten im Garten schlief. –

Und mitten zwischen den Blumen und Scheinen

Steht die schönste von allen Frauen,

Ein glänzend Kindlein an ihrer Brust. –

Ich kann nicht sprechen und auch nicht weinen,

Nur singen immer und wieder dann schauen

Still vor großer, seliger Lust.«


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 243-244.
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