2.

[254] Von kühnen Wunderbildern

Ein großer Trümmerhauf,

In reizendem Verwildern

Ein blühnder Garten drauf;


Versunknes Reich zu Füßen,

Vom Himmel fern und nah,

Aus anderm Reich ein Grüßen –

Das ist Italia![254]


Wenn Frühlingslüfte wehen

Hold übern grünen Plan,

Ein leises Auferstehen

Hebt in den Tälern an.


Da will sich's unten rühren

Im stillen Göttergrab,

Der Mensch kann's schauernd spüren

Tief in die Brust hinab.


Verwirrend in den Bäumen

Gehn Stimmen hin und her,

Ein sehnsuchtsvolles Träumen

Weht übers blaue Meer.


Und unterm duft'gen Schleier

Sooft der Lenz erwacht,

Webt in geheimer Feier

Die alte Zaubermacht.


Frau Venus hört das Locken,

Der Vögel heitern Chor,

Und richtet froh erschrocken

Aus Blumen sich empor.


Sie sucht die alten Stellen,

Das luft'ge Säulenhaus,

Schaut lächelnd in die Wellen

Der Frühlingsluft hinaus.


Doch öd sind nun die Stellen,

Stumm liegt ihr Säulenhaus,

Gras wächst da auf den Schwellen,

Der Wind zieht ein und aus.


Wo sind nun die Gespielen?

Diana schläft im Wald,

Neptunus ruht im kühlen

Meerschloß, das einsam hallt.


Zuweilen nur Sirenen

Noch tauchen aus dem Grund,[255]

Und tun in irren Tönen

Die tiefe Wehmut kund. –


Sie selbst muß sinnend stehen

So bleich im Frühlingsschein,

Die Augen untergehen,

Der schöne Leib wird Stein. –


Denn über Land und Wogen

Erscheint, so still und mild,

Hoch auf dem Regenbogen

Ein andres Frauenbild.


Ein Kindlein in den Armen

Die Wunderbare hält,

Und himmlisches Erbarmen

Durchdringt die ganze Welt.


Da in den lichten Räumen

Erwacht das Menschenkind,

Und schüttelt böses Träumen

Von seinem Haupt geschwind.


Und, wie die Lerche singend,

Aus schwülen Zaubers Kluft

Erhebt die Seele ringend

Sich in die Morgenluft.


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 254-256.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1841)
Gedichte
Fünfzig Gedichte
Und es schweifen leise Schauer: Gedichte (Lyrik)
Sämtliche Gedichte und Versepen
Gedichte (Fiction, Poetry & Drama)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon