Ausflug in den Schwarzwald

1.

[142] Im Höllenthale drohen

Die Felsen hoch herein,

Die schauerlichen schüchtern

Den frühen Wandrer ein.


Dann öffnen sich die Berge

Der hohen Ebene zu,

Die Tannen und die Matten

Prangen in grüner Ruh.
[142]

Am dunkelblauen Himmel

Milchweiße Wolken ziehn,

Lieblich in wilder Gegend

Himmel und Blumen blühn.


Und ehe die Hügel schließen

Das Thal mit sanfter Höh,

Da spiegelt sich die Sonne

Im tiefen Titi-See.


Es baden die müden Freunde

In seiner frischen Fluth,

Und stärken Leib und Seele

Und wandern wieder gut.


2.

Zum allerhöchsten Gipfel

Richten sie spät den Lauf,

Es steigen die steinigen Wege

Zum großen Feldberg auf.


Tief unten an seinem Fuße

Ein finster Wasser steht,

Drein fallen die Felsenwände,

Und Geisterflüstern weht.
[143]

Von oben schaut herunter

Der königliche Berg;

Ihm hütet den Spiegel unten

Ein tannengrüner Zwerg.


Durch unerträglich Schimpfen

Scheucht er den Wandrer fort,

Der störend wollte weilen

Am heimlich heiligen Ort.


Ein fürwitzvoller Bursche

War einst, es ist verbürgt,

Dort, wo die Quelle röchelt,

Hat ihn der Zwerg erwürgt.


3.

Hinauf denn über die Klippen!

Ringsum der endlose Wald.

Hinauf, hinan die Haide!

Wir sind da droben bald.


Seht dort die seltsamen Wolken,

Sie bleiben dieselben stets,

Sie scheinen nicht zu folgen

Dem Wind und Wettergesetz.
[144]

Das sind die Alpen, Alpen,

O wunderherrliche Schau!

Aus Süden herüberglänzend

Golden und silbergrau.


Und immer höher und höher

Beim brechenden Abendlicht!

Die Hirten sind abgezogen,

Es klinget die Weide nicht,


Hochoben auf dem Kulme,

Welch unverhofftes Glück!

Erhaschen wir der Sonne

Allerletzten Scheideblick!


Auf purpurreichem Pfühle

Der Gott des Tages ruht,

Die Winde tragen ihn schwebend

Hinunter in ferne Fluth.


4.

Mit ihrem holden Ernste

Anziehet die sternvolle Nacht

Und weilet, bis mit dem Vogel

Der Morgenwind erwacht.
[145]

Da streifen rosige Lichter

Den Himmelsaum umher,

Es fluthet über die Berge

Der Düfte wogendes Meer.


Ha, schautet ihr das Blitzen

Fern über den fernsten Höhn?

Und jetzt, die Feuerkugel

Siegend im Himmel stehn!


Sie steiget stolz und freudig

Heran ins blaue Feld;

Sie strahlet und sie glänzet,

Vor Wonne zittert die Welt.


5.

Und um und um, die Lande,

Das Auge schweift hinaus,

Entzückenvolle Schönheit!

O süß gewaltger Graus!


Dort unten in den Thälern

Noch immer Schlaf und Nacht,

Hier oben Tag und Leben,

Daß Herz und Himmel lacht!
[146]

Hier oben Schnee und Blumen –

Schneeglöckchen läutet: Platz

Den schönen Töchtern des Sommers!

Der Schnee ruft: sachte Schatz!


Ich weiche gern, doch jede

Von deinen Schwestern muß

Die liebliche Stirne reichen

Dem Schnee zuvor zum Kuß!


Das ist die Ehre des Alters.

– Voran jetzt durch den Teich

Dem Bach entlang thalauswärts

Zum grünen »Himmelreich«!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 142-147.
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