Nacht und Morgen

[207] Ruhvoll schwebt der Dämon der Nacht

Auf schwarzen Fluthen des Aethermeers.

Im Feld kein Laut.

Die Sternlein haben sich aufgemacht,

Sind alle gekommen, alle, alle,

Zu schmücken die herrliche Himmelshalle

– – Es windet, der Morgen graut.
[207]

Es windet, der Wildhahn ruft.

Ein Frühhauch über die Wälder fliegt;

Die Dämmerung bebt

Auf lichten Wellen der Alpenluft.

Schon saugen den Schein die klingenden Fluren,

Her schreitet der Tag in rosigen Spuren

– – Die Sonne das Goldhaupt hebt.


Der Nachtgeist fliehet erschrocken leis,

Streifend den blumigen Wiesengrund,

Vorm Götterblick

Zusammenschauernd in kaltem Schweiß.

Und die Lerch entschwingt sich dem frostigen Thaue,

Begrüßet das Licht und jubelt ins Blaue,

Und wiegt sich im sonnigen Glück.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 207-208.
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