Student von Prag

[229] Am Hügel geht der Mondschein

Wie Hauch der Sehnsucht um,

Die frischen schallenden Wellen

Werden am Ufer stumm.


Dort auf der steinernen Brücke

Steht eine dunkle Gestalt;

Die kühnen Augen blitzen,

Die goldene Locke wallt.


Er läßt die Blicke schweifen

Im weiten Nachtgebiet,

Und seiner Brust entsteiget

Ein schauerliches Lied.


Ihr stummen schwarzen Berge,

Was starret ihr mich an?

Ihr kühlen grauen Wellen,

Was hab ich euch gethan?


Was wollt ihr grauen Wellen

Mit eurem schaurigen Sang?

Mit eurem grausigen süßen,

Mit eurem gierigen Klang?


Ich kann vor euch nicht schlafen,

Ich kann vor euch nicht ruhn;

Was habt ihr mit meiner Liebe,

Mit meinem Leben zu thun?
[230]

Mein wissenschaftlicher Eifer

War ehmals gar so groß –

O weh, die heißen Gedanken

Werde ich nimmer los!


Es sungen meine Brüder

Dort drüben im trauten Haus,

Ich höre das Wasser rauschen

Und stürze stumm hinaus.


Das Mädchen, das ich liebe,

Ist so zum Sterben schön!

Ich glaube fast, ihr Wellen,

Ihr kühlen, wollt mich verstehn.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 229-231.
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