10. Szene

[278] Unter Schnurren, Pfeifen und Getöse erscheinen die Teufel Krumschal und Mephistopheles und die Teufelin Bulla.


DIE TEUFEL.

Hier sind wir. Was willst du?

FAUST tritt erschrocken zurück.

Weh! Was für Gestalten!

Doch Mut kann den Teufel im Zaume halten.


Wendet sich gegen Krumschal, der ihm zunächst steht.


Was bist du für einer?

KRUMSCHAL.

Bin Krumschal geheißen.

Was mußtest du mich von der Freßschüssel reißen?

Ich esse des Tages siebenmal

und dazwischen saufe ich ohne Wahl

Schnaps, Wein oder Bier, aber nur kein Wasser.

FAUST.

Kurzum: Du bist der Teufel der Schlemmer und Prasser.

Was hast du für eine Geschwindigkeit?

KRUMSCHAL.

Beim Essen laß ich mir gerne Zeit,

denn Hast und Eile schadet dem Magen.

FAUST.

Ich glaube, du könntest mir wenig sagen.

Gefährlich sind des Gaumens Freuden,

weil wir das Beste dran vergeuden.

Das speckt und filzt und macht uns stumpfen,

bis wir verdämmern und versumpfen.

Mit fettem Bauch und Wangenrot

ist mancher schon im Leben tot.

Wenn wir uns solchem Geist vertrauen,[278]

ist unser Dasein ein Verdauen.

Hinweg! Perlacke!!

KRUMSCHAL schnurrt ab.

Purrrr!!

FAUST zu Bulla.

Du runde, kleine,

sag an: Was bist du denn für eine?

BULLA.

Ich heiße Bulla und ich bin

die süße Wollustteufelin.


Näher.


Gedenkst du noch der jungen Tage?

Der Nächte mild im Mondenschein?

Mit jedem ersten Amselschlage

fuhr ich dir heiß ins Blut hinein.

Zwar wolltest du mich oft nicht kennen

und meinst, es kam aus Kopf und Brust,

des Quelle du – ich will's nicht nennen,

an welchem Ende – suchen mußt.

Singt ihr nur schön von hoher Liebe,

scharwenzelt wacker her und hin,

reimt Herz und Schmerz und süße Triebe:

Ich bin ja doch des Ganzen Sinn!

FAUST.

Wie schnell?

BULLA.

Vom ersten Kitzelblick

bis zum gewissen hohen Fest!

FAUST.

Nicht lockt mich mehr der Sinne Glück,

ich kenn' zu gut den schalen Rest.

Du gibst dem Augenblicke Gold,

Wen hätte nicht dein Sturm durchbebt?

Doch wer sein Bestes dir gezollt,

der hat das Ganze nicht erlebt.

Denn du bist Teil von einem Teil,

das Weite bleibt dir schroff verwehrt,

bist jenes Tieres Sucht und Heil,

das niemals will, nur stets begehrt.

Ich aber will das Ganze sehen,

bin deiner Halbheit herzlich müd'

und was mir heiß im Busen glüht,

reißt mich von dir zu steilen Höhen.

Perlacke!![279]

BULLA schnurrt ab.

Purrriant!!

MEPHISTOPHELES der bisher lauernd seitab gestanden, schnell.

Fauste! Du bist mein!

FAUST.

Was solltest du für einer sein?

MEPHISTOPHELES.

Wie einer heißt, ist einerlei,

Macht er uns nur von Lasten frei.

Und solches darf ich von mir sagen.

Ich will dich, wenn es dir gefällt,

durch diese oder jene Welt

frei mit Gedankenschnelle tragen.

Was du vom Diesseits auch begehrst,

sei dir in jedem Maß gegeben,

woferne du im andern Leben

zum Lohne mir gehörst.

FAUST.

Halt ein, daß ich dich recht betracht',

du scheinst mir irgendwie vertraut ...

MEPHISTOPHELES.

Kann sein, daß du mich schon geschaut

in einer schlafentwöhnten Nacht.

Auch komm' ich gerne zu Besuch

in Stunden, grübelnd und verschwiegen,

und bin als Zweifel oft entstiegen

so manchem dir vertrauten Buch.

So oft es treibend dich bewegt

von weichem Pfühl, aus süßen Banden,

bin ich, der Geist, der stets erregt,

aufwiegelnd hinter dir gestanden.

Wer da noch betet, statt verachtet

und, was da kribbelt, kramt und will,

verdrehten Auges scheu betrachtet,

der schmerzt mich – hätt' ich noch Gefühl.

Doch was in sich zufrieden ruht,

bringt mich in allergrößte Wut!

FAUST.

Ich seh' den bösen Geist in dir

und sage dennoch: Bleib bei mir.

Es geht mir, wie dem schönen Kind,

das einen blutigen Mörder liebt

und dennoch grenzenlos und blind

sich wonnig seiner Kraft ergibt.[280]

MEPHISTOPHELES.

Beklage dich nicht allzu weich!

Wer mag um Gottes Lohn entsagen?

Das sogenannte Himmelreich

hat keiner noch herabgetragen.

Was du nicht siehst, mußt du nicht glauben,

doch was du hast, kann man dir rauben.

Drum schaff' dir Kräfte für die Welt,

solang' es rammelt noch und schmatzt

und dich und sich zusammenhält,

bis diese Seifenblase platzt

und du und all' ihr schillernd Kleid

ein Tröpflein Schmutz am Strohhalm seid.

FAUST.

So willst du mir die Erde schaffen,

mein Diener sein auf dieser Welt,

mir geben Geistes schärfste Waffen

und jede Lust, die mir gefällt,

auf alle großen, letzten Fragen

mir ohne Säumen Antwort sagen,

so daß ich schalt' nach freier Kür –?

MEPHISTOPHELES.

Das will ich.

FAUST.

Und verlangst dafür?

MEPHISTOPHELES.

In dieser Welt so gut wie nichts.

Nur daß du dich mit mir verträgst

und dann am Tage des Gerichts

dich hübsch auf meine Seite schlägst.

Um ein paar äuß're Kleinigkeiten

wirst du mit mir wohl kaum dich streiten:

Daß du dir Haar und Bart nicht schneidest,

kein Weib nimmst und die Kirche meidest –

zumal dir keinerlei Beschwerden

aus dem Versprechen wachsen werden.

Ich mach' dich schön, just zum vergaffen,

will Buhlschaft dir nach Lüsten schaffen

und dich vertreten fern und nah',

wo man dich immer hört' und sah.

So mancher, die da herrlich sitzen,

muß sich auf seinen Diener stützen[281]

und strahlt gar weit und hoch beschrieen

von einem Licht, das er geliehen!

FAUST.

So sei es denn! Ich schlage ein!


Hält ihm die Hand hin.


MEPHISTOPHELES.

Ein Blatt Papier wird besser sein.

FAUST.

Hier: Feder, Tinte – –.

MEPHISTOPHELES.

Ja, schon gut.

Doch besser ist ein Tropfen Blut.

FAUST.

Wie? Blut? Zum schreiben? Doch woher –?

MEPHISTOPHELES berührt ihn an der Hand.

Wenn du erlaubst, es schmerzt nicht sehr.

FAUST sieht seine Hand bluten.

Wahrhaftig! Kaum berührst du mich,

so blutet's.

MEPHISTOPHELES.

Nur ein seichter Stich.

Hier mit dem Finger aufgeritzt,

Ich trag' die Nägel gern gespitzt.

Nun unterschreibe.

FAUST unterschreibt. Es donnert. Dazwischen tönen fern verwimmernd wehklagende Stimmen von Männern und Frauen undeutlich verhallend.

Welch' Geschrei?

MEPHISTOPHELES.

Hat nichts zu sagen; schon vorbei!

Mein Rabe, flieg!


Winkt.

Ein Rabe kommt geflogen, nimmt den Vertrag vom Tische und fliegt damit fort.


FAUSTENS VATER ruft hinter der Szene.

Mein Sohn! Mein Sohn!

FAUST erschrickt.

Die Stimme kenn' ich!


Zu Mephistopheles.


Geh davon!

Mein Vater soll dich hier nicht finden!

MEPHISTOPHELES.

Wenn du befiehlst, muß ich verschwinden.


Ab.
[282]


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 278-283.
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