9. Szene

[299] Es wird allmählich Abend.

König – Orestes – Faust.


FAUST neigt sich tief vor dem König.

KÖNIG.

Willkommen, edler Freund! Der Abend sinkt.

Ich kam, Euch aufzusuchen, in den Garten:

Zur Abendtafel, die uns festlich winkt,

darf ich Euch wohl an meinem Tisch erwarten?

FAUST.

Zu viel der Ehre, Majestät!

Ich finde hochbeglückt mich ein.

KÖNIG.

Man ehrt den Gast, der Geist verrät.

FAUST.

Was kann mein armer Witz Euch sein?

Wär' ich ein Dichter kühner Geste,

ein Sänger süßer Melodie,

gereicht' ich sicher Eurem Feste

zur Zierde. So doch weiß ich nie,

ob meine Bilder und Gedanken

nicht unbemerkt in's Dunkel sanken,

ob das, was meine Worte nennen,

auch Widerhall und Leben fand:

Das Beste, was wir geben können,

es ist uns selber kaum bekannt.[299]

Ich möchte jedem, den ich liebe,

mich glühend gießen in die Brust,

ach, wäre mir in dem Getriebe

nur eines Herzens Dank bewußt!

Wer Liebe fand, des Herz ist reich,

er ist ein hochbeglückter Mann

und lebt geborgen, warm und weich:

Doch reicher ist, wer lieben kann!

Drum König! König! Wollt mich hören!

Gebt Liebe denen, die Euch lieben!

Wer Treue ehrt, wird selbst sich ehren,

Ihm ist das beste Teil geblieben!

KÖNIG leise zu Orestes.

Sein Wort mag den Entschluß mir rauben!

Wer ist der unerhörte Mann?

Ich flieh'! Denn nimmer will ich's glauben,

daß so der Teufel sprechen kann!

Komm mit, Orest! Laß schnell uns gehen!


Zu Faust.


Ich hoff', Euch bald beim Fest zu sehen!


Faust verneigt sich. König und Orestes ab.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 299-300.
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