4. Szene

[311] Faust – Wagner.


WAGNER kommt mit einem Blumentopf in der Hand.

Ich wag' es, gleich hereinzutreten – –

doch seh' ich recht? Ihr seid beim Beten – –

da stör' ich nicht – – –


Will fort.


FAUST steht auf.

O, bleibe hier!

Mir ist, als rief ich just nach dir.


Auf die Pflanze deutend.


Was hast du da?

WAGNER.

Ach, seht's nicht an!

Es ist beileibe nicht viel dran.

Ich bring's Euch nur in dieser Stunde

aus einem ganz bestimmten Grunde.

Was hier ein Bäumchen möchte werden,

pflanzt' ich als Samen in die Erden

an jenem, just an jenem Tag,

als Ihr den schrecklichen Vertrag

mit Eurem finsteren Genossen

vor langen Jahren abgeschlossen.

Es stand auf meinem Arbeitstisch,

ich hegt' es treu und hielt es frisch

und – lacht mich nur recht tüchtig aus! –

Stets, wenn Ihr ferne wart vom Haus,

wähnt' ich geschützt Euch im Getriebe,

solang dies Bäumchen munter bliebe.

Und jetzt, da Ihr das Haus besucht,

trägt es die erste, kleine Frucht.

Hier, nehmt sie an, die arme Gabe:

Es ist das Liebste, was ich habe. –

Das war es nur, weshalb ich kam – – –[311]

FAUST weh.

O Seele! Seele! Brich in Scham!!

Du wolltest Gott das Wunder rauben

und mußt zerschmettert nun gestehn:

Nur in der Einfalt heiligem Glauben

ließ Gott sein Wunder stets geschehn!

WAGNER.

Ihr seid bewegt, was dringt so auf Euch ein?

Was kann die kleine Gabe Euch wohl sein?

FAUST.

Es ist die Gabe nie, die uns bewegt,

nur das, was sie von Herz zu Herzen trägt.

O, Wagner, könntest du es fassen,

was ich verlor, was mich verlassen!

Wie deine Worte doch vor Jahren

der Einfalt reine Stimme waren.

Flieh! Ich bin krank in tiefster Seele!

Es brennt mein Herz von Todesgift

ob ich mich gleich in Reue quäle,

die Geißel Gottes fällt und trifft!

WAGNER.

Gott prüft uns, eh' er uns verflucht!

FAUST.

Ich habe ihn zu frech versucht!

WAGNER.

Mag es allein Euch nicht gelingen,

daß er in Gnaden Euch vergibt,

so muß zu seinem Herzen dringen

das Beten eines, der Euch liebt.

FAUST.

Mich liebt – –? Wie klingt das Wort so weh!

Von allen, die ich um mich seh',

liebt keiner mich. Es ist vergebens!

WAGNER.

In frühern Tagen Eures Lebens

war's anders – – liebt' ein Vater Euch

und eine Mutter!

FAUST.

O, wie reich

war ich doch einst!

WAGNER.

Ich hörte sagen:

Ein reines Herz, von Liebe voll,[312]

vor Gottes Richterstuhl getragen,

besänftigt seinen tiefsten Groll.

FAUST.

Ein reines Herz? Wer opfert sich?

WAGNER.

Wär' ich so rein, gern wollte ich

es tun. Doch unter Erdenkinden

mag schwer sich einer würdig finden.

So ist dies Mittel, wie es scheint,

wohl nur als frommer Spruch gemeint –

FAUST sinnend.

Ein reines Herz – – –

WAGNER.

Nun, gute Nacht!

Zergrübelt nicht die späten Stunden:

Was alle Weisheit nicht erdacht,

hat oft ein schlichter Traum gefunden.


Ab. – Faust bleibt sinnend stehen.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 311-313.
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