Zweites Kapitel.

[54] Fromme Warnungen gegen zu günstige Behandlung der Bankerte und eine von Jungfer Deborah Wilkins gemachte große Entdeckung.


Acht Monate nach feierlich vollzogenem Beilager des Kapitäns Blifil mit dem Fräulein Brigitta Alwerth, einem jungen Frauenzimmer von großer Schönheit, vielem Verdienst und Reichtum, ward die junge Dame wegen gehabten Schrecks von einem wackern Söhnlein entbunden. Das Kind war freilich, allem Anscheine nach, vollkommen; die Hebamme aber entdeckte, es sei einen Monat zu früh gekommen.

Obgleich die Geburt eines Erben seiner geliebten Schwester für Herrn Alwerth eine sehr fröhliche Begebenheit war: so verminderte solche doch die Gewogenheit nicht, die er für seinen kleinen[54] Findling hegte, den er aus der Taufe gehoben und nach seinem eigenen Namen Thomas genannt, und bis dahin selten verfehlt hatte, wenigstens einmal des Tages auf seiner Kinderstube zu besuchen.

Er sagte seiner Schwester, wenn's ihr so gefällig wäre, so könnte dem Neugebornen einerlei Wartung und Erziehung mit dem kleinen Thomas gegeben werden; worein sie auch willigte, obgleich ein wenig ungern: denn sie war wirklich gegen ihren Bruder gar sehr gefällig; und daher war sie dem Findling beständig viel liebreicher begegnet, als wohl Damen von strenger Tugend zuweilen über sich zu gewinnen vermöchten, solchen Kindern zu begegnen, die bei aller ihrer Unschuld, doch mit Recht, lebende Denkmale der Unenthaltsamkeit genannt werden können.

Der Kapitän konnte es nicht so leicht über sich gewinnen, das zu dulden, was er an Herrn Alwerth als einen Fehler verdammte. Er ließ sich oft verlauten: wer Sündefrüchte aufnimmt, bestärkt die Sünder in Sünden. Er führte verschiedene Sprüche an, (denn in der Bibel war er sehr belesen) dergleichen waren: Er sucht die Sünden der Väter heim an den Kindern; und, die Väter haben Herlinge gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden, u.s.w. Hieraus verteidigte er die Rechtmäßigkeit, das Verbrechen des Vaters an dem Bankert zu bestrafen. Er sagte: »Obgleich die Gesetze nicht ausdrücklich erlaubten, solche Schandgeburten aus der Welt zu schaffen, so hätten sie solche doch für erb- und ehrenunfähig erklärt; die Kirche betrachte solche als erb-und ehrlos, und das Höchste, was man für sie thun dürfte, wäre, daß man sie zu den niedrigsten und verächtlichsten Diensten in der bürgerlichen Gesellschaft aufwachsen ließe.«

Herr Alwerth antwortete auf alles dieses und auf noch weit mehreres, was der Kapitän über diesen Punkt vorgebracht hatte: »So strafbar die Eltern sein möchten, so wären die Kinder doch gewiß unschuldig. Betreffend die Sprüche, die er angeführt habe, so wäre der erste eine an die Juden besonders gerichtete Drohung, gegen die Sünde der Abgötterei, wenn sie ihren himmlischen König verließen und haßten; und der letzte wäre eine Parabel, oder Gleichnißrede, und ginge mehr darauf, die gewissen und notwendigen Folgen der Sünden anzuzeigen, als daß es ein ausdrücklicher Urteilsspruch sein sollte. Den Allmächtigen aber als einen Rächer hinzustellen, der den Unschuldigen die Sünden des Verbrechers büßen lasse, sei unanständig, wo nicht gar Gotteslästerung, weil man dadurch sagte, Gott handle gegen den höchsten Grundsatz der natürlichen Gerechtigkeit, und gegen die ursprünglichen Begriffe von[55] Recht und Unrecht, die er doch selbst in unsre Seelen gepflanzt habe; nach welchen wir nicht nur alle nicht geoffenbarten Dinge, sondern die Wahrheit der Offenbarung selbst beurteilen müßten.« Er sagte: »er wüßte es, daß viele über diesen Punkt mit dem Kapitän einerlei Grundsätze hätten; er aber selbst sei vom Gegenteile fest überzeugt, und wolle er in eben dem Maße für dies arme Kind sorgen, als ob ein echt-eheliches Kind das Glück gehabt hätte, an eben der Stelle gefunden zu werden.«

Unterdessen daß der Kapitän jede Gelegenheit wahrnahm, diesen und ähnlichen Gründen alle Stärke und Nachdruck zu geben, um den kleinen Findling aus Herrn Alwerths Hause zu schaffen, über dessen Zärtlichkeit gegen das Kind er eifersüchtig zu werden begann, hatte Jungfer Deborah eine Entdeckung gemacht, welche in ihren Folgen dem armen Tom wenigstens mehr Unheil drohte, als alle Gründe und Warnungen des Kapitäns.

Ob die unersättliche Neugier dieser braven Jungfer sie zu diesem Geschäfte angetrieben, oder ob sie es unternahm, um sich in der Gnade und Gewogenheit der Ehegemahlin des Herrn Blifil festzusetzen, welche, ungeachtet ihres äußerlichen Betragens gegen den Findling, insgeheim doch öfter auf das arme Kind schalt, und auf ihren Bruder obendrein, wegen seiner Affenliebe zu demselben, das will ich nicht entscheiden; aber sie hatte nunmehr, wie sie fest meinte, den Vater des Bankerts völlig ausgespähet.

Da dies nun aber eine Entdeckung von wichtigen Folgen ist, so wird es nötig sein, ihr bis zur ersten Quelle nachzugehen. Wir wollen daher die vorläufigen Sachen, wodurch solche herausgebracht wurde, mit aller Genauigkeit erzählen; und zu diesem Ende werden wir genötigt sein, alle Geheimnisse einer kleinen Familie zu offenbaren, mit welcher der Leser bis dahin noch völlig unbekannt ist, und deren Haushaltung so seltsam und sonderbar war, daß ich besorge, es werde der höchsten Glaubenswürdigkeit vieler meiner verheirateten Leser etwas sauer eingehen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 54-56.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones: Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones 1-3: Die Geschichte eines Findlings: 3 Bde.
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings