Achtes Kapitel.

[212] Enthält mehr natürliche als angenehme Dinge.


Außer der Betrübnis über ihren Herrn war noch eine andre Quelle für den heißen Strom vorhanden, welcher über die beiden bergrückenhaften Augenknochen der Hausjungfer so ergiebig hervorrieselte. Sie war nicht so bald in ihrem Kämmerlein alleine, als sie auf folgende lustige Weise für sich in den Bart zu murmeln begann: »Fürwahr, der Herr hätte doch, sollt' ich meinen, einen klein'n Unterschied mach'n soll'n zwischen mir und dem Gesinde. Seht doch, 'r hat mir wohl gar das Trauerzeug vermacht! Aber, je ja doch! wenn's sonst nichts ist, so mag meinetwegen Herr Urians Großmutter um ihn schwarz gehn, ich nicht! Der gnäd'ge Herr Strohjunker muß wissen, daß 'ch kein Bettelmensch bin. Ich hab' mir in seinem Dienst ein fünfhundert Pfund zusammengespart, und nun sollt' ich mich noch dazu so begegnen lassen! Das sollte Dienstboten schöne Lust machen, ehrlich und treu zu sein! Ja wohl, ja wohl! Wenn 'ch auch dann und wann mal eine Lumperei auf die Seit' gebracht habe; andre haben's ja zehnmal mehr gethan; und nun schert'r uns all über ein'n Kamm! Wenn's so ist, daß 's so ist: so mag das Legatrum der Gottseibeiuns! holen, mit samt dem der's gibt! Doch neh! ausschlagen will ich's doch auch nicht; denn das würd' gewissen Leut'n nur 'ne Freude sein. Nein! das[212] bunteste Kleid will ich mir kaufen, das 'ch nur finden kann, und damit will ich über des alten Kalmäusers Grab herum tanzen! Das is nun mein Dank, daß 'ch sein' Partei so oft genommen hab', wenn all Leute Sünd' und Schand' über ihn schrien, daß 'r sein'n Pankert so herrlich und in Freuden aufzog. Doch er muß nun gehn dahin, und für sein' Sünd'n wohl büßen. Besser hätt 'r gethan, er hätte hüpsch Reu' und Buß' gethan, auf sein'n Todbette für seine Sünden, als daß 'r sich noch damit breit macht, und seine Güter aus der Familie weggibt, an so 'n Schandkind. In sein Bett gefunden, seht doch! Eine feine Mär das ist! Ja, ja! wer selbst versteckt, kann am besten finden! Verzeih' mir die Sünd'! aber mein'n Kopf wett' ich, er hat mehr herum laufen, die nicht Vater sagen dürfen; wenn 's so recht bekannt wär'. Ein Trost ist's, da, wo er nun hin muß, werden wir sie alle schon kennen lernen. – ›Meine Bedienten werden was finden, wobei sie sich meiner erinnern mögen'!‹ das war'n die ausdrücklichen Worte! ich werd' sie nicht vergessen, wenn 'ch noch tausend Jahr erlebe. Ja wohl, ja wohl, freilich! werd's nicht vergessen, daß 'r mich so unters Gesinde gemengselt. Man sollt' doch gedacht haben, 'r hätte meinen Namen wohl eb'n so gut nennen könn'n, als des Quad Rats seinen; aber, meins großen Herzleids! das is 'n hochgelahrter Herr obschons 'r keinen Rock uf'n Leib hatte, als er erst ins Haus kam. O, ich dacht' was mir bisse, mit solch'n hochgelahrten Herrn! Da hat 'r'n manch hüpsch Jahr im Haus gegessen, getrunken und geschlafen, und noch soll die niedrigste Bettmagd erst lernen, wie sein Geld aussieht. Ja, ich wollt' solch'n Kerlen was ufwart'n, ich!« – Weit mehr noch, von eben dem Schlage, murmelte sie für sich weg; dies Pröbchen mag aber für den Leser genug sein.

Weder Schwöger noch Quadrat waren mit ihren Vermächtnissen eben viel besser zufrieden. Ob sie gleich ihre Gesinnungen nicht so platt heraussagten, so haben wir doch sowohl aus dem Mißvergnügen, das sich in ihren Mienen zeigte, als aus dem folgenden Gespräche so viel zusammengebracht, daß keine sehr große Freude in ihren Gemütern regierte.

Ungefähr eine Stunde nachher, als sie das Krankenzimmer verlassen hatten, begegnete Quadrat Herrn Schwöger im Vorsaale und redete ihn an folgendergestalt: »Nun, Herr Schwöger, haben Sie, seitdem wir das Zimmer verlassen haben, wieder etwas gehört von Ihrem Freunde?« – »Wenn Sie Herrn Alwerth meinen,« antwortete Schwöger, »so dächte ich, Sie könnten ihn vielmehr Ihren Freund nennen; denn, nach meiner Meinung, hat er diesen Titel sehr wohl um Sie verdient!« – »Um Sie ist sein Verdienst nicht geringer, denk' ich,« erwiderte Quadrat; »denn seine[213] Freigebigkeit, so wie sie nun ist, ist für beide von einerlei Maß.« – »Ich würde nicht der erste gewesen sein, dies zu erwähnen,« versetzte Schwöger, »weil Sie aber davon anfangen, so muß ich Ihnen zur Nachricht melden, daß ich darüber ganz verschiedener Meinung bin. Es ist in himmelweiter Unterschied unter freiwilligen Geschenken und unter Belohnungen. Die Pflichten, die ich in dieser Familie übernommen, und die Sorge, die ich für die Erziehung seiner beiden jungen Herrn gehabt habe, sind Dienste, für welche einige Leute mehr Erkenntlichkeit erwartet haben möchten. Doch müssen Sie deswegen eben nicht glauben, ich sei darüber mißvergnügt. Sankt Paulus hat mich gelehrt, zufrieden zu sein mit dem Wenigen, was ich habe. Wäre das Kleine noch geringer gewesen, so hätte ich meine Pflicht gekannt. Aber, obgleich die Schrift mich nötigt, mich mit meinem beschiedenen Teile zu begnügen, so befiehlt sie doch nicht, vor meinem eigenen Verdienst die Augen zu verschließen, oder mich zu enthalten, es zu sehen, wenn man mir durch eine ungerechte Vergleichung zu nahe tritt.« – »Weil Sie mich reizen,« erwiderte Quadrat, »so muß ich Ihnen denn sagen, daß mir zu nahe geschehen ist. Ich hätte mir in meinem Leben nicht eingebildet, daß Herr Alwerth meine Freundschaft so gering geachtet hätte, um mich mit einem, der seinen Jahrlohn zog, auf gleichen Fuß zu setzen: aber ich weiß wohl, woher es kommt. Es ist eine Folge von den eingeschränkten Grundsätzen, die Sie sich seit so langer Zeit bemüht haben ihm einzuflößen, mit Uebergehung alles dessen, was groß und edel ist. Die Schönheit und Liebenswürdigkeit der Freundschaft sind zu stark für seine Augen; und freilich kann man solcher durch kein andres Medium gewahr werden, als durch die untrügliche Regel des Rechts, welche Sie sich oft bemüht haben lächerlich zu machen, und wodurch Sie den Verstand meines Freundes verschroben haben.« – »Ich wünschte,« rief Schwöger ganz wütend, »ich wünsche, aus Liebe zu seiner Seele, daß Ihre verdammlichen Lehrsätze nicht seinen Glauben verschroben hätten. Darauf fällt die Schuld seines jetzigen, einem Christen so unanständigen Betragens. Nur ein Atheist konnte so sorglos die Welt verlassen, ohne vorher mit seiner Seele in Richtigkeit zu sein; ohne seine Sünden zu beichten und diejenige Absolution zu empfangen, die ihm, wie er wohl weiß, ein Mann zu erteilen nach allen Rechten befugt ist, den er selbst in seinem eignen Hause bei sich hat. Er wird den Abgang dieser Notdurft schon fühlen, wenn's zu spät ist. Wenn er an den Ort wird gekommen sein, wo Heulen ist und Zähnklappen; alsdann, alsdann wird er's erfahren, wie mächtig jene heidnische Gottheit, jene Tugend, die Sie und alle jetzigen Freigeister verehren und anbeten, ihm beistehen[214] und ihn vertreten wird. Dann wird er nach seinem Priester rufen, wenn keiner zu finden ist; dann wird er den Mangel der Absolution bereuen, ohne welche kein Sünder selig werden kann.« – »Wenn sie denn so unumgänglich nötig ist,« sagte Quadrat, »warum geben Sie ihm solche nicht ganz aus freien Stücken?« – »Sie hat keine Kraft,« schrie Schwöger, »als an denen, welche solche, nach der zuvorkommenden Gnade, begehren. Aber, warum sage ich dergleichen zu einem Heiden und Ungläubigen? Sie sind es, Herr, der ihm diese Lehren beigebracht hat, die Ihnen in dieser Welt so reichlich vergolten sind, wie Ihrem Jünger ohne Zweifel auch bald in der künftigen widerfahren wird.« – »Ich weiß nicht, was Sie unter meiner reichlichen Vergeltung verstehen,« sagte Quadrat; »wenn Sie aber auf das winzige Andenken unsrer Freundschaft anspielen, welches ihm beliebt hat mir zu vermachen, so verachte ich das, und nichts in der Welt, als die unglückliche Lage meiner Umstände, hätte mich vermögen können, es anzunehmen.«

Hier kam der Arzt dazu und erkundigte sich bei den Disputierenden, wie es oben stünde? »Höchst schlecht,« antwortete Schwöger. – »Das hab' ich mir wohl vorgestellt!« rief der Doktor. »Aber ich bitte, was für Symptomata haben sich hervorgethan, seitdem ich Sie verlassen habe?« – »Keine guten, besorg' ich,« versetzte Schwöger. »Nach dem was seit unsrem Weggehen vorgegangen ist, glaube ich, bleibt wenig Hoffnung.« Der leibliche Arzt mochte den Seelenarzt wohl mißverstanden haben, und noch ehe sie sich einander deutlicher erklärten, kam Blifil zu ihnen mit höchst melancholischer Miene und sagte ihnen, er bringe betrübte Nachricht, denn seine Mutter sei zu Salisbury gestorben. Sie sei auf der Heimreise von einer Kopf- und Magengicht befallen worden, woran sie in wenig Stunden verschieden. – »Je so bewahre! Je so bewahre,« sagte der Doktor. »Man kann für Unglück freilich nicht! Aber ich wünschte doch, ich wäre zur Hand gewesen, daß man mich hätte dazu rufen können. Podagra und Gicht sind Krankheiten, die nicht so leicht zu behandeln sind; aber ich bin noch immer vorzüglich glücklich damit gewesen.« Schwöger und Quadrat bezeugten beide Herrn Blifil ihr Beileid über den Verlust seiner Mutter, welchen der eine ihm riet zu ertragen als ein Mann und der andre als ein Christ. Der junge Herr sagte, er wisse sehr wohl, daß wir alle sterblich wären, und er wolle sich bestreben, sich seinem Verluste so gut als möglich zu unterwerfen. Indessen könne er sich doch nicht enthalten, sich ein wenig über die besondere Härte seines Schicksals zu beklagen, indem die Nachricht von einem so großen Unglück ihn so unerwartet überfiele, und gerade zu einer Zeit, da er stündlich den härtesten Schlag erwarten müsse, den das boshafte Glück ihn jemals fühlen[215] zu lassen im stande wäre. – Die gegenwärtige Gelegenheit, sagte er, würde die vortrefflichen Unterweisungen bewähren, welche er von den Herren Schwöger und Quadrat genossen habe, und nur ihnen allein würde er es zu verdanken haben, wenn er solche Unglücksfälle überleben könnte.

Es ward nun in Ueberlegung gezogen, ob man Herrn Alwerth vom Tode seinem Schwester Nachricht geben sollte. Der Doktor war heftig dagegen, und darin, glaube ich, hatte er die ganze vernünftige Fakultät auf seiner Seite. Herr Blifil aber sagte, er habe von seinem Onkel so ausdrückliche Befehle, ihm niemals aus dem Grunde weil's ihn beunruhigen könnte ein Geheimnis zu verschweigen, daß er nicht daran denken könne, ihm ungehorsam zu sein, was auch immer die Folgen davon sein möchten. Und für sein Teil, sagte er ferner, könne er, in Erwägung der religiösen und philosophischen Gemütsfassung seines Onkels, mit dem Doktor nicht einerlei Meinung sein. Er wäre also entschlossen, es ihm zu sagen, denn wenn sein Onkel wieder aufkäme (um was er den lieben Gott von Herzen bitten wolle), so wäre er überzeugt, er würde es ihm nie verzeihen, daß er ihm ein Geheimnis von dieser Wichtigkeit zu verhehlen getrachtet habe.

Der Arzt war genötigt, sich eine Entschließung gefallen zu lassen, welche von den beiden andern Herren so höchlich gerühmt wurde. Sonach gingen Blifil und der Doktor nach dem Krankenzimmer zu, wo der Arzt zuerst hineintrat und sich dem Bette näherte, um seinem Patienten an den Puls zu fühlen, welches er dann auch kaum gethan hatte, als er erklärte, er fände ihn viel besser, die letzte Medizin habe Wunder gethan und habe das Fieber bereits geschwächt; dergestalt, sagte er, scheine jetzt ebensowenig Gefahr mehr zu sein, als er vorher von Hoffnung besorgt hätte.

Die Wahrheit zu gestehen, so waren Herrn Alwerths Umstände gar nicht so schlimm gewesen als sie der Doktor vorgestellt hatte. So wie aber ein weiser General niemals seinen Feind für gering achtet, soviel er auch an der Anzahl schwächer sein mag, so hält ein weiser Arzt niemals eine Krankheit für gering, wenn sie auch noch so unbedeutend wäre. So wie der erste immer auf dieselbe strenge Mannszucht hält, eben die Posten ausstellt, eben die Patrouillen thun läßt, der Feind mag so schwach sein als er will, so behält der letzte immer dieselbe Ernsthaftigkeit in den Mienen, zuckt die Achseln und schüttelt den Kopf mit eben der Wichtigkeit, lass' die Krankheit so geringfügig sein als sie wolle. Und beide können unter manchen andern ganz guten auch diese sehr triftige Ursache für ihr Verfahren anführen, daß sie auf diese Art, wenn sie siegen, um so mehr Ehre einernten und um so weniger Unehre, falls sie[216] ja durch einen unglücklichen Zufall einmal den kürzeren ziehen sollten.

Herr Alwerth hatte nicht so bald sein Haupt emporgehoben und dem Himmel für die gute Hoffnung zu seiner Genesung gedankt, als sein Neffe Blifil mit einem höchst niedergeschlagenen Wesen seinen Stuhl näher zum Bette rückte und, nachdem er sein Taschentuch vor die Augen gebracht hatte, um seine Thränen abzuwischen, oder, wie Ovid sich irgendwo bei einer andern Veranlassung ausdrückt:


»Si nullus erit, tamen excute nullum,«


»Ist keine da, so wisch' die weg, die nicht da ist,«


machte er seinem Onkel bekannt, was der Leser eben erfahren hat.

Alwerth nahm die Nachricht auf mit Betrübnis, mit Geduld und mit Unterwerfung. Er vergoß eine Thräne der Zärtlichkeit, dann nahm er ein unruhiges Gesicht an und rief endlich aus: »Des Herrn Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden!«

Er erkundigte sich nunmehr nach dem Ueberbringer dieser Nachricht, aber Blifil sagte ihm, es wäre ihm unmöglich gewesen, den Mann nur einen Augenblick aufzuhalten, denn aus der übergroßen Eile, worin er gewesen, habe es ihm geschienen, daß er ein sehr wichtiges Geschäft in Händen haben müßte: er habe sich beklagt, daß er dergestalt herumgetrieben würde, daß er seines Lebens kaum froh würde, und habe oft wiederholt, daß, wenn er sich in vier Teile teilen könnte, er doch für jeden Teil der Geschäfte die Menge habe.

Herr Alwerth sagte darauf seinem Neffen, er möchte für das Leichenbegängnis Sorge tragen. Er äußerte dabei, daß seine Schwester in seiner eigenen Kapelle niedergesetzt werden möchte; die übrigen Umstände überließ er seiner eignen Willkür, nur daß er den Geistlichen ernannte, welcher bei der Bestattung sein geistliches Amt vernichten sollte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 212-217.
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