Vierzehntes Kapitel.

[287] Ist kurz. – Enthält ein nicht langes Gespräch zwischen Junker Western und Ihrer Gnaden, seiner Schwester.


Ihro Gnaden, Fräulein von Western, waren den ganzen Tag mit Besuchgeben beschäftigt gewesen. Der Junker begegnete Deroselben, als Sie wieder zu Hause kamen, und als dieselben sich nach Dero Fräulein Nièce Sophie erkundigten, so hinterbrachte denselben Dero Herr Bruder: er habe solche in sehr sichere Sicherheit gebracht: »Sie sitzt dir eingesperrt uf ihrer Kammer,« wisperte er ihr zu, »und Honorichen hat den Schlüssel!« Seine Blicke hatten etwas so unendlich Weises, Scharfsinniges und selbst Schlaues, als er seiner Schwester diese Nachricht gab, daß man wahrscheinlicherweise glauben muß, er erwartete von ihr für das, was er gemacht habe, nicht wenig Beifall. Aber, wie aus den Wolken fiel er, als sie mit höchst verachtungsvoller Miene ausrief: »Nun, wahrlich, mon frère! Sie sind doch der unbedachtsamste Mann im ganzen Reiche! Warum wollten Sie sich nicht auf meine Führung meiner Nièce verlassen? Warum müssen Sie sich, mon frère, immer dreinmischen? Da haben Sie nun wieder alles übern Haufen gestoßen, worüber ich mich fast aus dem Atem gesprochen habe um es zustandezubringen! da hab' ich mir nun die äußerste Mühe gegeben, ihr Gemüt mit den besten Maximen der Prudence anzufüllen; und mon frère kommen daher und reizen sie, solche zu verachten. Wir Frauenzimmer, mon frère, in polizierten Staaten, sind Gott Lob und Dank keine Sklavinnen! Auch lassen wir uns in diesem Reiche nicht so verschließen, wie die Weiber in dem unaufgeklärten Spanien und Italien. Das bitt' ich, sich zu merken! Wir haben ein so gutes Recht auf Freiheit, als ihr Männer selbst. Mit vernünftiger Ueberzeugung und nicht mit Gewalt und Macht regiert man uns. Ich kenne die Welt, mon frère, und weiß, was für Gründe man brauchen muß, und wenn Ihre Thorheit mich nicht verhindert hätte, so hätte ich's schon über sie erhalten wollen, daß sie ihre Aufführung nach den Regeln der Prudence und Discretion, die ich sie zuvor gelehrt habe, hätte einrichten sollen.« – »Nun, meine Seele, dacht ich's nicht?« sagte der Junker, »ich muß immer das Kalb in die Augen geschlagen haben!« – »Mon cher frère,« antwortete die Dame, »Sie schlagen dem Kalbe, wie Sie sagen, niemals anders in die Augen, als wenn Sie sich in Sachen mengen, die über den Horizont Ihres Wissens hinaus liegen. Das müssen Sie mir doch einräumen, daß ich am meisten von der Welt gesehen habe; und ein Glück für ma Nièce wär' es gewesen, wenn[288] man sie nicht aus meiner Erziehung weggenommen hätte. Nur dadurch, daß sie hier zu Hause mit Ihnen gelebt, hat sie die romanhaften Ideen von Liebe und solchem Unsinn gelernt.« – »Wirst doch nicht glauben, ma soeur!« schrie der Junker, »daß ich 'r solch dumm Zeug gelernt habe!« – »Ihre Unwissenheit, mon frère,« erwiderte sie, »erschöpft, wie der große Milton sagt, die letzte Kraft meiner Geduld1.« – »Was schert mich Milton!« entgegnete der Junker. »Hätt' er sich's unterstanden, mir so dumm Zeug ins Gesicht zu sagen, ich hätt'n ein' Dachtel ausgewischt hinter die Löffel und wär' er noch 'nmal so groß g'wesen und hätt 'ch an 'n 'rauf springen soll'n. – Geduld! seht mir doch! Wenn du mir damit kommst, 'ch habe mehr Geduld nötig als Hiob, wenn 'ch mich so aushunz'n lass'n muß, als 'n Schuljung mit 'n Bart, wie 'ch davor 'r steh. Alle Hagel! 'S wird ein'm 'ne rechte Lust und Freud' in der Welt, wenn kein' Seel drin mehr Verstand und Vernunft haben soll, als das Hofschranzen-Pack. Aber, alle Blitz! 'ch hoffe, die Zeit soll komm'n, daß wir's wieder zu Narren hab'n woll'n! und daß ein'r so klug sein soll als d'r andre! damit ist's all! Schwester, einer soll so klug sein als der andre, und damit Holla! Ich hoff' 's noch zu erleben, noch ehr und dies fremde Zeug von Rät'n und Ministerzeug 's Korn vorm Maule weggefress'n hat, und 's nichts nachläßt, als Rüb'n und Kartoff'ln zu fressen!« – »Mon frère!« schrie die Schwester. »Ich gestehe, Sie sprechen da Dinge, die weit über allen menschlichen Verstand hinaus sind. Ihre Weisheit von Korn vorm Maule, Rüben und Kartoffeln, ist mir völlig unverständlich.« – »Glaub's wohl,« schrie er, – »davon magst du nichts hören. Aber' 's Beste der Nation kann doch, magst's woll'n oder nicht, kann doch 'nmal oben schwimmen.« – »Ich wollte wünschen, mon frère, Sie dächten ein wenig auf das Beste Ihrer Tochter! denn glauben Sie mir, mon frère, sie ist in größerer Gefahr als die Nation.« – »'S ist ja noch kein'n Augenblick her, da schaltst du mich aus dafür, daß 'ch dran gedacht hatte! da wollt'st du, ich sollt's dich überlassen!« – »– Und wenn mir mon frère versprechen wollen, sich nicht weiter hineinzumischen,« versetzte sie, »so will ich aus besonderer Liebe zu ma Nièce, die Sorge für sie noch über mich nehmen!« – »Nun so thu's denn,« sagte der Junker. »Denn du weißt ja, 's ist immer mein Singen und Sagen g'west, daß Weibsen am besten wiss'n, wie sie Weibsen dressieren sollen.«

Ihro Gnaden, Fräulein von Western, begaben sich darauf hinweg[289] und murmelten so ein wenig piano, mit einer ziemlich höhnischen Miene, von Weibsen und Dressieren, und Regierung der Nation. – Sie begab sich geraden Wegs nach Sophiens Zimmer, welche nun, nach dem Arreste von einem Tage, wieder aus ihrer Gefangenschaft erlöst wurde.

Fußnoten

1 Der Leser möchte vermutlich die letzte Kraft seiner Geduld erschöpfen, wenn er diese Stelle im Milton aufsuchen wollte.

A.d. Autors.


Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 287-290.
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