Neuntes Kapitel.

[266] Beschreibung des Morgens im blumenreichen Stil. Eine ordentliche Postkutsche. Höflichkeit der Kammerjungfern. Sophiens Heldenmut und Großmut. Abreise der Gesellschaft und ihre Ankunft zu London, nebst einigen Bemerkungen zu Nutz und Frommen reisender Personen.


Jene Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, geboren die Erquickungen des Lebens zu erzielen, begannen jetzt ihre Lampen und Lichter anzuzünden, um ihren täglichen Geschäften zum Dienste derer nachzugehen, welche geboren sind, diese Erquickungen zu genießen. Der stämmige Pflüger wartet jetzt auf bei dem Lever seines Gespannes am Landbau, des Ochsen; der grübelnde Künstler, der fleißige Handwerker, springen auf von ihren harten Matratzen, und nun beginnt die wackere Hausmagd die verpolterten Spielzimmer wieder[266] aufzuräumen und zu putzen, derweil die nachtschwärmenden Urheber dieser Unordnung in kurzem unterbrochenen Schlummer sich herumwälzen und werfen, als ob die Härte der Flaumfedern ihre Ruhe unterbräche.

Im kunstlosen Ausdruck: die Glocke hatte kaum sieben geschlagen, als die Damen reisefertig waren, und als auf ihr Begehren der Herr Graf und seine Equipage bereit stunden, ihre Aufwartung zu machen.

Und nun erhob sich eine kleine Schwierigkeit, und diese war, wie Seine hochgräfliche Gnaden selbst fortkommen sollten? Denn obgleich in den ordinären Postkutschen, wo die Passagiere eigentlich nur für so manches Stückchen Gepäcke geachtet werden, der sinnreiche Postillion ein halbes Dutzend mit aller Bequemlichkeit in einen Platz für Viere hineinstopft; denn er weiß es sehr künstlich zu machen, daß die fette Gastwirtin, der wohlbeleibte Aldermann nicht mehr Raum bekommen, als das enggeschnürte Jüngferlein oder der schlanke Stangenläufer, weil es in der Natur der Gedärme liegt, daß sie, wenn man sie scharf drückt, nachgeben, und sich in einen engen Raum bequemen: so hat man doch noch nie versucht, diese Art zu packen, in jenen Fuhrwerken zu versuchen, welche man zum ehrenvollen Unterschiede herrschaftliche Kutschen nennt, obgleich sie oft geräumiger sind als die andern.

Der edle Graf wollte dieser Schwierigkeit dadurch ein baldiges Ende machen, daß er sich sehr höflicherweise die Erlaubnis ausbat, sein Reitpferd zu besteigen; darein wollt' aber Madame Fitz Patrick keineswegs willigen. Sonach ward beschlossen, daß die Zofen wechselsweise einander ablösen, und des Herrn Grafen Pferd reiten sollten, welches also zu dem Ende ungesäumt mit einem Quersattel belegt wurde.

Nachdem in dem Gasthofe alles berichtigt worden, entließen die Damen ihre bisherigen Pferde und Vorreiter, und Sophie machte dem Gastwirt ein Geschenk, teils um die blauen Flecken zu waschen, welche er unter ihrer eignen Person, bekommen hatte, teils um die Schmerzen zu vergüten, welche er unter den Händen ihrer wütenden Kammerjungfer erlitten hatte. Und jetzt erst entdeckte Sophie einen Verlust, der ihr einige Unruhe verursachte, und dieser bestand in der Banknote von hundert Pfund, womit ihr Vater sie bei ihrer letzten Unterredung beschenkt hatte, und welche nebst einer andern unbedeutenden Kleinigkeit den ganzen Reichtum ausmachte, den sie für jetzt besaß. Sie suchte allenthalben, kehrte und schüttelte alle ihre Taschen durch und durch, aber vergebens; die Banknote war nirgends zu finden, und Sophie wurde zuletzt völlig überzeugt, daß sie solche aus der Tasche verloren hätte, als sie das Unglück[267] hatte, auf dem dunkeln Anger vom Pferde zu fallen, wie wir damals anzeigten. Ein Faktum, das um so wahrscheinlicher schien, da sie sich erinnerte, daß damals eine Unordnung in ihren Poschen vorgefallen, und daß sie kurz vor ihrem Falle große Schwierigkeiten gehabt hätte, das Tuch hervorzuziehen, welches sie Madame Fitz Patrick gegeben, um damit ihr Kasket festzubinden. Unglücksfälle von dieser Art, was für Ungelegenheiten solche auch nach sich ziehen können, sind ohne Zusatz von Geiz nicht vermögend ein Gemüt niederzuschlagen, in welchem sich nur irgend einige Stärke befindet. Sophie also, ob ihr gleich in ihrer Lage nichts unzeitiger begegnen konnte als dieser Zufall, brauchte nicht viele Zeit, um diesen Kummer zu besiegen, und kehrte mit gewöhnlicher Heiterkeit und Munterkeit zur Gesellschaft zurück. Der Herr Graf führte die Damen in den Wagen, gleichergestalt auch Jungfer Honoria, welche nach vielen höflichen Zierereien, und noch mehreren ach liebste Mamsell! am Ende dem lebensartigen Weigern und Nötigen ihrer Schwester Abigail nachgab, und sich die Ehre gefallen ließ, die erste Station über den untersten Ehrenplatz in der Kutsche zu nehmen. Und in der That würde sie sich eben nicht drüber erzürnt haben, solchen die ganze Reise über auszufüllen, hätte nicht ihre Gebieterin nach verschiedenen fruchtlosen halben Worten und Winken, sie endlich deutlich genötigt, mit ihrer Gespons zu Pferde im Reiten zu wechseln.

Nachdem nunmehr die Kutsche ihre Gesellschaft aufgenommen hatte, rückte sie vorwärts unter Begleitung von vielen Bedienten und von zwei Offizieren auf halben Sold, welche vorher mit dem Herrn Grafen im Wagen gesessen hatten und sich bei einem weniger ehrenvollen Anlaß, als diesen zwei würdigen Damen Platz zu machen, daraus hätten verabschieden lassen. Hierin thaten sie weiter nichts, als was wackern Männern geziemt; sie waren aber zu jeder Zeit bereit und willig Lakaiendienste zu verrichten, oder hätten sich auch wohl noch etwas tiefer herabgelassen, bloß wegen der Ehre von Seiner hochgräflichen Gnaden Gesellschaft und wegen der Bequemlichkeit seiner Tafel.

Der Herr Gastwirt war so vergnügt über das Geschenk, welches er von Sophiens Händen empfangen hatte, daß er sich über seine Flecken und Striemen mehr freute als beklagte. Der Leser ist vielleicht neugierig, das Quantum dieses Geschenks zu erfahren, wir können aber seine Neugierde nicht befriedigen. Sei es gewesen, wie viel es wolle, es stellte den Wirt über seinen am Körper genommenen Schaden zufrieden, aber das bedauerte er, nicht vorher gewußt zu haben, wie wenig die Dame sich aus dem Gelde mache, »denn,« sagte er, »man hätte sicherlich jeden Artikel doppelt ansetzen können, und sie würde doch nichts an der Rechnung abgedungen haben.«[268]

Seine Hausehre war indessen weit entfernt ebenso zu schließen wie er. Ob sie nun wirklich eine jede ihrem Manne angethane Beleidigung empfindlicher fühlte als er selbst, das kann ich nicht sagen; gewiß aber ist, sie war mit Sophiens Freigebigkeit weit weniger zufrieden. »In der That, lieber Mann,« sagte sie, »die Dame weiß besser, wie sie ihr Geld anwenden soll, als du wohl meinst, sie konnte sich leicht einbilden, daß wir für nichts und wieder nichts solch einen Schimpf nicht hingehen lassen wollten, und ein Injurienprozeß müßte ihr einen großen Haufen mehr gekostet haben, als die armselige Kleinigkeit, über die ich mich wundere, daß du sie dir hast in die Hand stecken lassen können.« – »Du, du bist immer so klug, als ob du könntest Gras wachsen hören,« sagte der Herr Ehgemahl. »Mehr würd' es ihr gekostet haben? So! hm! Meinst wohl, ich wüßt' das nicht ebensogut als du? Aber, wäre das mehr oder auch nur so viel in unsern Sack gekrümelt! Ja, wenn so ein Thoms der Advokat noch gelebt hätte, so hätt' ich mir über die Gelegenheit noch eine Freude machen können, ihm einen so hübschen fetten Triefbraten in die Hände zu spielen. Es wäre noch hübsch dabei zu stippen gewesen, aber so hab' ich keinen Verwandten, der ein Jurist ist, und sollt' ich mich mit Prozessen einlassen, um einem ganz wildfremden Menschen etwas zu verdienen zu geben?«

»Ja, nu wohl, freilich!« antwortete sein Eheschatz, »du mußt es am besten wissen.« – »So mein' ich, wüßt' ich auch!« erwiderte er. »Wo Geld zu holen ist, sollt' ich denken, hätt' ich eben eine so gute Spürnase als nur einer. Nicht jedermann, das laß dir nur sagen, hätte dies aus den Leuten herausgeschwatzt. Merk' dir das! nicht jedermann sag' ich, hätt' ihr so viel abgekoset, merk' dir das.« Die Frau stimmte nun mit ein in den Beifall, den ihr Ehemann seiner eignen Schlauigkeit gab, und damit endete sich ihr kurzes Gespräch bei dieser Veranlassung.

Wir wollen also von diesen guten Leuten hiermit Abschied nehmen und dem hochgebornen Herrn Grafen und seinen Gefährtinnen Gesellschaft leisten, welche mit solcher Hurtigkeit reisten, daß sie binnen zwei Tagen einen Weg von beinahe vierzig Stunden zurücklegten und des andern Abends, ohne daß ihnen unterwegs ein Abenteuer aufgestoßen, welches zu erzählen der Würde dieser Geschichte angemessen wäre, wohlbehalten in London ankamen. Unsre Feder soll deshalb die Schnelligkeit nachahmen, welche sie beschreibt, und unsre Geschichte soll Schritt halten mit den Reisenden, die ihr Gegenstand sind. Gute Schriftsteller thun wirklich wohl, wenn sie es in diesem Stücke machen wie der verständige Reisende, der allemal seinen Aufenthalt an einem Orte nach den Schönheiten und Merkwürdigkeiten, welche er enthält, abmißt. Zu Eshur, zu[269] Stowe, zu Wilton, zu Eastbury und Priorspark sind ganze Tage zu kurz für die entzückte Imagination, wenn wir die Zauberkraft der Kunst bewundern, womit sie die Natur zu verschönern vermag. An einigen dieser Plätze zieht die Kunst hauptsächlich unsre Bewunderung auf sich, in andern ringen Natur und Kunst um unsern Beifall; in dem letztern Orte aber scheint die erste den Sieg davonzutragen, hier erscheint die Natur in ihrem prachtvollsten Gewande, und die Kunst in der bescheidensten Einfalt gekleidet tritt hinter ihrer milden Gebieterin einher. Hier schüttet die Natur wirklich die ausgesuchtesten Schätze aus ihrem Füllhorn, womit sie so mildgebend gegen diese Welt ist, und hier weist die menschliche Natur einen Gegenstand auf, welcher nur in jener übertroffen werden kann. Eben der Geschmack, eben die Einbildungskraft, welche in diesen herrlich geschmückten Szenen in Geistes-Wollust schwimmen, können auch ihre Unterhaltung finden an Gegenständen von weit niederem Gehalt. Die Wälder, die Bäche, die Wiesen von Devon und Dorset ziehen die Augen des verständigen Reisenden auf sich und verzögern seine Schritte, welchen Verzug er nachmals dadurch wieder einbringt, daß er schnell hinwandelt über die kahlen Bagshotter Heiden, oder die liebliche Ebene, die sich von Stockbridge westwärts hinzieht, auf welcher in einer Strecke von vier Stunden sich kein Gegenstand erblicken läßt, als ein einziger einsamer Baum, es sei denn, daß die Wolken aus Mitleiden mit unsern vor langer Weile vergehenden Gedanken ihren buntgemalten Teppich zum Prospekt für unsre Augen gütig ausbreiteten.

Nicht also reist der geldspähende Kaufmann, der tiefdenkende Richter, der ehrenbegabte Doktor, der warmbekleidete Viehhändler, nebst der ganzen zahlreichen Sippschaft des Reichtums und der Fühllosigkeit. Fort watscheln sie mit gleichem Schritt durch schmelzbeblümte Wiesen, wie über kahle dürre Heiden; ihre Rosse messen gleiche Anzahl von Schritten von Stunde zu Stunde, und irren wenig oder nichts in der abgemessenen Zahl; das Auge des Tiers und das Auge seines Herrn sehen in gleicher gerader Richtung vor sich hin, und sind beschäftigt einerlei Gegenstände auf einerlei Weise zu schauen. Mit einerlei Entzücken beguckt der gute Reiter den stolzesten Triumph der Baukunst und jene niedlichen Gebäude, womit irgend ein unbekannter Name die reiche Weberstadt geschmückt hat, woselbst Haufen von gebrannten Ziegeln aufgestapelt stehen, als sollten sie zu einer Art von Denkmal dienen, daß dort ehedem aufgestapelte Geldhaufen gestanden haben.

Und nun, mein Leser, weil wir große Eile haben, unsrer Heldin die Aufwartung zu machen, so wollen wir's deinen eignen Einsichten überlassen, alles das Gesagte auf die poetischen Büchermacher und[270] auf solche Schriftsteller, die ihre Gegenfüßler sind, richtig anzuwenden. Dies wirst du mehr als reichlich im stande sein, ohne unsre Hilfe zu verrichten. Denn ob wir dir gleich allemal an schweren Stellen den erforderlichen Beistand leisten wollen, weil wir nicht, wie wohl andre pflegen, von dir erwarten, daß du Wahrsagerkünste anwenden könnest um unsre Meinung zu entdecken, so sind wir doch nicht gesonnen alsdann deiner Faulheit ein Polster unterzulegen, wenn nichts weiter als deine eigene Aufmerksamkeit dazu gehört. Denn du irrst dich weidlich, wenn du dir einbildest, wir wären, als wir dies große Werk begannen, des Vorsatzes gewesen, deinem Nachdenken gar nichts zu thun zu lassen, oder wir hätten gedacht, du würdest, ohne dies Talent im geringsten zu üben, fähig sein, durch unsre Seiten und Bogen mit irgend einigem Nutzen oder Vergnügen hindurchzureisen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 266-271.
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