Siebentes Kapitel.

[298] Enthaltend eine oder ein paar Bemerkungen von unsrer eigenen Fabrik, und noch verschiedene mehr, welche von der Gesellschaft in der Küche gemacht wurden.


Obgleich sich die Eitelkeit Rebhuhns nicht so weit erniedrigen wollte, zu bekennen, daß er ein Bedienter sei, so ließ er sich doch in vielen Dingen so weit herab, daß er die Manieren dieser Rangklasse nachahmte. Eine davon war, daß er das Vermögen seines Reisekompagnons, wie er Jones nannte, gar weidlich herausstrich:[298] denn dies ist eine allgemeine Gewohnheit aller Bedienten, wenn sie sich unter fremden Leuten befinden, weil keiner von ihnen gerne dafür gehalten sein will, daß er einen Bettler bediene; sie meinen, je höher der Herr im Range sei, je höher stehe auch folglich sein Diener. Die Wahrheit dieser Bemerkung erhellt aus dem Betragen aller Bedienten beim hohen Adel.

Allein obgleich Rang und Vermögen einen Glanz um sich her verbreiten und die Bedienten von Leuten von großem Range und Reichtum selbst einen Anspruch auf einen Teil des Respekts zu haben glauben, welchen man dem Range und den Gütern ihrer Herren erweist: so ist es doch klarerweise ganz anders damit beschaffen in Rücksicht auf Tugend und Verstand. Diese Vorzüge sind im strengsten Sinne persönlich und verschlingen selbst alle den Respekt, welchen man ihnen schuldigermaßen zollt. Dieser Respekt ist nun freilich so unbeträchtlich, daß sie sehr wenig übrig behalten haben, mit andern zu teilen. Da diese nun keine Ehre auf den Domestiken zurückwerfen, so ist er auch durch den kläglichsten Mangel seines Herrn an beiden im geringsten nicht entehrt. Freilich ist es eine ganz andre Sache in Ansehung des Mangels dessen, was man bei einer Damenherrschaft Tugend nennt; deren Wichtigkeit haben wir vorhin schon bemerkt. Diese Art Unehre ist gewissermaßen ansteckend und teilt sich so ungefähr wie die leidige Seuche der Armut allen denen mit, die ihr nahe kommen.

Dieser Ursachen halber müssen wir uns nicht wundern, daß Bediente (ich rede hier von männlichen) so sehr geflissentlich darauf bedacht sind, den großen Ruf ihrer Herren im Punkt des Reichtums im Ansehn zu erhalten und sich um die Ehre ihres Charakters in jeder andern Rücksicht fast wenig oder gar nicht bekümmern, und daß, so sehr sie sich schämen würden, einem Bettler zu dienen, sie sich doch nichts daraus machen, einem listigen Schelme oder einfältigen Dummkopfe aufzuwarten, und sich folglich kein Bedenken machen, die listigen Ränke oder einfältigen Thorheiten dieser besagten Herren so weit als möglich auszubreiten, und zwar dies oft mit vielem Spott und vieler Laune. Wirklich ist ein Bedienter oft ein schöner Geist oder ein süßer Herr auf Kosten desjenigen, dessen Livree er trägt. Als sonach Rebhuhn die großen Güter sehr stattlich herausgestrichen hatte, die Herr Jones einmal ererben würde, teilte er auch sehr unverhohlen die Besorgnis mit, die ihm seit gestern zu Kopfe gestiegen war und zu welcher, wie wir uns gleich damals ein wenig merken ließen, Jones' Aufführung einen hinlänglichen Grund gegeben zu haben schien. Kurz er war nunmehr so ziemlich in seiner Meinung bestärkt, daß es bei seinem Herrn nicht so ganz richtig im Kopfe wäre! Mit welcher Meinung er gegen[299] die gute Gesellschaft um das Feuer herum so ziemlich plumperweise herausplatzte.

Dieser Meinung trat der Marionettenspieler auf der Stelle bei. »Ich muß gestehn,« sagte er, »der Herr setzte mich in Erstaunen, als er so ohn' alle Vernunft über meine Puppenspiele redete. Es ist beinahe unbegreiflich, daß irgend ein Mensch bei gesundem Verstande so falsch sollte urteilen können. Was Sie mir da jetzt sagen, daraus lassen sich alle seine monströsen Begriffe sehr gut erklären. Der arme Herr! er geht mir herzlich nah. Wirklich, seine Augen gingen ihm sehr wild im Kopfe herum, das merkt' ich gleich vorhin, ob ich gleich nichts davon sagen mochte.«

Der Wirt bestätigte diese letzte Behauptung und schrieb sich gleichfalls die Scharfsichtigkeit zu, es schon vorhin bemerkt zu haben. »Und gewißlich,« fuhr er fort, »'s muß wahr sein: denn niemand anders als 'n toller Mensch hätt' nur drauf denken können, ein so gutes Haus zu verlassen, um bei so später nachtschlafender Zeit auf den Heerstraßen herumzuwanken.«

Der Accisbeamte nahm seine Pfeife aus dem Munde und sagte: »Er dächte, der Herr hab'n bißchen wild ausgesehn und gesprochen.« Drauf wendete er sich an Rebhuhn und sagte: »Wenn er im Kopf verrückt ist, so sollte man nicht leiden, daß er so frei unter den Leuten herumgehen dürfte, denn er kann sehr leicht groß Unheil anrichten; 's ist eine Sünde,« sagte er, »daß man 'n nicht festnimmt und seinen Verwandten nach Hause schickt.«

Nun spukten wirklich schon einige dergleichen Einfälle in Rebhuhns Gehirn herum, denn weil er nichts gewisser glaubte, als Jones wäre dem Herrn Alwerth entlaufen, so versprach er sich die größte Belohnung, wenn er ihn auf irgend eine Weise wieder nach Hause zurückschaffen könnte. Aber seine Furcht vor Jones, dessen Mut und Kräfte er schon einigemal gesehen und wirklich gefühlt hatte, ließ ihn gleichwohl ein solches Vorhaben als völlig unausführbar betrachten, und sonach war er abgeschreckt worden, einen ordentlichen regelmäßigen Plan für diesen Endzweck zu ersinnen. Sobald er aber die Gesinnung des Accisbedienten vernahm, ergriff er die Gelegenheit mit der seinigen hervorzurücken und äußerte den herzlichen Wunsch, daß man so etwas wirklich möchte zustande bringen können.

»Zustandebringen können!« sagte der Mann von der Accise; »nun, nichts ist leichter.«

»Ach Herr,« antwortete Rebhuhn, »Sie kennen ihn nicht. Er hat Ihnen einen rechten Teufel im Leibe. Er kann mich mit einer Hand aufheben und mich zum Fenster hinauswerfen, und das thät' er gewiß, wenn er nur im geringsten Unrat merkte.«[300]

»Pah!« sagte der Accisbeamte. »Ich glaube, ich bin ebenso gut 'n Mann wie er. Ueberdem so sind ja unser fünfe.«

»Ich weiß nicht, was Sie mit Ihren fünfen wollen,« rief die Wirtin; »mein Mann soll damit nichts zu schaffen haben, und in meinem Hause soll auch niemand an einen Menschen gewaltsame Hand anlegen. Der junge Herr ist ein so hübscher junger Herr, als ich mein Lebelang gesehen habe, und ich glaube, er ist ebensowenig irre im Kopf, als einer von uns. Ich weiß nicht, was ihr Leute damit sagen wollt, daß die Blicke in seinen Augen wild sein sollen. Es sind die niedlichsten Augen, die ich all' mein Lebelang gesehen habe, und er kann da so niedlich mit umhersehen! Und ein recht bescheidner, höflicher junger Mann ist er auch, das muß wahr sein! Fürwahr ich hab' ihn seitdem recht herzlich bedauert. Der Herr da im Winkel erzählte uns, er hätte Kreuz und Leiden mit seinem fein's Liebchen. Und gewiß, das ist schon genug, daß ein jedweder Mann und besonders so ein süßer, scharmanter Herr als er ist, ein bißchen anders aussehen muß, als er sonst aussah. Die Braut, in der That! was zum Geier will denn die Braut wohl besser haben, als einen so schönen wackern Mann mit so mächtig großen Gütern? Es muß wohl so eine von dem hochadligen Volke sein, so eine von den Madamen Townny's, wie wir gestern im Marjenetenspiel sahen, die ihr Lebelang nicht wissen, was sie wollen.«

Der Aktenschreiber erklärte gleichfalls, er wolle mit dem Handel nichts zu schaffen haben, ohne erst vorher einen Lizentiaten zu fragen. »Gesetzt,« sagte er, »man brächte eine Klage wegen gesetzwidrigen Verhafts gegen uns ein, was könnten wir exzeptieren? Wer weiß alles, was dazu gehört, um vor geschwornen Richtern zu beweisen, daß ein Mensch toll ist? Aber ich sage das nur allein für meinen eignen Kopf, denn es schickt sich für einen Rechtsgelehrten nicht, sich in solche Händel zu mischen, wenn's nicht ist als Advokat oder als Konsulent. Die geschwornen Richter sind uns niemals so günstig als andern Leuten. Ihnen will ich also nicht davon abraten, Herr Thomson« (zu dem Accisbedienten), »noch dem Herrn, noch sonst jemand.«

Der Accisbediente schüttelte seinen Kopf bei dieser Rede, und der Marionettenprinzipal sagte: »die Tollheit wäre zuweilen vor Richtern sehr schwer zu beweisen. Denn,« fuhr er fort, »ich erinnere mich noch, ich war einmal bei einem Gerichtsverhör über Tollheit, worin zwanzig Personen den Zeugeneid ablegten, daß die Person ebenso wahnsinnig wäre als ein Märzhase, und zwanzig andre schwuren, er wäre ebensogut bei vernünftigen Sinnen als nur irgendein Mensch im ganzen Königreiche. Und in der That waren[301] alle Leute der Meinung, es wäre nur bloß ein Kniff von seinen Verwandten, um sich des Vermögens des armen Menschen zu bemächtigen.«

»Das kann wohl sein,« rief die Wirtin. »Ich habe selbst einen armen Herrn gekannt, den seine Familie sein ganzes Leben lang in einem Irrenhause eingesperrt hielt und sich's von seinem Gelde wohl sein ließ. Aber sie hatten kein Gedeihen dabei, denn ob's ihnen gleich von Gerichtswegen zugesprochen war, so kam's ihnen doch von Rechtswegen nicht zu.«

»Pah!« schrie der Schreiber ganz höhnisch, »was einem von Gerichtswegen zugesprochen wird, das kommt einem von Rechtswegen zu. Wenn mir das beste Gut im Lande von Gerichtswegen zugesprochen würde, den Henker wollt' ich mich drum bekümmern, wem's von Rechtswegen zukäme!«

»Wenn dem also ist,« sagte Rebhuhn, »felix quem faciunt aliena pericula cautum.«

Der Wirt, welcher durch die Ankunft eines Reisenden zu Pferde vor den Thorweg hinausgerufen worden, trat wieder zur Küche herein und rief aus mit bangem Gesicht: »Was denken Sie, meine Herren, die Rebellen sind dem Herzog entwischt und sind fast schon bis London gekommen – 's ist ganz gewiß wahr; denn eben hat mir's ein Mann zu Pferde erzählt.«

»Ei, das ist mir von Herzen lieb,« schrie Rebhuhn, »denn so wird hier in dieser Gegend nichts zu fechten vorfallen.«

»Mich freut's,« rief der Schreiber, »aus einer bessern Ursache, denn ich möchte immer, daß ein jedweder bekäme, was ihm von Rechtswegen gehört.«

»Ja wohl, freilich,« antwortete der Wirt. »Aber ich habe wohl Leute sagen hören, daß dem Ritter von Rechtswegen nichts zukomme.«

»Ich will den Augenblick das Gegenteil beweisen,« rief der Schreiber. »Wenn mein Vater stirbt im Besitz eines Rechts, merken Sie mich, merken Sie mich wohl, im Besitz eines Rechts, sag' ich, fällt nicht das Recht auf seinen Sohn, und fällt nicht ein Recht so gut auf den Sohn, als das andere?«

»Aber wie kann er ein Recht haben, uns zu Papisten zu machen?« sagte der Wirt.

»Keine Furcht davor!« rief Rebhuhn. »Was das Recht anbetrifft, das hat der Herr da bewiesen, so hell als die Sonne, was aber die Religion anlangt, die hat gar nichts mit der Sache zu thun. So was erwarten die Papisten selbst nicht einmal. Ein katholischer Priester, den ich recht gut kenne und der ein sehr ehrlicher Mann ist, hat mich auf seine Treue und Glauben versichert, daß sie an so was gar nicht dächten.«[302]

»Und ein andrer Priester von meiner Bekanntschaft,« sagte die Wirtin, »hat mir ebendasselbe gesagt. Aber mein Mann hat immer so eine Furcht vor den Papisten. Ich kenne eine große Menge Papisten, die eine recht wackre Art von Leuten sind und mit ihrem Gelde gar nicht knickern, und ich hab's mein Lebenlang damit gehalten, daß des einen Mannes sein Geld ebensogut ist als des andern sein's.«

»Sehr wahr, Frau Wirtin!« sagte der Puppenmeister, »meinetwegen mag eine Religion kommen, welche will, wenn nur nicht die presbyterische die Oberhand behält, denn das sind Feinde vom Marionettenspielen.«

»So, so! Ihrem Eigennutze wollten Sie also Ihre Religion aufopfern,« rief der Mann bei der Accise, »und wünschen, daß das Papsttum aufkomm', nicht wahr?«

»Gewiß nicht,« antwortete der andre. »Ich bin dem Papsttum so feind als es nur ein Mensch sein kann; aber 's ist einem doch noch ein Trost, daß man dabei sein Brot verdienen kann; das könnt' ich aber ja nicht bei der presbyterischen Religion. Das ist ausgemacht, ein jeder Mensch trachtet zuerst nach seinem ordentlichen Auskommen, das muß mir niemand abstreiten, und ich wette, wenn Sie die Wahrheit bekennen wollen, so fürchten Sie nichts mehr als Ihr Amt zu verlieren. Aber das hat keine Not, Freund! Accise wird sein unter einer andern Regierung sowohl, als unter dieser.«

»Das ist nun gewiß,« erwiderte der Accisbediente. »Ich müßte wohl ein schlechter Mann sein, wenn ich nicht des Königs Wort spräche, dessen Brot ich esse; das ist ja ganz natürlich, wie man zu sagen pflegt. Denn was geht's mich an, daß unter einer andern Regierung auch ein Accishof sein würde, weil meine Freunde vom Ruder kommen würden und ich ja nichts bessers erwarten könnte, als daß ich ihnen nachfolgen müßte. Nein, nein, Freund, ich werde mich niemals um meine Religion herumschwatzen lassen, bloß in Hoffnung einen Dienst unter einer andern Regierung zu bekommen, denn einen bessern kriegt' ich doch gewiß nicht, und sehr vermutlich wär' er schlechter.«

»Ja nun, das ist ja was ich sage,« rief der Wirt, »so oft die Leute sprechen, wer weiß was sich zutragen kann! Schlapperment! wär' ich nicht ein Schafskopf, wenn ich mein Geld, ich weiß nicht wem liehe, weil sich's zutragen könnte, daß er mir's wiedergäbe? In meinem Schrank ist's sicher, das weiß ich, und darin will ich's behalten.«

Der Aktenschreiber fand ein großes Gefallen an Rebhuhns weiser Denkungsart. Ob dies nun von der tiefen Kenntnis herkam, welche der erste von Menschen und Dingen besaß, oder ob[303] es in der Sympathie ihrer Gemüter seinen Grund hatte, denn sie waren beide im Herzen treue Jakobiten, genug sie reichten einander die Hände, schüttelten solche recht herzlich und tranken volle Kannen Doppelbier auf Gesundheiten, die wir hier lieber in Vergessenheit begraben wollen.

Diese Gesundheiten gingen hernach die Reihe rund herum und wurden von allen, selbst vom Wirt, obgleich ein wenig wider Willen, getrunken. Er konnte aber den Drohungen des Schreibers nicht widerstehen, welcher schwur, er wollte keinen Fuß wieder in sein Haus setzen, wenn er sie ausschlüge. Die Gläser gingen bei dieser Gelegenheit so fleißig in die Runde, daß sie bald der Konversation ein Ende machten. Deswegen wollen wir auch hier das Kapitel endigen.


Ende des zweiten Bandes.[304]

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 298-305.
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