Zehntes Kapitel.

[128] Ein kurzes Kapitel, welches das Buch beschließt.


Die lange Abwesenheit des Onkels und des Neffen hatte bei allen denen, die sie verlassen hatten, einige Unruhe erregt, um so mehr als während des vorstehenden Dialogs der Oheim mehr als einmal seine Stimme so stark erhoben hatte, daß man solche im untern Stocke hören konnte, welches, ob sie gleich nicht unterscheiden konnten, was er sagte, die Mutter und Tochter, und in der That auch selbst Herrn Jones eine schlimme Vorbedeutung ahnen ließ.

Als die gute Gesellschaft also wieder von neuem beisammen war, sah man eine deutliche Veränderung auf ihren Gesichtern und die gute Laune, welche vorher, ehe sie sich getrennt hatte, allgemein aus aller Mienen hervorblickte, hatte sich jetzt in weit unangenehmere Aspekten verändert. Eine Veränderung, die freilich dem Wetter in unserm Himmelsstriche gewöhnlich genug ist; nämlich vom Sonnenscheine zu Wolken, vom Junius bis zum Dezember.

Diese Veränderung ward indessen von keinem der Gegenwärtigen eben sonderlich bemerkt, denn weil jetzt ein jeder damit beschäftigt war seine Gedanken zu verbergen und eine Rolle zu spielen, so wurden sie alle zu emsig auf der Bühne beschäftigt, um als Zuschauer zu sehen, was drauf vorginge. Sonach sahen weder der Onkel noch der Neffe an der Mutter oder Tochter das geringste Anzeichen von Argwohn, ebensowenig bemerkte die Mutter oder Tochter die übertriebene Höflichkeit und Gefälligkeit des alten Mannes, noch das Gezwungene der Munterkeit, welche der junge seinen erschlafften Gesichtsmuskeln einprägen wollte.

Etwas diesem ähnliches trägt sich, wie ich glaube, sehr oft zu, wenn die ganze Aufmerksamkeit zweier Freunde auf die Rolle gespannt ist, die ein jeder zu spielen hat, um einem andern eine Nase zu drehen, und keiner die List, die wider ihn angewendet wird, weder sieht noch argwöhnt und sonach denn (um bei dieser Gelegenheit von der Fechtkunst eine nicht unschickliche Metapher zu entlehnen) der Stoß von beiden Seiten trifft.

Aus eben der Ursache ist es nicht ungewöhnlich, daß beide[128] Parteien bei einem Tauschhandel überlistet werden, obgleich immer der eine mehr verlieren muß als der andre; sowie jener, der ein blindes Pferd verkauft und dafür in falscher Münze die Bezahlung erhielt.

Unsre Gesellschaft brach nach einer halben Stunde auf, und der Onkel nahm seinen Neffen mit sich hinweg. Vorher aber hatte der letztre noch Gelegenheit gefunden, seiner Nanette die Versicherung zuzuflüstern, daß er sich des nächsten Morgens früh bei ihr einstellen und alle seine Versprechungen erfüllen würde.

Jones, der bei diesem Auftritte das wenigste zu thun hatte, sah am meisten. Ihm ahnte wirklich die Sache wie sie war, denn außerdem, daß er die große Veränderung in dem Betragen des Onkels bemerkte, die vornehme Miene, die er annahm, und seine übertriebene Höflichkeit gegen Mademoiselle Nanette, so war auch bei dem Verfahren, einen Bräutigam gleichsam in der Hochzeitsnacht von seiner Braut wegzuführen, etwas so außerordentliches, daß es nur dadurch einen Aufschluß erhalten konnte, wenn man annahm, daß der junge Nachtigall das ganze Geheimnis enthüllt hätte, was seine offenherzige Gemütsart und seine jetzige Weinseligkeit nur zu wahrscheinlich machten.

Als er noch bei sich selbst ratschlagte, ob er den armen Leuten seine Vermutung sagen sollte oder nicht, benachrichtigte ihn die Magd vom Hause, daß ihn eine Dame zu sprechen wünschte. Er ging ungesäumt hinaus, nahm der Magd den Leuchter aus der Hand und führte seinen Besuch die Treppe hinauf, welcher ihm in der Person der Jungfer Honoria solche fürchterliche Nachrichten, seine Sophie betreffend, hinterbrachte, daß er augenblicks alle Gedanken an die ganze übrige Welt verlor, und sein ganzer Vorrat von Mitleiden in Betrachtungen über sein eignes Elend und das Elend seiner unglücklichen Geliebten völlig darauf ging.

Was dies für fürchterliche Sachen waren, wird der Leser vernehmen, wenn wir erst die verschiedenen Schritte erzählt haben, welche solche hervorbrachten, und das wird der Gegenstand des folgenden Buches sein.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 128-129.
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