Viertes Kapitel.

[138] Aus welchem erhellen wird, welch ein gefährlicher Advokat ein Frauenzimmer ist, wenn sie ihre Beredsamkeit für eine schlimme Sache anwendet.


Als Frau von Bellaston die Bedenklichkeiten des Grafen vernahm, so behandelte sie solche mit eben der Schnödigkeit, womit die weisen Männer von der Rechtskunde, welche die Diebe gegen den Galgen zu vertreten pflegen, gewöhnlich die Gewissensangst eines jungen angehenden Zeugen behandeln, der es noch nicht soweit gebracht hat, alles von der Faust frischweg zu schwören. »Mein teurer Herr Graf,« sagte sie, »Sie bedürfen gewiß einer Herzstärkung. Ich muß wohl hinschicken, und ein Flakon Double Anisette holen lassen. Pfui doch! Sein Sie von mehr Entschlossenheit! Erschrecken Sie vor dem Worte Notzucht? Oder ist Ihnen Angst, daß – – wäre die Geschichte mit der schönen Helena aus unsern Tagen, ich würde sie für unnatürlich halten; das Benehmen des Paris meine ich, nicht die Liebe der Helena; denn alle Weiber haben einen Mann von tapferm Mute gern. Da haben wir noch eine andre Geschichte von den Sabinischen Weibern – – aber auch die, dem Himmel sei Dank, ist aus alten Zeiten. Der Herr Graf werden meine Belesenheit bewundern; aber mich dünkt, Herr Hook erzählt uns, daß sie sich nachher als ganz gute Weiber aufführten. Ich muß wohl glauben, daß von meinen verheirateten Bekannten nur sehr wenige vor der Ehe von ihren Männern genotzüchtigt worden sind.« – »O, teuerste Frau von Bellaston,« rief er, »persiflieren Sie mich nicht so entsetzlich.« – »Wie, mein guter Graf, meinen Sie wohl, daß sich ein Weib in der Christenheit finden würde, die nicht im Herzen über Sie lachte, was für Züchte sie auch in ihren Mienen zeigte? – Sie zwingen mich, eine sonderbare Art von Sprache zu führen und Ihnen mein Geschlecht ganz scheußlich zu verraten; aber ich beruhige mich damit, daß meine Absichten gut sind, und daß ich gerne meiner Kousine einen Dienst leisten möchte; denn ich denke, Sie werden dessenungeachtet ein wackrer Ehemann für sie sein; denn sonst, bei meiner Seele! nicht ein Wort würde ich verlieren, sie zu bereden, sich gegen leeren Stand und Titel wegzuwerfen. Sie sollte mir hernach nicht vorwerfen, daß ich sie um einen wackern, mutvollen Mann gebracht hätte; denn daß er das sei, das gestehen dem jungen Kerl seine Feinde zu.«

Laß diejenigen, welche die Freude erlebt haben, dergleichen Sticheleien von einer Ehefrau oder Mätresse zu hören, bezeugen, ob sie dadurch im geringsten lieblicher zu verdauen waren, daß sie von einer weiblichen Zunge kamen. Gewiß ist es, daß sie beim Grafen tiefer eindrangen, als irgend etwas, das Demosthenes oder Cicero über die Sache hätten sagen können.

Frau von Bellaston merkte, daß des Grafen Stolz in Feuer gesetzt wäre, und fing nun, gleich einem wahren Redner, an, andre Leidenschaften zu ihrem Beistande aufzuschüren. »Belieben Sie nicht zu vergessen, Herr Graf,« sagte sie, »daß Sie der erste waren, der der Sache gegen mich erwähnte; denn ich möchte nicht gerne das[139] Ansehen einer Person haben, der es darum zu thun sei, Ihnen meine Kousine aufzuhängen. Drei- bis viermal hunderttausend Thaler bedürfen eben keines Advokaten, um sie zu empfehlen.« – »So wenig, als Fräulein von Western,« sagte der Graf, »einer Empfehlung von ihrem Vermögen bedarf, denn in meinen Gedanken hat noch kein Frauenzimmer die Hälfte ihrer Reize besessen.« – »Doch, doch! Herr Graf,« erwiderte die Dame, und sah in einen Spiegel, »es hat Frauenzimmer gegeben die mehr als die Hälfte ihrer Reize besaßen, ich versichre Sie. Nicht daß ich sie dadurch eben in diesem Punkte herabsetzen wollte; sie ist ein wonneversprechendes Mädchen, das ist ausgemacht, und wird sich innerhalb ein paar Stunden in den Armen eines Mannes befinden, der sie freilich nicht verdient, ob ich ihm gleich, der Wahrheit gemäß, nachsagen muß, daß ich ihn wirklich für einen Mann von Kourage halte.«

»Das hoffe ich, gnädige Frau,« sagte der Graf, »ob ich gleich gestehen muß, daß er sie nicht verdient; denn wenn nicht der Himmel, oder Ihro Gnaden mich hindern, so soll sie binnen der Zeit die meinige sein.«

»Wohl gesprochen, Herr Graf,« antwortete die Dame. »Von meiner Seite sollen Sie nicht gehindert werden, darauf verlassen Sie sich; und noch ehe die Woche zu Ende geht, weiß ich, daß ich Sie öffentlich Kousin werde nennen können.«

Das übrige dieses Auftritts bestand durchgängig in Entzückungen, Entschuldigungen und Komplimenten, sehr lieblich zu hören aus dem Munde der Parteien selbst; zu schal aber in der Erzählung durch die zweite oder dritte Hand. Wir wollen also hier dem Gespräche ein Ende machen und der entscheidenden Stunde entgegeneilen, auf welche also alles zum Verderben der armen Sophie veranstaltet war.

Da dies aber der tragischste Stoff in unsrer ganzen Geschichte ist, so wollen wir ihn in einem eignen Kapitel besonders behandeln.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 138-140.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones: Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones 1-3: Die Geschichte eines Findlings: 3 Bde.
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings