Siebentes Kapitel.

[150] Worin dem armen Jones allerlei Widerwärtigkeiten begegnen.


Die Sachen befanden sich in der vorbesagten Lage, als Jungfer Honoria im Hause der Madame Miller anlangte und Herrn Jones[150] aus der Gesellschaft rufen ließ, wie wir vorhin gesehen haben, und als sie sich mit ihm allein befand, folgendermaßen anhub: »Ach, allerliebster Herr Jones, wo soll ich's Herz hernehmen, Sie zu erzählen! Sie sind rungnirt, Herr Jones, und meine arme Fröln ist rungnirt und ich bin auch rungnirt.« – »Ist meiner Sophie was zugestoßen?« rief Jones und starrte dabei wie ein Wahnsinniger. »Ach 's größte, 's größte Unglück von der Welt,« schrie Honoria. »O solch 'ne Dame krieg 'ch mein Lebstage nicht wieder! O! daß ich so was Entsetzlich's habe erleben müssen!« Bei diesen Worten ward Jones aschenbleich, zitterte und stammelte, aber die Kammerjungfer fuhr fort: »O, Herr Jones, ich habe meine Fröln auf ewig verlor'n.« – »Wie? was? Um Gottes willen, sage Sie doch – o, meine teure Sophie!« – »Sie mögen s' wohl so nennen,« sagte Honoria, »sie war mir die teuerste Fröln! – Alle meine Lebstage krieg' ich so 'n Platz nicht wieder.« – »Hol' der Henker Ihren Platz,« rief Jones. »Wo ist, was, was ist aus meiner Sophie geworden?« – »Ei ja! da hab'n wir's,« rief sie. »Die Bedienten nur gleich zum Henker, meiner Ehre! Den Henker dran gelegen, was aus ihnen wird, abgedankt oder nicht, wenn s' auch noch so sehr rungnirt sind. Je ne doch! sie hab'n wohl kein Fleisch und Blut wie andr' Leute! Ja, nein! was ist dran gelegen, wie's den'n geht in der Welt!« – »Wenn Sie das geringste Mitleiden, nur einen Funken davon hat,« rief Jones, »so bitt' ich Sie, sag' Sie mir doch augenblicklich, was ist meiner Sophie begegnet?« – »Meiner Ehre, ich habe wohl mehr Mitleiden mit Sie, als Sie mit mir!« antwortete Honoria. »Ich sage nicht so zum Henker, weil Sie die allersüßeste Fröln verloren haben. Mein'r Ehre! Sie sind zu bedauern, und ich bin zu bedauern ebenfalls; denn war nur jemals 'ne so gute Herrschaft!« – »Was ist geschehn, sage Sie das,« rief Jones, fast wie in einem Anfall von Wut. – »Was! was?« sagte das Mädchen; »wie? das Aergste was geschehen konnte vor Sie und vor mich – ihr Vater ist in der Stadt gekommen und hat sie uns allen beiden weggenommen.« Hier fiel Jones auf seine Kniee, dem Himmel zu danken, daß es nichts ärgeres wäre. – »Nichts ärgers?« wiederholte die Zofe. »Was könnt' ärger sein für uns beide? Er schleppte sie mit weg und fluchte hoch und teuer, sie sollte den Junker Blifil heiraten. Da haben Sie Ihren Trost und ich armes Kind bin aus 'm Dienst gejagt, das habe ich zu meinem!« – »In der That, Jungfer,« antwortete Jones, »Sie hat mir eine entsetzliche Angst eingejagt! Ich meinte nicht anders, als es müßte Sophie plötzlich ein gräßlicher Zufall begegnet sein; ein Zufall, wogegen das, wenn ich sie auch mit Blifil verheiratet sehen müßte, nur eine Kleinigkeit gewesen wäre. Aber meine liebe Jungfer, so lange noch Leben ist, so lange ist Hoffnung. Wir leben in einem Lande, in welchem kein Frauenzimmer wider ihren Willen mit thätiger Gewalt verheiratet werden kann.« – »Ja, nun! mein'r Ehr', Herr Jones,« sagte sie, »das ist wohl wahr! 's kann für Sie noch wohl Hoffnung sein; aber du liebste Zeit! was ist denn für mich armes Kind noch für Hoffnung? Und mein'r Ehr', das müssen[151] Sie doch auch wohl einsehn, daß ich all's das um Ihretwegen leide. Alle Bosheit, die der Junker auf mich hat, kommt davon, daß 'ch Ihre Partie gehalten habe, wie 'ch gethan habe, gegen Junker Blifil.« – »In der That, Jungfer Honoria,« antwortete er, »ich seh' es ein, wie sehr ich Ihr verbunden bin, und will nicht unterlassen, alles zu thun, was nur in meinen Kräften ist, um es wieder gut zu machen.« – »Ach, lieber Herr!« sagte sie, »was wieder gut machen! Was kann einer armen Bedienten den Verlust ein's Platzes wieder gut machen, wenn man nicht eben so 'n guten wieder kriegt?« – »Verzweifle Sie nur nicht, meine liebe Jungfer,« sagte Jones; »ich hoffe, Sie noch wieder in ihren vor'gen Platz zu bringen.« – »Ach, du liebste Zeit, Herr Jones,« sagte sie, »was kann 'ch mir schmeicheln mit solch'r Hoffnung, da 'ch weiß, daß das pur unmöglich is; denn der Junker ist m'r so aufsätzig. Und doch, ja, wenn Sie meine Fröln noch kriegten, wie ich, mein'r Ehre, von ganz'n Herzen hoffe, daß Sie s' kriegen soll'n; denn Sie sind 'n so scheneröser, gutthu'nder Herr, und ich will wohl schwören, daß Sie s' lieb halten, und sie hält Sie auch eben so lieb, als ihre eig'ne Seele; denn 's ist doch ganz vergebens, daß man's leugnen wollte, weil sozusagen jedes Menschenkind, das meine Fröln nur 'n bischen kennt, 's ihr gleich an 'n Augen ansehn muß. Denn, die arme liebe Fröln! verstellen kann sie sich gar nicht, und wenn zwei Leutchens nicht mit 'nander glücklich sind, die sich 'nander so freßlieb haben, ja! wer kanns denn sein? 'S Glück hängt nicht immer an Gut und Gelde! Und dazu, so hat ja auch Fröln genug und satt vor alle beide. Ja, mein'r Ehre! so sag ich, wie man zu sagen pflegt: Jammer und Schade wär's, zwei so schärmante Fein'sliebchen's nicht zusammenkomm'n zu lassen! Ja, mein Sinn sagt mir's ganz gewiß, Sie werden beide doch noch zuletzt 'n Pärchen werden, denn was der Himmel bescheert, ist unverwehrt! Und wenn 'ne Eh' einmal im Himmel geschlossen ist, so müssen s' alle Obrigkeit in der Welt wohl ungeschieden lassen. Mein'r Ehr! ich wollte wünschen, daß Pfarrer Schickelmann 'n bißchen mehr Kurasche hätte und den Junker die Sünden vorhielte, die er thut, daß 'r seine Tochter zwingen will, wider ihr Wissen und Will'n zu heiraten; aberst so, ja da muß der arm' Herr Magister ganz seiner Gnade leb'n und darf'n Junker ins G'sicht nicht 'nmal muchsen; so 'n guter frommer, lieber Mann 's sonst ist, und ihm sein sündlich Thun und Wesen in dem Stück, was das anbelangt, scharf genug vorhält, wenn er nicht dabei ist. In mein ganzes Leben hab' 'ch ihn nicht so unverschrock'n gesehn, als eben jetzt und vorher und ich war schon angst, daß 'n der Junker geschlag'n hätt'. – Nu nu! 'R Gnaden, Herr Jones müssen nicht so maulhängholisch sein, un' nich' verschweifeln; 's kann noch alles ganz weiß und wohl werden, wer weiß! so lang Sie sich auf d' Treue meiner Fröln verlassen könn'n, und mein'r Ehr', das könn'n Sie; denn das thut s' nicht, sie läßt sich nicht bewegen, durch nichts in der Welt, ein'n andern Mann zu nehmen. Das 's wahr, ich fürcht' mich ganz abscheulich, daß 'r der Junker 'nmal so ein'n Tollmanns Knuck – versetzt: denn[152] 's ist 'n ganz seltsam Herr, wenn er in Wut kommt und dann kann d'e Fröln auch noch gar leicht für Herzleid sterben, das fürcht' ich auch; denn s'e ist gar ein weiches Täubchen. Ja, hab' ich oft gedacht, Jammer ist's, daß sie nicht so e'n bischen von meiner Kurasche hat. Wann, wann! wenn ich mich so verplempert hätt' mit 'n jungen Menschen und mein Vater wollt' sich's untersteh'n, mich einzusperr'n – die Aug'n kratzt' ich 'n aus, so bald 'ch 'n mächtig werden könnt'. Aberst 's ist doch noch 'n groß Glück beim Dinge und das ist, daß der Vater nicht die G'walt hat, ihr das vorz'enthalten, was sie von ihren Unkel g'erbt hat und das macht mein'r Ehr' einen g'walt'gen Unterschied.«

Ob es daher kam, daß Jones auf diese Rede eben nicht die genauste Aufmerksamkeit richtete, oder weil sich darin nicht die geringste Lücke fassen ließ, das kann ich nicht entscheiden: aber er machte nicht einmal einen Versuch, ihr zu antworten, und ihre Zunge stand auch nicht ein einziges Mal still, bis Rebhuhn ins Zimmer gerannt kam und ihm die Nachricht brachte, die große Dame käme die Treppe herauf.

Nichts kam der Verlegenheit gleich, in welcher sich jetzt Jones verwickelt sah. Honoria wußte nicht das geringste von einer Bekanntschaft, die zwischen ihm und der Frau von Bellaston obwaltete, weil sie gerade die letzte Person in der Welt war, der er solche hätte anvertrauen mögen. In dieser Klemme von Wirrwarr ergriff er (wie sehr gewöhnlich) den schlimmsten Weg, und anstatt sie der Dame preiszugeben, welches eben nicht so viel zu bedeuten gehabt hätte, gab er lieber die Dame ihr preis. Er entschloß sich sonach, die Jungfer Honoria zu verstecken und er hatte nur gerade so viel Zeit, sie hinter das Bett zu bringen und die Gardinen vorzuziehn.

Die Geschäftigkeit, in welcher sich Jones zum Besten seiner armen Hauswirtin und ihrer Familie den ganzen Tag herumgetrieben, die Angst, welche ihm die Jungfer Honoria verursacht hatte, und die Verwirrung, in welche er durch die plötzliche Ankunft der Bellaston geriet, hatten ihm fast alle vorherigen Gedanken aus dem Kopfe getrieben, so daß es ihm nicht einmal einfiel, die Rolle eines Kranken zu spielen, wobei ihm dann auch freilich sein hübscher Anzug so wenig als seine blühende Gesichtsfarbe würden sonderlich zu statten gekommen sein.

Er empfing also die Dame gemäßer ihren Wünschen als ihren Erwartungen mit aller der Munterkeit, die er auf seinem Gesichte zu Felde stellen konnte, und ohne die geringste wahre oder verstellte Unpäßlichkeit.

Frau von Bellaston war nicht so bald ins Zimmer getreten, als sie sich aufs Bette hinplumpste. »Da sehn Sie, mein liebster Jones,« sagte sie, »daß ich nicht lange ohne Sie sein kann. Vielleicht sollte ich ein bißchen mit Ihnen schmollen, daß ich den ganzen Tag von Ihnen nichts gehört oder gesehn habe, denn ich sehe, Ihre Krankheit hätt' es Ihnen wohl erlaubt, auszugehn; ja, ich denke, Sie haben nicht den ganzen Tag in vollen Kleidern in Ihrer Kammer dagesessen wie eine feine Dame, welche Wochenbettsbesuche[153] an nimmt. Doch, meinen Sie nur nicht, daß ich mit Ihnen zanken will, denn ich will Ihnen niemals durch das Schmollen einer Ehefrau eine Entschuldigung für die kaltsinnige Aufführung eines Ehemanns an die Hand geben.«

»Nicht doch, beste, gnädige Frau,« sagte Jones; »ich weiß gewiß, Ihro Gnaden werden mir keine Vernachlässigung meiner Schuldigkeit vorwerfen, da ich bloß Ihre Befehle erwartete. Wer, meine holde Gebieterin, wer hat Ursache, sich zu beklagen? Wer hielt gestern abend sein Wort nicht und ließ einen armen Mann warten und wünschen und seufzen und schmachten?«

»Sagen Sie mir kein Wort davon, mein liebster Herr Jones,« erwiderte die Bellaston. »Wenn Sie die Ursache wüßten, Sie würden mich bedauern. Kurz, es ist nicht begreiflich, was sich Frauenzimmer von Stande von frechen Hanswürsten gefallen lassen müssen, um das Possenspiel der Welt mitzumachen. Indessen ist mir's sehr lieb, daß Ihnen all Ihr Wünschen und Schmachten keinen Schaden an der Gesundheit gethan hat; denn Sie haben in Ihrem Leben nicht besser ausgesehn. Bei meiner Treu, liebster Jones! Sie könnten diesen Augenblick einem Maler zu einem Adonis sitzen.«

Es gibt gewisse Worte, die so stark reizen, daß man nach dem Ausspruche der Männer von Ehre nicht anders darauf antworten kann als mit einem Schlage. Unter den Verliebten mag es wohl auch gewisse Ausdrücke geben, die sich bloß mit einem Kusse beantworten lassen. Das Kompliment, welches die holdselige Bellaston jetzt dem Jones machte, scheint von dieser Gattung zu sein, besonders da es von einem Blicke begleitet wurde, wodurch die Dame mehr sanftes Gefühl ausdrückte als ihre Zunge zu sagen vermochte.

Jones war gewiß in diesem Augenblicke in einer der verdrießlichsten und verwirrtesten Lagen, die sich nur erdenken lassen; denn, um bei dem Gleichnis zu bleiben, das wir vorhin brauchten, die Herausforderungsformel war von der Dame ausgestoßen und Jones konnte keine Satisfaktion nehmen, ja nicht einmal so thun als ob er sie begehrte, weil eine dritte Person zugegen war und weil bei dieser Art von Zweikämpfen nach den Rittergesetzen kein Sekundant zulässig war. Da dieser Querstrich der Frau von Bellaston nicht in die Gedanken fiel, weil sie nicht wußte, daß außer ihr noch ein Weiblein im Zimmer wäre, so harrte sie ein Weilchen mit dürrem Erstaunen auf eine Antwort von Jones, welcher sich selbst der lächerlichen Figur bewußt war die er machte, in einer Entfernung stand, und weil er die erwartete Antwort nicht geben konnte, lieber gar keine gab. Man kann sich nichts Komischeres und doch auch nichts Tragischeres denken, als dieser Auftritt gewesen sein müßte, wenn er noch viel länger gewährt hätte. Die Dame hatte bereits zwei bis dreimal die Farbe verändert, war vom Bette aufgestanden und hatte sich wieder niedergelassen, derweil Jones wünschte, daß die Erde unter ihm sinken oder das Haus über seinem Kopfe zusammenfallen möchte, als ihn ein seltsamer Zufall aus einer so kitzligen Ehrensache zog, woraus ihn weder die Beredsamkeit eines[154] Cicero, noch die Staatskunst eines Macchiavell ohne Schimpf und Schande hätten ziehen können.

Dies war nichts andres als die Ankunft des Herrn Nachtigall, welcher über und über betrunken, oder vielmehr in demjenigen Zustande der Betrunkenheit war, der dem Menschen den Gebrauch der Vernunft raubt und ihm nur soeben noch den Gebrauch seiner Glieder läßt.

Madame Miller und ihre Töchter waren zu Bette, und Rebhuhn saß am Küchenfeuer und schmauchte seine Pfeife, so daß er ganz ungehindert vor Herrn Jones Kammerthüre gelangte. Diese riß er auf und wollte ohne alle Zeremonien hineintreten, als Jones von seinem Stuhle auffuhr und auf ihn zurannte, um ihn zurückzuhalten, welches er dann auch so nachdrücklich bewerkstelligte, daß Nachtigall nicht weit genug ins Zimmer kam, um sehen zu können, wer auf dem Bette säße.

Nachtigall hatte eigentlich Jones' Zimmer für diejenigen gehalten, welche er vorher selbst bewohnt hatte, er bestand also hartnäckig darauf, daß er eingelassen sein wollte, und schwur oft, er wollte sich nicht abhalten lassen, sich in sein eignes Bett zu legen. Gleichwohl brachte ihn Jones zum Nachgeben und übergab ihn Rebhuhns Händen, den das Gepolter oben seinem Herrn zur Hilfe herbeigerufen hatte.

Und nun war Jones wider Willen genötigt, wieder nach seinem Zimmer zu gehen, woselbst er eben den Augenblick, als er den Fuß hineinsetzte, die Frau von Bellaston einen Schrei, obgleich zwar keinen sehr lauten, ausstoßen hörte und zugleich sah, daß sie sich in einer so heftigen Gemütsbewegung in einen Stuhl warf, die bei einer Dame von zarter Konstruktion eine hysterische Anwandlung gewesen sein würde.

Die Dame war wirklich so erschrocken über das Geringe der beiden Männer, wovon sie nicht wußte wie es ablaufen möchte, weil sie den Nachtigall manchen Schwur thun hörte, er wolle sich in sein eignes Bett legen, daß sie sich nach dem ihr bekannten Versteckplatze flüchten wollte, den sie zu ihrer großen Bestürzung bereits von einer andern besetzt fand.

»Ist diese Begegnung auszustehen, Herr Jones?« schrie die Dame. – »Elender, niederträchtiger Mensch! – Was für ein Weibsstück ist das, dem Sie mich preisgegeben haben?« – »Weibsstück!« schrie Jungfer Honoria und stürzte in heftiger Wut aus ihrem Versteckplatze hervor. »Seht doch, ich dächte was mir bisse! – Weibsstück! denkt doch! Mag wohl selbst ein Weibsstück sein! Ich bin 'ne honnette Jungfer, und das ist mehr als g'wisse Leut', die reicher sind, von sich rühmen dürfen.«

Jones, anstatt sich's geradezu angelegen sein zu lassen, die zornigen Hiebe und Stöße der Zofe abzulenken, wie ein Weibermann von mehr Erfahrung gethan haben würde, hielt sich damit auf, sein Gestirne zu verwünschen und sich selbst als den unglücklichsten Mann auf dem Erdboden zu beklagen, und dann gleich darauf sich an die Frau von Bellaston zu wenden und der die ärmlichsten[155] Beteurungen seiner Unschuld vorzusagen. Unter währender Zeit war die Dame wieder zum Gebrauch ihrer Vernunft gelangt, welche ihr ebenso fertig zu Gebote stand als irgend einem Frauenzimmer auf dieser Welt, vorzüglich bei dieser Art Gelegenheiten, und antwortete sonach ganz kalt: »Mein Herr, Sie bedürfen keiner Entschuldigungen, ich sehe schon wer die Person ist. Ich habe die Jungfer nicht sogleich gekannt, nun ich sie aber kenne, fällt mein Argwohn weg, daß unter ihr und Ihnen etwas vorgegangen sein könne, und ich weiß, sie ist eine zu verständige Person, um aus meinem Besuche bei Ihnen etwas Arges zu schließen. Ich bin von jeher ihre Freundin gewesen und es kann sich zeigen, wenn sie will, daß ich's inskünftige noch weit mehr bin.«

Jungfer Honoria war ebenso versöhnlich als sie leicht in Hitze geriet. Als sie demnach hörte, daß Frau von Bellaston gelindere Saiten rührte, so ging sie gleichfalls ins Piano. – »Ich bin gewiß, 'R Gnaden,« sagte sie, »ich hab' allemal und beständig 'R Gnaden gnäd'ge Güte mit der erkenntlichsten Erkenntlichkeit erkannt. Mei'nr Ehr, ich habe mein Lebtage keine solche gnäd'ge Freundin gehabt, als 'R Gnaden. – Und gewißlich, da ich seh', daß es 'R Gnaden sind, mit der ich sprach, nun möcht' ich mir fast die Zung' abbeißen, für was ich g'sagt habe. – Ich? was arg's denken von 'R Gnaden? Mein'r Ehr! 's würd' sich auch fein schick'n für 'ne Bediente wie ich bin, von einer so großen vornehmen Dame was zu denken! – Ich wollte sagen, wenn ich 'ne Bediente wäre, denn ich bin, leider Gott's, kein's Menschen Bediente jetzunder, und drum kann 'ch wohl selbst sag'n, ich bin 'n recht armes, unglückliches Weibsstück! – Ich hab' so 'ne scharmante Herrschaft verloren.« – Hier hielt es Honoria für diensam, einen Thränenregen fallen zu lassen. »Weine Sie nicht, Kind!« sagte die gutmütige Dame. »Es finden sich vielleicht Mittel und Wege, ihr alles wieder gut zu machen. Kommen Sie nur morgen früh zu mir.« Sie nahm dann ihren Fächer auf, der auf die Erde gefallen war, und ging, ohne nur mit einem Blick nach Jones hinzusehen, ganz majestätisch aus dem Zimmer; denn es liegt eine Art von Dignität in der Frechheit gewisser Damen von hohem Stande, welche geringere Frauen sich vergebens bestreben, in Umständen von dieser Natur zu erreichen.

Jones folgte ihr nach die Treppen hinunter und wollte ihr öfter die Hand reichen, die sie durchaus nicht annahm, und sie setzte sich in ihre Sänfte, ohne im geringsten darauf zu achten, daß er dastand und Bücklinge vor ihr machte.

Nachdem er wieder hinaufgekommen, erfolgte ein langer Dialog zwischen ihm und der Jungfer Honoria, derweil sie wieder ihre Kleider in Ordnung brachte, welche hinter dem Bette ein wenig aus den Falten gekommen waren. Die Materie dieses Gesprächs war seine Untreue gegen ihr junges Fräulein, worüber sie sich mit vieler Bitterkeit des Breitern herausließ. Endlich aber fand Jones Mittel, sie zu besänftigen, und nicht nur das, sondern auch ein Versprechen des unverbrüchlichsten Stillschweigens von ihr zu erhalten, und daß sie sich des nächsten Morgens alle Mühe geben wollte, Sophie aufzufinden[156] und ihm fernere Nachricht von dem Verfahren des Junkers zu überbringen.

Solchergestalt endigte sich dies unglückliche Abenteuer zur Zufriedenheit der einzigen Jungfer Honoria, denn ein Geheimnis (wie einige meiner Leser aus eigner Erfahrung vielleicht einräumen werden) ist oft ein sehr einträglicher Besitz, und zwar nicht nur für diejenigen, welche es treu bewahren, sondern zuweilen auch für solche Leute, die es herumflüstern bis es zu aller Ohren gelangt, ausgenommen der unwissenden Person, welche für die vermeinte Geheimhaltung desjenigen bezahlt, was jedermann und öffentlich bekannt ist.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 150-157.
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