Fünftes Kapitel.

[189] In welchem Jones von Sophie einen Brief erhält und mit Madame Miller und Rebhuhn in die Komödie geht.


Des schwarzen Jakobs Ankunft in der Stadt und die freundschaftlichen Dienste, welcher dieser dankbare Mensch seinem alten[189] Wohlthäter zu leisten versprochen hatte, gereichten dem Herrn Jones bei allen den Sorgen und Aengsten, welche er um Sophie erlitt, zum merklichen Troste. Durch Vermittlung des besagten Jakobs erhielt er von Sophie folgende Antwort auf seinen Brief. Denn, da sie mit ihrer Freiheit zugleich den Gebrauch von Feder, Tinte und Papier erhalten hatte, so schrieb sie noch gleich an demselben Abend, da sie aus ihrer Gefangenschaft erlöst worden war:


»Lieber Herr Jones!


Da ich an der Aufrichtigkeit desjenigen nicht zweifle, was Sie mir schreiben, so wird es Ihnen ein Vergnügen machen zu vernehmen, daß einige von meinen Leiden durch die Ankunft meiner Tante Western ein Ende genommen haben. Ich bin gegenwärtig bei ihr und genieße bei ihr alle der Freiheiten, die ich nur verlangen kann. Auf ein Versprechen von mir hat meine Tante gedrungen, dieses ist: daß ich, ohne ihr Wissen und Einwilligung, niemand sehen und mit niemand sprechen wolle. Dieses Versprechen habe ich feierlich gegeben, und werde es ganz unverbrüchlich halten. Und ob sie mir gleich nicht ausdrücklich verboten hat zu schreiben, so kann das doch nur daher kommen, daß sie es vergessen hat, oder es ist auch schon zugleich unter dem Worte sprechen mit begriffen. Da ich unterdessen dies nicht anders, denn als einen Mißbrauch ihres großmütigen Vertrauens in meine Redlichkeit betrachten kann, so können Sie nicht erwarten, daß ich nach diesem weder selbst schreiben, noch Briefe annehmen werde, ohne daß sie darum wisse. Ein Versprechen ist bei mir eine heilige Sache, und ich dehne es auf alles aus, sowohl was darunter verstanden werden kann, als was es mit ausdrücklichen Worten enthält; und diese meine Art zu denken kann Ihnen vielleicht, wenn Sie es wohl überlegen, zu einiger Beruhigung gereichen. Aber warum sage ich Ihnen etwas von Beruhigung dieser Art? Denn, obgleich es eine Sache in der Welt gibt, in welcher ich dem besten der Väter niemals willfahren kann, so bin ich doch fest entschlossen, niemals gegen sein ausdrückliches Verbot zu handeln, oder einen wichtigen Schritt zu thun, ohne vorher dazu seine Einwilligung zu haben. Eine feste Ueberzeugung hiervon muß Sie lehren, Ihre Gedanken nicht ferner an etwas zu heften, was das Schicksal (vielleicht) zur völligen Unmöglichkeit gemacht hat. Hiervon muß Ihr eigener Vorteil Sie überzeugen. Dies mag Sie, und ich hoffe es, mit Herrn Alwerth wieder aussöhnen, und wenn es das kann, so lassen Sie mich es Ihnen auferlegen, darnach zu streben. Zufälle haben mich unter Verbindlichkeiten gesetzt, wahrscheinlicherweise noch mehr Ihre guten Absichten. Das Glück kann uns vielleicht beiden noch einmal günstiger werden, als es jetzt ist! Glauben Sie mir dieses, daß ich beständig so von Ihnen denken werde, wie Sie es nach meiner Meinung verdienen. Ich bin

Ihre ergebenst verbundene

Sophie Western.«


N.S.


»Ich bitte Sie ernstlich, mir nicht weiter zu schreiben. – Fürs erste wenigstens nicht! Und nehmen Sie dieses hiermit an, welches[190] mir jetzt unbrauchbar ist, und wovon ich weiß, daß es Ihnen dran fehlen muß. Denken Sie, Sie haben diese Kleinigkeit bloß dem Glücke zuzuschreiben, welches Sie dieselbe finden ließ1.« –


Ein Kind, das nur eben seine Buchstaben kennen gelernt hat, würde diesen ganzen Brief in kürzerer Zeit durchbuchstabiert haben, als Jones anwendete, ihn zu lesen. Die Empfindungen, welche er veranlaßte, waren ein Gemisch von Freud' und Gram, etwas ähnliches von dem, was in der Seele eines guten Mannes um die Oberhand kämpft, wenn er das Testament seines verstorbnen Freundes liest, in welchem ihm eine beträchtliche Summe, die ihm seine bedrückten Umstände noch willkommner machen, hinterlassen wurde. Im ganzen genommen war er gleichwohl darüber mehr vergnügt als mißvergnügt, und in der That wird sich der Leser nach aller Wahrscheinlichkeit wundern, wie er nur im geringsten habe mißvergnügt sein können. Doch der Leser ist nicht völlig so verliebt, wie der arme Jones es war, und Liebe ist eine Krankheit, die freilich in manchen Stücken der Schwindsucht gleicht (die sie oft erzeugt), in andern aber sich auf eine ganz entgegengesetzte Art äußert und vorzüglich darin, daß der Patient jedes Symptom im fürchterlichsten Lichte betrachtet.

Ueber eins fühlte er ein unvermischtes Vergnügen, und das war, daß seine Geliebte wieder in Freiheit und jetzt bei einem Frauenzimmer war, wo sie wenigstens einer anständigen Begegnung versichert sein konnte. Ein andrer beruhigender Umstand bestand darin, daß sie sich auf ihr Versprechen bezog, niemals einen andern Mann zu heiraten. Denn für so uneigennützig er selbst seine Liebe halten mochte und ungeachtet aller in seinem Briefe gethanen großmütigen Aeußerungen zweifle ich doch sehr, ob man ihm eine schrecklichere Nachricht hätte bringen können als die, Sophie sei an einen andern verheiratet; die Partie möchte übrigens noch so groß und es noch so wahrscheinlich gewesen sein, daß sie zu ihrem größesten Glücke ausschlagen würde. Der gereinigte Grad von platonischer Liebe, wobei die Sinnlichkeit gar nichts zu thun hat und welcher wirklich durch und durch geistig ist, scheint mir eine bloß auf die schönere Hälfte der Schöpfung eingeschränkte Gabe zu sein; von diesen habe ich viele beteuern gehört (und zweifelsohne mit großer Wahrheit), daß sie mit der größesten Bereitwilligkeit ihren Geliebten einer Nebenbuhlerin überlassen würden, wenn es bewiesen würde, daß eine solche Entäußerung für das zeitliche Wohl eines solchen Geliebten notwendig wäre. Hieraus schließe ich also, daß eine solche Liebe in der Natur sein müsse, ob ich gleich damit keineswegs sagen will, daß ich davon jemals ein Beispiel gesehn hätte.

Nachdem Herr Jones drei Stunden damit zugebracht hatte, vorbesagten Brief zu lesen und zu küssen und es endlich durch die letzterwähnte Betrachtung dahin gebracht hatte, daß ihm recht gut zu Mute war, ließ er sich's gefallen, eine Verabredung, die er längst getroffen hatte, ins Werk zu setzen, welche darin bestand, Madame[191] Miller und ihre jüngste Tochter in die Komödie zu führen und Rebhuhn in Gesellschaft mitzunehmen. Denn weil Jones wirklich den Geschmack an sonderbarer Laune hatte, den manche zu haben vorgeben, so versprach er sich großen Spaß an Rebhuhns kritischen Bemerkungen, an denen er die reinen Eindrücke der Natur wahrzunehmen erwartete, unverfeinert freilich, aber auch gleichfalls unverkritzelt durch die Kunst.

Madame Miller, ihre jüngste Tochter, Herr Jones und Rebhuhn nahmen also in der ersten Reihe auf der ersten Galerie ihre Plätze. Rebhuhn erklärte alsobald: es wäre der schönste Platz, den er in seinem Leben gesehen hätte. Als man die Sinfonie spielte, sagte er: Es wäre doch zu verwundern, daß so viele Geiger zugleich auf einmal spielen könnten, ohne sich aus dem Takte zu bringen. Als der Kerl die Kronleuchter anzündete, sagte er zu Madame Miller: »Sehn Sie, sehn Sie, Madame! das leibhafte Bild von dem Mann, der hinten im Gebetbuche steht, da wo die Gebete angehen, die am Gedächtnistage der Pulververschwörung vorgelesen werden. Sehn Sie! just als wenn er's Pulver anzünden will.« Er konnte sich auch nicht enthalten, als alle Lichter angezündet waren, mit einem Seufzer zu sagen, daß hier an einem Abend so viel Lichter verbrannt würden, als womit eine ehrliche arme Haushaltung ein ganzes Jahr auskommen könnte.

Sobald das Stück anfing (es war Hamlet Prinz von Dänemark), war Rebhuhn ganz aufmerksam und brach das Stillschweigen nicht eher, als bis der Geist auftrat, da er dann Herrn Jones fragte: was das für ein Mann wäre in der seltsamen Tracht da? »So was ähnliches hab' ich wohl in einer Schilderei gesehn; 's ist doch wohl nicht ein Panzer und Helm? Ist's?« – Jones antwortete: »Das ist der Geist.« – Worauf Rebhuhn mit einem Lächeln erwiderte: »Ja, so was laß ich mir auch weiß machen! Ob ich zwar nicht sagen kann, daß ich, so lang' ich lebe, einen Geist gesehn hätte, so weiß ich doch gewiß, daß ich einen kennen würde, wenn ich ihn sähe, und der müßte ganz anders aussehn. Nein, nein, mein lieber Herr! Geister gehen nicht umher in solcher Tracht! So viel weiß ich wohl!« In diesem Irrtum, welcher in der Nachbarschaft um Rebhuhn herum viel Gelächter verursachte, ließ man ihn ferner beharren bis zu dem Auftritt zwischen dem Geist und Hamlet, wo Rebhuhn Herrn Garrick den Glauben einräumte, den er Herrn Jones versagt hatte, und in ein solch heftiges Zittern verfiel, daß seine Kniee gegen einander schlotterten. Jones fragte ihn, was ihm fehle, und ob er sich vor dem Kriegsmann da auf dem Theater fürchtete. – »Ach, ach, lieber Herr!« sagte er, »ich seh' nun, daß es wahr ist, was Sie mir sagten. Ich fürchte mich vor gar nichts, denn ich weiß ja, daß es nur ein Spiel ist; und wenn's auch wirklich ein Geist wäre, so kann's einem doch kein leids thun, in solcher Entfernung und in so großer Gesellschaft; und wenn mir nun auch ein bißchen bange wäre, so wär' ich doch auch nicht der einzige!« – »Wie so?« sagte Jones. »Von wem glaubt Er noch, daß er so eine feige Memme wäre, wie Er?« – »Nu ja! Nennen Sie[192] mich immerhin eine feige Memme, wenn Sie wollen; aber wenn dem kleinen Manne da auf dem Theater nicht bange ist, so hab' ich in meinem Leben noch keinen Menschen gesehn, dem's bange war. Ja, ja, mit dir gehn! Ja, ja, das wär' eben recht! Daß er ein Narr wäre! Willst du doch? Gott verzeih' mir die Sünde! Was das für eine Verwegenheit ist! – Wenn es schief geht, so hast du's selbst gewollt – dir nachfolgen? Ebensolieb folgt' ich dem Teufel! – Ja, wer weiß, ob's nicht gar der Teufel selbst ist? – denn man sagt ja, daß er sich in alle Gestalten verstellen kann, wozu er nur Lust hat. – Hu, da ist er schon wieder! – Nein, weiter mußt du nicht mit ihm gehn! Nein, nein; bist schon weit genug mit'n gegangen, weiter als ich mitgegangen wäre um's ganze Königreich!« Jones wollte ihm was sagen; Rebhuhn aber fiel ihm ein: »St, St, lieber Herr, hören Sie nicht? Es spricht!« Und während der ganzen Rede des Geistes hielt er teils auf den Geist und teils auf Hamlet die Augen geheftet und hielt das Maul sperrweit offen. So wie beim Hamlet die Leidenschaften abwechselten, so wechselten sie auch bei ihm.

Als der Auftritt vorbei war, sagte Jones: »Wie, Rebhuhn? Er übertrifft ja alle meine Erwartungen! Er nimmt mehr Anteil am Stücke, als ich mir eingebildet hätte.« – »Je nun, lieber Herr,« antwortete Rebhuhn, »wenn Sie sich vor'm Teufel nicht fürchten, so kann ich nicht davor; aber natürlich ist es doch, daß man über solche Sachen erstaunen muß, ob ich gleich weiß, daß nichts an der Sache ist. Ich bin auch eben nicht so sehr erstaunt über den Geist, denn das hab' ich wohl gemerkt, daß es nur ein Mensch ist in einer seltsamen Tracht; aber als ich den kleinen Mann selbst so entsetzlich erschrocken sah, so hat mich das mit angesteckt.« – »Und bildet Er sich denn ein, Rebhuhn,« sagte Jones, »daß der kleine Mann im Ernst erschrocken war?« – »Ei, lieber Herr,« sagte Rebhuhn, »haben Sie nachher nicht selbst gemerkt, als er fand, daß es der Geist seines eignen Vaters und daß er in dem Garten ermordet worden wäre, wie ihn seine Furcht nach und nach verließ und wie er vor Betrübnis stumm wurde? sozusagen just so, wie mir's zu Mute gewesen sein würde, wenn es mir selbst begegnet wäre? – Aber St! Holla! was ist das für ein Lärm? Da ist er wieder! – Ja nun, gewiß, ob ich schon weiß, daß sie alles nur so thun, so ist mir's doch lieb, daß ich nicht da unten bin, wo diese Leute sind.« Darauf richtete er wieder seine Augen hin nach Hamlet: »O ja, das Degenziehen wird dir auch was helfen! Als ob ein Degen gegen die Gewalt des Satans was machen könnte!«

Während des zweiten Aktes machte Rebhuhn nur wenige Anmerkungen. Er bezeigte sein Wohlgefallen über die schönen Kleidungen und konnte sich nicht entbrechen, über die Mienen des Königs seine Anmerkungen zu machen. »Nun!« sagte er, »wie doch Menschen durch Gesichter betrogen werden können! Nulla fides fronti ist, wie ich sehe, ein wahrer Spruch. Wer sollte denken, wenn man des Königs Gesicht ansieht, daß der eine Mordthat begangen hätte?« Hierauf erkundigte er sich nach dem Geist. Jones aber, der sich[193] vorsetzte, er sollte überrascht werden, gab ihm keine andre Antwort, als: »Er würde ihn vielleicht bald wieder sehn und zwar in Feuer und Flammen.«

Rebhuhn saß und erwartete dies in großer Furcht. Und als nun der Geist das nächste Mal erschien, rief Rebhuhn aus: »Da, da, Herr! Nu, was sagen Sie nun? Ist er nun erschrocken oder nicht? Wohl so erschrocken als Sie glauben, daß ich's bin. Und freilich, wer kann's helfen, sich ein bißchen zu erschrecken? Ich möchte nicht in so schlimmen Umständen sein, als, wie heißt er doch? – Junker Hamlet dort ist's, um alles in der Welt. Gott sei mir gnädig! Wo ist der Geist geblieben? So wahr als ich lebe! Ich glaube, ich hab'n da in die Erde sinken sehn!« – »In der That, Er hat recht gesehn,« antwortete Jones. »Nun gut!« rief Rebhuhn. »Ich weiß, 's ist nur ein Spiel; und dazu, wenn das geringste an der Sache wahr wäre, so würde Madame Miller nicht so lachen. Denn Sie, Herr, ja Sie würden sich nicht fürchten, glaub' ich, wenn auch der Satan da leibhaftig vor Ihnen stände. – Da, da! Ei ja, es ist kein Wunder, daß du so böse bist; schüttle die schändliche, ruchlose Kreatur in Krautstücke! Wenn sie meine eigne Mutter wäre, ich würd's ihr ebenso gemacht haben. Ganz recht! Alle kindliche Liebe gegen eine Mutter hat ein Ende, wenn sie sich so schändlich aufführt. – O ja, kannst dich nur fortzecken! Ich mag dich nicht mehr vor Augen leiden.«

Unser Kritikus war nun ziemlich stumm, bis das Schauspiel anging, welches Hamlet vor dem König aufführen läßt. Dies verstand er anfangs nicht, bis es ihm Jones erklärte. Sobald er aber den Sinn davon begriff, fing er an zu bezeigen, wie froh er wäre, daß er niemals einen Mord begangen hätte. Drauf wendete er ich an Madame Miller und fragte sie: ob sie nicht meinte, daß der König so aussähe, als ob er betroffen wäre? »Es ist zwar ein guter Akteur,« sagte er, »und thut alles, was er kann, um sich's nicht merken zu lassen. Wohl, ich möchte nicht so viel zu verantworten haben, als der gottlose Mann da zu verantworten hat, und wenn ich drum auf einer noch höhern Stufe sitzen sollte, als worauf er sitzt. Kein Wunder, daß er wegläuft! Du wirst machen, daß ich in meinem Leben keinem unschuldigen Gesicht wieder traue.«

Hiernächst zog die Totengräberszene Rebhuhns Aufmerksamkeit auf sich und er bezeigte seine Verwunderung über die Menge von Totenköpfen, welche man hier auf das Theater warf. Worauf Jones antwortete: »Es wäre einer der berüchtigten Begräbnisplätze der Stadt.« – »Ja nu, so ist kein Wunder,« rief Rebhuhn, »daß es drauf spuken geht. Aber in meinem Leben hab' ich keinen so ungeschickten Grabmacher gesehn; ich hatte einen Totengräber, als ich noch Küster war, der hätte Ihnen drei Gräber gemacht, unterdessen daß der da an dem einen herumpickert. Dem Kerl steht der Spaten zur Hand, als ob's das erste Mal in seinem Leben wäre, daß er einen anfaßt. Ja, ja, was zu singen da! Singen magst du wohl lieber als arbeiten, glaub' ich.« – An der Stelle, wo Hamlet den Totenkopf aufnimmt, rief er aus: »'s ist doch sonderbar, wenn[194] man sieht, wie entsetzlich dreist gewisse Menschen sein können! Ich hab's in meinem Leben nicht übers Herz bringen können, das geringste anzurühren, was einem toten Menschen angehört hat. Nein, das konnt' ich nicht. Und doch schien ihm vor dem Geiste bange genug zu sein, dächt' ich! Nemo omnibus horis sapit!«

Während des Stücks fiel wenig weiter vor, das der Mühe wert wäre zu erzählen. Als es geendigt war, fragte ihn Jones, welcher von den Schauspielern ihm am besten gefallen hätte. Hierauf antwortete er mit anscheinendem Unwillen über die Frage: »Nun, der König, sollt' ich meinen!« – »In der Tat, guter Rebhuhn,« sagte Madame Miller, »Sie sind nicht einerlei Meinung mit der Stadt, denn alle Leute sind einstimmig, daß Hamlet von dem besten Schauspieler vorgestellt wird, der jemals das Theater betreten hat.« – »Er? der beste Schauspieler?« rief Rebhuhn und warf höhnisch die Nase in die Höh'; »so gut wie der konnt' ich auch agieren! Das weiß ich gewiß, wenn ich einen Geist gesehn hätte, ich würde just grade so ausgesehn haben wie er und hätte ebenso gethan, wie er that. Und dann hernach in der Szene, wie Sie's nennen, zwischen ihm und seiner Mutter, wo Sie mir sagten, er spielte so vortrefflich, und sehn Sie, lieber Gott! ein jedes Menschenkind, das heißt zu sagen, ein jedes gutes Menschenkind, das solch eine Mutter gehabt hätte, hätt's um kein Haar anders machen können! Ich weiß wohl, Sie haben mich nur zum besten; aber in der That, Madame, ob ich gleich in London noch niemals in der Komödie gewesen bin, so hab' ich doch vorher auf dem Lande gesehn, was agieren heißt; und der König, sag' ich Ihnen, der ist das Geld für'n Platz wert! Er spricht alle seine Worte so deutlich aus, noch halbmal so laut als die andern – das ist ein rechter Akteur, das kann ihm gleich jedermann ansehn.«

Derweil Madame Miller sich solchergestalt mit Rebhuhn unterredete, kam eine Dame zu Herrn Jones, welche er augenblicklich für Madame Fitz Patrick erkannte. Sie sagte, sie habe ihn von der andern Seite der Galerie her gesehn und habe diese Gelegenheit wahrgenommen, mit ihm zu sprechen, weil sie ihm etwas zu sagen hätte, woran ihm sehr gelegen sein würde. Sie sagte ihm darauf, wo sie wohnte, und bestellte ihn auf den nächsten Vormittag, zu ihr zu kommen. Gleich drauf aber besann sie sich eines bessern und bestimmte den Nachmittag, um welche Zeit Jones versprach, ihr seine Aufwartung zu machen.

Solchergestalt endigte sich das Abenteuer im Schauspielhause, woselbst Rebhuhn viel zu lachen gemacht hatte, nicht allein Herrn Jones und Madame Miller, sondern alle, die so nahe um ihn saßen, daß sie ihn hören konnten, und welche aufmerksamer auf das waren, was er sagte, als auf alles übrige, was auf der Bühne vorging.

Die ganze Nacht unterstand er sich nicht zu Bett zu gehen aus Furcht vor dem Geiste; und noch viele Nächte nachher stand ihm zwei oder drei Stunden der Angstschweiß auf der Stirne, ehe er sich schlafen legte, und oft wachte er auf in vollem Schrecken und schrie: »Ach, daß Gott erbarme, da ist's!«

Fußnoten

1 Sie meinte vielleicht die Banknote von hundert Pfund.


Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 189-195.
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