Sechstes Kapitel.

[266] In welchem die Geschichte fortgesetzt wird.


»In Wahrheit, guter Freund,« sagte der gute Mann, »Er ist der seltsamste Mensch, den ich auf der Welt kenne. Nicht nur, daß Er, wie es Ihm ehemals ergangen, wegen seiner steifköpfigen Beharrlichkeit[266] auf einer Unwahrheit, Not und Leiden über sich ergehen läßt, sondern daß Er noch bis auf den letzten Punkt darauf besteht und von der Welt für den Bedienten Seines eigenen Sohnes passieren will! Was für Nutzen kann Er bei alledem haben? Was kann Ihn hierzu antreiben?«

»Ich sehe,« sagte Rebhuhn, wobei er auf die Kniee fiel, »Ewr. Gnaden sind gegen mich eingenommen, und sind entschlossen, mir nichts von alledem zu glauben, was ich sage; was hülfen also alle meine Beteurungen? Aber, da droben ist einer, der es weiß, daß ich der Vater dieses jungen Mannes nicht bin.«

»Wie?« sagte Alwerth, »will Er noch diesen Augenblick das leugnen, dessen Er vorlängst durch so unwidersprechliche, so offenbare Beweise überführt worden ist? Ja, welch eine Bestätigung alles dessen, was vor zwanzig Jahren wider Ihn sprach, ist nicht dieser Umstand, daß Er jetzt sich grade bei eben dem Manne befindet? Ich dachte, Er hätte die Grafschaft verlassen; ja, ich hielt Ihn längst schon für tot. – – Wie gelangte Er dazu, etwas von diesem jungen Menschen zu erfahren? Wie kam Er zu ihm, wenn Er gar kein Verständnis mit ihm unterhielt? Leugne Er mir das nicht; denn ich gebe Ihm mein Wort, es wird meine gute Meinung von Seinem Sohne um ein Großes erhöhen, wenn ich finde, daß er die kindliche Pflicht so heilig hält, seinen Vater so manche Jahre hindurch insgeheim zu unterstützen.«

»Wenn Ewr. Gnaden Geduld haben wollen, mich anzuhören,« sagte Rebhuhn, »so will ich Ihnen alles erzählen.« – – Nachdem er Befehl erhalten hatte, zu reden, fuhr er folgendermaßen fort: »Als Ewr. Gnaden den damaligen Unwillen auf mich warfen, richtete er mich bald darauf zu Grunde, denn ich büßte meine kleine Schule ein und der Pfarrer, welcher, wie ich glaube, dafür hielt, 's würde Ewr. Gnaden damit ein Gefallen geschehn, setzte mich auch ab von meiner Stelle als Küster, so daß ich weiter nichts hatte, womit ich mein Brot verdienen sollte, als meine Barbierstube, die aber an einem Orte auf dem Lande, wie jener ist, nur sehr wenig abwirft; und als meine Frau starb (denn bis dahin bekam ich jährlich zwölf Pfund Sterling Gnadengehalt von einer unbekannten Hand, welches wirklich, wie ich glaube, Ewr. Gnaden eigne Hand war, denn ich habe außer Ihnen noch von keinem Menschen gehört, der solche Wohlthaten ausübte), aber, wie ich sagen wollte – als sie starb, hörte dieser Gnadengehalt auf, so daß ich, weil ich zwei oder drei Menschen eine Kleinigkeit schuldig war, die mich stark zu drängen anfingen (besonders war darunter ein Posten, den der Advokat von fünf Thalern, durch die Gerichts- und Advokaten Gebühren, bis auf hundert und achtzig zu treiben wußte, und ich fand, daß mir alle Mittel meines Lebens Unterhalt zu verdienen, benommen waren, schnürte ich mein bißchen Armut in ein Bündel und machte mich auf und davon.«

»Der erste Ort, wo ich hinkam, war Salisbury, woselbst ich bei einem Rechtsgelehrten, und einem der besten Menschen, die ich noch gekannt habe, in Dienste gelangte; denn er war nicht nur sehr gütig[267] gegen mich, sondern ich weiß auch wohl tausend gute und wohlthätige Handlungen von ihm, unter der Zeit ich bei ihm war, und ich weiß von ihm, daß er manche Sache von der Hand gewiesen hat, weil er sie unrechtmäßig und faul befand.« – »Er braucht nun eben nicht so umständlich zu sein,« sagte Alwerth, »ich kenne diesen Gelehrten. Ich weiß, es ist ein sehr würdiger Mann, der seiner Profession Ehre macht.« – »Gut also, Ewr. Gnaden!« fuhr Rebhuhn fort. »Von hier begab ich mich nach Limmington, woselbst ich über drei Jahre bei einem andern Rechtsgelehrten Dienste hatte, der ebenfalls eine rechte gute Art von Mann, und dabei einer der lustigsten Gesellschafter von der Welt war. Nun gut, und nicht allzu gut! Als die drei Jahre um waren, legte ich eine kleine Schule an, und ich schien wieder in ein ganz gutes Gleis zu kommen, hätte sich nicht ein höchst unglücklicher Zufall dazwischen gelegt. Hier schaffte ich mir ein Ferkel an, und eines Tages wollte es das Unglück, daß es ausbrach und in einem Garten eines meiner Nachbarn, ein Spolium, wie sie's, glaube ich, nennen, anrichtete, der ein übermütiger, rachsüchtiger Mensch war, und einem gewissen Advokaten Namens – Namens – ja, ich kann nicht wieder auf den Namen kommen – aber kurz, dieser Advokat wirkte einen Befehl aus, daß ich vor'm Landgerichte erscheinen mußte. Und als ich davor erschien, ach, daß Gott im Himmel erbarme! was brachten da die Juristen nicht alles vor. Einer darunter sagte dem Landrichter eine Reihe der schändlichsten Lügen von mir, er sagte, es wäre so meine Art, meine Mastschweine in andrer Leute Gärten zu treiben, und noch viel mehr dergleichen; und endlich sagte er noch, er hoffte, ich sollte hier meine Trift Schweine auf den rechten Markt zu Kaufe gebracht haben. Ja fürwahr! man hätte denken sollen, daß ich einer der größten Schweineverkäufer im ganzen Lande gewesen wäre, da ich doch nur ein armes kleines Ferkel hatte, das ich mir so aus der Hand aufzufüttern dachte.« – »O, ich bitte Ihn,« sagte Alwerth, »sei Er nur nicht vollends so umständlich. Denn noch habe ich von Seinem Sohn kein Wort gehört.« – »Nun gut!« antwortete Rebhuhn, »aber es ging manches Jahr hin, ehe ich meinen Sohn zu sehen bekam, wie Ew. Gnaden ihn zu nennen belieben. – Nach diesem setzte ich nach Irland über und hielt zu Cork Schule (denn der einzige Ferkelprozeß richtete mich abermals zugrunde, und ich lag sieben Jahre im Winchester-Gefängnis),« – »Wohl,« sagte Alwerth, »lasse Er alles übrige, bis Er wieder nach England kam, vorbei.« – »Wenn Sie so befehlen!« sagte er, »so war's vor ungefähr einem halben Jahre, daß ich zu Bristol landete, wo ich ein Weilchen blieb; und da ich fand, daß es da nicht ginge, und von einem Orte zwischen dort und Gloucester hörte, wo der Barbier eben gestorben wäre, so ging ich dahin, und ich war da ungefähr zwei Monate gewesen, als Herr Jones hinkam.« Hier nun gab er Herrn Alwerth ausführliche Nachricht von ihrer ersten Zusammenkunft und, sogut er konnte, überhaupt von allem, was sich von da an bis auf den heutigen Tag zugetragen hatte; wobei er zum öftern in seine Erzählung Lobreden auf Herrn Jones einwebte und nicht vergaß,[268] die große Liebe und Achtung, die er für Herrn Alwerth hegte, durchscheinen zu lassen. Er schloß endlich seine Erzählung damit, daß er sagte: »Nun habe ich Ewr. Gnaden die ganze reine Wahrheit gesagt.« Und dann wiederholte er die feierlichste Beteurung: er sei so wenig Jones' Vater, als des Papstes zu Rom, und daß er sich die entsetzlichsten Verwünschungen auf den Hals ziehen wollte, wenn er nicht die Wahrheit sagte.

»Was soll ich von dieser Sache denken?« rief Alwerth, »denn was für einen Endzweck könnte Er haben, eine Sache zu leugnen, die Ihm nach meiner Meinung mehr Vorteil bringen würde, wenn Er sie gestünde?« – »Ja nun,« antwortete Rebhuhn (denn länger konnte er nicht an sich halten) »wenn Ewr. Gnaden mir keinen Glauben beimessen wollen, so können Sie wohl bald andre Ueberzeugung genug bekommen. Ich möchte wünschen, Sie hätten sich in Ansehung der Mutter dieses jungen Mannes ebensowohl geirrt, als Sie sich in Ansehung seines Vaters geirrt haben.« – Und als er hierauf gefragt ward, was er damit meine? erzählte er, mit allen Merkmalen des Grausens, sowohl in der Stimme als den Mienen, Herrn Alwerth die ganze Geschichte, die er noch kurz vorher Madame Miller so sehr gebeten hatte zu verschweigen.

Herr Alwerth entsetzte sich über diese Entdeckung fast ebensosehr, als Rebhuhn solche mit sichtlichem Grauen erzählte. – »Um Gotteswillen!« sagte er, »in was für kläglichen Jammer, Laster und Unvorsichtigkeit die Menschen sich verwickeln! Wie gehn doch die Wirkungen der Ausschweifungen soweit über den Vorsatz der Menschen hinaus!« Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als Madame Waters hastig und unangemeldet ins Zimmer kam. Rebhuhn sah sie nicht sobald, als er schon ausrief: »Hier, gnädger Herr, hier ist sie selbst, die Frau! dieß ist die unselige Mutter des Herrn Jones. Ich bin ganz sicher, sie wird mich vor Ewr. Gnaden freisprechen – Ich bitte, Madame, sprechen Sie! –«

Madame Waters, ohne im geringsten darauf zu achten, was Rebhuhn sagte, und fast ohne zu thun, als ob sie ihn sähe, ging auf Alwerth zu: »Ich glaube, Herr von Alwerth,« sagte sie, »es ist solange her, seitdem ich die Ehre gehabt habe Sie zu sehen, daß Sie sich meiner nicht mehr erinnern.« – »In der That, Madame,« antwortete Alwerth, »Sie haben sich in mancherlei Betracht so sehr verändert, daß ich mich Ihrer nicht so augenblicklich wieder erinnert haben würde, hätte mir dieser Mann hier nicht bereits gesagt, wer Sie sind. Haben Sie eine besondre Angelegenheit, Madame, weswegen Sie zu mir kommen?« – Herr Alwerth sprach dieses mit trockner Kälte; denn der Leser wird leicht glauben, daß er mit der Aufführung der Dame nicht sonderlich zufrieden gewesen sei, so wenig nach dem, was er vormals gehört, als nach dem, was er eben von Rebhuhn vernommen hatte.

Madame Waters antwortete: – »In der That, Herr von Alwerth, ich habe eine sehr geheime Angelegenheit bei Ihnen, und sie ist von der Beschaffenheit, daß ich solche niemanden außer Ihnen selbst anvertrauen kann. – Ich muß also um die Gewogenheit bitten,[269] ein Wort mit Ihnen allein zu sprechen; denn ich versichre Sie, was ich Ihnen zu sagen habe, ist von der größten Wichtigkeit.«

Rebhuhn erhielt also Befehl sich zu entfernen, bevor er aber hinausging, bat er die Dame, Herrn Alwerth zu überzeugen, daß er völlig unschuldig wäre. Worauf sie antwortete: »Sein Sie unbesorgt, Herr Rebhuhn, ich werde Herrn von Alwerth über diesen Punkt nicht den geringsten Zweifel lassen.«

Hierauf begab sich Rebhuhn hinweg, und dasjenige was zwischen Herrn Alwerth und Madame Waters vorfiel, steht im nächsten Kapitel geschrieben.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 266-270.
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