Zweyter Tag

Als ich am andern Morgen erwachte fand ich den Doctor bei meinem Bette mit der Untersuchung des Frühstücks beschäftigt. Er hatte schon einige Morgenweine besorgen lassen, und schien durch die Quantität der übrigen Nahrungsmittel, die von ihm getadelte Qualität für sich ersetzen zu wollen.

Es ward ein Spatziergang im Palais Egalite' beschlossen, und sobald meine Morgentoilette geendigt war, machten wir uns auf den Weg.[27]

Welcher Anblick für einen Fremden! – die bunt neben einander gereihten Waaren, das verwirrte Geschrey von allen Seiten, das Getöse der Instrumente, die ewigen wiederholten Fragen: ob man etwas kaufen, etwas verwechseln, etwas sehen wolle? – das alles betäubt in dem Grade, daß man es schlechterdings aufgeben muß, sich seiner Empfindungen deutlich bewußt zu werden.

In diesem Mittelpunkte aller Leidenschaften eilt die Zeit mit unerhörter Schnelligkeit dahin. Ich glaubte eine halbe Stunde gegangen zu seyn, und hörte von Provence: daß unser Wagen uns erwarte, und daß wir drey volle Stunden verweilt hätten.

Wir kehrten zurück und fanden an der Thür des Hotels einen Major Saggs, der den Doctor erwartet hatte. Man bewillkommte sich auf das brüderlichste, und da[28] man die Tafel gedeckt fand, so ward einmüthiglich beschlossen, sich nicht von einander zu trennen.

Die Unterhaltung verbreitete sich größtentheils über das ausserordentliche Glück, was einige junge Leute im Spiel gemacht hatten.

»Man schreit mit Unrecht« – sagte der Major – »über die große Schädlichkeit der Hasardspieler. Hier ist es, wo ein junger Mann gegen die Launen des Glückes abgehärtet, hier oder nirgends, wo er wahre Fassung sich erwerben kann.«

Der Doctor fand die Anmerkung vortrefflich, und es ward gemeinschaftlich beschlossen: mich noch heute in diese Schult der Weisheit einzuführen.

Aber ich war zu der liebenswürdigen Rose eingeladen – nun, also auf den folgenden Abend. – Nachdem man dem Weine noch die gehörigen Lobsprüche ertheilt[29] hatte, trennte man sich auf das freundschaftlichste, um sich auf die Launen des Glücks vorzubereiten.

Noch einen Gang in die freie Luft und wir befanden uns im Schauspiel, der Loge meiner göttlichen Rose gegenüber.

Schon wollte ich verzweiflungsvoll die Hoffnung aufgeben, da sah ich endlich die Thüre sich öffnen – ach und es war doch nicht meine Rose! – Eine durchreisende Fürstin, die Frau des ersten Consuls, so etwas konnte es seyn – meine Rose war es nicht.

Der Doctor lachte –

»Sehen Sie doch nur recht zu! nehmen Sie doch ihre Lorgnette! rief er.« –

»O Himmel wäre es möglich! – Wie? – diese Person, die für mehrere hunderttausend Thaler Juwelen an sich hat – das wäre Rose? –

[30] Der Doctor. Ist Mademoiselle Rose. –

Ich. Aber mein Gott! woher das Alles? –

Er. Woher? Glauben Sie denn, daß man eine solche Person nicht zu schätzen weiß? – Der Lord P ... hat ihr das, und noch weit mehr gegeben, und ist dafür kaum eines Blickes gewürdigt worden.

Ich. Aber ich – – –

Er. Nun freilich Sie! – wenn mans nicht sieht, glaubt mans auch nicht. – Sie ist ganz außer sich. – Sehen Sie nur die Augen. –

Ich. Ach bester Doctor! ob sie mich wohl liebt? –

Er. Liebt! – nun das nenne ich doch taub und blind seyn! – liebt! – ich sage Ihnen, daß sie nur für Sie lebt, daß sie für alles Andere todt ist! –

Ich. O Gott! wäre es möglich!

[31] Er. Möglich! – über den Ungläubigen! Nun warten Sie! ich will Ihnen die Bestätigung aus Röschens eigenem Munde holen.

Bey diesen Worten verschwand er, und einige Minuten darauf sah ich ihn an Rosens Seite wieder er scheinen.

Welche Blicke! welche Winke! – Ich war wie berauscht. – Theater, Schauspieler, Zuschauer, alles verschwand vor meinen Augen, und als der Doctor wieder zurückkam, sank ich ihm sprachlos in die Arme.

»Glücklicher junger Mann!« – rief er – »wie man Sie liebt! – Sehen Sie! ein prächtiges Etuis! ich habe es zum Andenken dieses Tages bekommen. – Sie sehnt sich unbeschreiblich nach dem Ende des Schauspiels. – Welch ein Abend für Sie!« –[32]

Die Blicke aus der Loge hatten mich berauscht, diese Aeußerungen waren nicht geschickt mich wieder nüchtern zu machen. Taumelnd stieg ich in meinen Wagen, und nur in der Nähe der göttlichen Rose wurden alle meine Sinnen von neuem belebt.

Man trank sehr viel, man lachte noch mehr, und es war von keinem Spiel die Rede.

Der Doctor mußte die Hausfreundin begleiten, versprach aber augenblicklich wieder zu kommen. Mama nickte schläfrig den Armen des Lehnsessels entgegen, und die göttliche Rose kämpfte augenscheinlich mit sich selbst, um nicht in die Meinigen zu sinken.

Ein paarmal erwachte Mama von dem Kampfe, und da sie immer wieder von ihrer[33] Tochter einen schalkhaften guten Morgen bekam; so beschloß sie, sich diesen kindischen Neckereyen zu entziehen.

Sie nahm ihr Licht, äußerte gehörig ihren Unwillen über des Doctors langes Außenbleiben, empfahl Artigkeit und Sittsamkeit, und schlich in ihr Kämmerchen.

Wir vergaßen Mama, den Schlaf, die Zeit und den Doctor, und würden sie wahrscheinlich noch lange vergessen haben, wenn uns nicht das Kammermädchen daran erinnert hätte.

Mademoiselle Rose schien heftig zu erschrecken, da sie hörte, daß es schon nach Mitternacht war; aber die kleine Soubrette wußte sie sehr bald zu beruhigen.[34]

»Nun was wäre es denn für ein Unglück!« – rief diese – »der Doctor ist fort and kommt nicht wieder – Mama schläft und würde von der Trompete des jüngsten Gerichts nicht erwachen, und der Herr Baron ist hier vielleicht besser als zu Hause aufgehoben. Lassen Sie mich nur machen Mademoiselle, und gehn Sie ruhig zu Bette. Für den Herrn Baron soll schon gesorgt werden.« –

Sie gingen und ich blieb gedankenvoll zurück. – Wie? hatte ich die Winke des Kammermädchens recht verstanden? – sollte es möglich seyn? – hoffte ich nicht zuviel mit einemmale? –

Fanchon riß mich aus dieser Ungewißheit. Zwar sagte sie kein einziges Wort und that nichts, als daß sie mich aus der einen Thüre heraus und in die andre hineinschob.[35] Es war sehr dunkel in dem Zimmer; aber meine Augen durchdrangen die Finsterniß, und alle Zweifel verschwanden.[36]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Vierzehn Tage in Paris. Leipzig 1801, S. 25-37.
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