Sechster Tag

Schon brach der Morgen an; aber noch war ich zu keinem festen Entschlusse gekommen. Wuth und Verachtung, Sehnsucht und Abscheu wechselten unaufhörlich bey mir ab. Plötzlich erschien mir dann wieder der Bürger Olivier, und es war mir unmöglich ein schallendes Gelächter zu unterdrücken.

Aber bald fing ich wieder an zu toben, und befahl nun mit donnernder Stimme: daß man den Doctor augenblicklich holen[77] solle. Kaum daß ich ihn vor brennender Ungeduld erwarten konnte.

Endlich stürzte er mit ungekämmtem Haar und verstörtem Gesicht herein.

»Mein Gott was ist denn vorgefallen? – Der verdammte Kerl! Provence! hat mich beinahe aus dem Bette gerissen. Aber grand Dieu! jetzt erst werde ich gewahr! welche Blässe! Welche schreckliche Veränderung! was in aller Welt kann sie hervorgebracht haben?« –

Diese und ähnliche Ausrufungen wurden nur durch Flüche beantwortet. Der Officier de santé begriff endlich, daß er einen guten Theil davon der göttlichen Rose zueignen konnte, und schien nun alle Fassung verlohren zu haben.

Aber plötzlich ermannte er sich wieder, und goß eine so bittere Lauge über das[78] ganze weibliche Geschlecht aus, daß er mich selbst dadurch zum Schweigen brachte.

Diese leidenschaftliche Theilnahme unterstützte aufs neue meinen wankenden Glauben, aber dennoch beschloß ich, die Führung des Herrn Doctors künftig etwas näher zu beleuchten, und mich nicht so ganz unbedingt in seinen Willen zu ergeben.

Dem zu Folge ward ihm angekündigt: daß ich heute den vormaligen Chevalier F. kennen zu lernen wünsche. Er hatte mich in dem Thee literaire des Bürger Millin gesehen, und war mir mit außerordentlicher Höflichkeit zuvorgekommen.

Der Doctor hatte mehreres gegen diesen Vorschlag einzuwenden, schien aber doch zu begreifen: daß es für heute besser seyn würde, mir nachzugeben.[79]

Der Chevalier, ein Mann von ohngefehr 40 Jahren, vereinigte die hinreißende Lebhaftigkeit des Franzosen, mit der sanften Gründlichkeit des Deutschen. Er dachte so tief und doch so schön – er handelte so groß und doch so natürlich, daß er sogar dem Witze des Doctors imponirte.

Freilich schien der Officier de santé sich nicht ganz wohl zu befinden, und da er nun gar einen gewissen Herrn Rouillac bemerkte, glich er vollkommen einem Verzweifelnden.

Dieser, ein junger Mann von unerschöpflichem Witze, fiel jetzt ohne Erbarmen über ihn her. Die Wunderkuren des Aesculaps, sein gütiges Vorurtheil für die Theaterschönen, seine glückliche Mentorschaft, nichts ward vergessen.

Der Doctor knirschte Flüche zwischen den Zähnen, und schnitt Kratzfüße; versicherte,[80] daß er sich unendlich amusire; und schielte alle Augenblicke nach der Thür. Endlich erbarmte sich der Chevalier über ihn, und schlug eine Spazierfahrt nach Longchamp vor.

Dieses Longchamp war vormals eine Abtey, und liegt am Ende des Bois de Boulogne. Anfangs hatte die Revolution die Spazierfahrten dahin unterbrochen, aber jetzt schien sie keinen Einfluß mehr darauf zu haben.

Jedermann, der einen neuen Wagen oder ein brillantes Pferdegeschirr bewundern lassen wollte, zog gewiß Longchamp allen andern Vergnügungsorten vor.

In der That gewährt es einen intressanten Anblick, auf einer Strecke von beinahe drey viertel Meilen eine unendliche Mannigfaltigkeit von Fahrwerken zu erblicken.[81]

Die unruhige Lebendigkeit der Fahrenden, die freudige Erwartung auf allen Gesichtern, wenn ein Feuerwerk oder irgend etwas ähnliches angekündigt ist, das allgemeine Streben nach einem Ziele, Alles trägt hier zu einem Freuden-Rausche bey, dem man sich willig überläßt.

Es ist bekannt, daß die Theaterdolche sehr stumpf sind. Jetzt erfuhr ich, daß es mit den Wunden, welche die Schülerinnen der Terpsichore schlagen, auch nicht viel zu bedeuten habe. Diese einzige Fahrt nach Longchamp hatte die meinigen der Heilung sehr nahe gebracht. Ich empfahl Mademoiselle Rose den Engeln – ob den schwarzen oder den weißen – kann ich mich nicht genau mehr errinnern – und beschloß an meiner vollkommenen Wiederherstellung auf das kräftigste zu arbeiten.[82]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Vierzehn Tage in Paris. Leipzig 1801, S. 75-83.
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