Funfzehnter Brief
Olivier an Reinhold

[40] Mit der ganzen Welt im Kriege? Ja! so bald sie sich meinem Genusse widersetzt. Blick um Dich her! ist es anders in der großen, ewigen Natur? – Die abgeschmackten Friedensgedanken! Nur in Schafsköpfen können sie entstehen. Pestartig würde er wirken! euer belobter Friede. – Nur Stürme reinigen die Luft. Dafür geben wir euch zu, daß es sich bey Zephyren sanfter einschlummern lasse.

Mit mir selbst im Kriege? O nein! vormals[40] wohl, jetzt nicht mehr. Euer inkonsequentes Moralsystem verrückte mir den Kopf. Jeden Augenblick war es mit meinen Leidenschaften im Gedränge, und ich wußte mir nicht zu helfen. Jetzt weiß ich was ich will, oder vielmehr, was die Natur durch mich will. Ich Thor wollte klüger seyn als sie, die mich zu ihren Zwecken bildete! –

Gestern Abend war die moralische Drathpuppe, der Xavier bey mir, und demonstrirte zum rasend werden die Allmacht des Menschen. Ich langweilte mich am Fenster, und sah endlich zu meinem Vergnügen, am äußersten Horizonte, ein Donnerwetter sich bilden. Während er noch im besten Declamiren war, trieb[41] es ein Sturm herüber. Die Menschen flohen, Angst und Schrecken in ihren Gebehrden. Der Blitz splitterte die große Eiche auf meinem Hofe, und ein Bauer, der Vater von zehn Kindern, wurde erschlagen.

Der arme Schelm dauerte mich, und ich will auch die Kinder versorgen; aber ich konnte mich doch nicht enthalten dem Schwätzer Xavier zuzurufen: »siehe da den Commentar zu Deiner Abhandlung! Ihr ohnmächtigen Würmer! was vermöget Ihr gegen diese große Bildnerin und Zerstörerin?

Von Eurem Willen, von Eurer Freiheit schwatzt Ihr? – Ein Blitzstrahl, ein Erdstoß! und Ihr seyd alle zertrümmert. Dann findet[42] Eure Freyheit, Euren Willen in den Millionen Stäubchen wieder, die Ihr vormals Euer Ich nanntet. Versucht, ob Ihr sie zusammen bringen und Euch dieses Ichs bewußt werden könnt. – Wahnsinnige! hört einmal auf zu grübeln! lebt, genießt; weil ihr da seyd! – Das Übrige möge die Unergründliche leiten.«

Und darum Krieg! Krieg gegen alles, was irgend einen Genuß mir verkümmert! Zum Wohlseyn bestimmte mich die Natur. Dafür seh' ich die Ameise streiten; dafür streite auch ich. Will ein stärkeres Wesen mir dieses Wohlseyn rauben; so fliehe ich. Ein schwächeres; so unterdrücke ich. Hat es Kraft sich zu wehren; gut, so mögen wir streiten. Dem[43] Sieger ist wohl, darum strebe ich es zu werden. Wer kann es mir verdenken? Wohlseyn ist meine Bestimmung.

Und, sagt was ihr wollt! all' euer Realismus, und Idealismus läuft doch am Ende darauf hinaus. Ihr erzeigt euerm gerühmten Popanz, eurem Knecht Ruprecht, Pflicht genannt, doch nur so viel Ehre; weil ihr hoft, die Christbescheerung werde darauf folgen.[44]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 40-45.
Lizenz:
Kategorien: