Sechs und dreißigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

[119] In diesem Augenblicke empfange ich einen Brief von Olivier, nebst dem Einschlusse an Ihre Julie. Ich schicke Ihnen beides mit einem reitenden Bothen, der mir versprochen hat, sich und sein Pferd nicht zu schonen. Noch hoffe ich, er werde früher kommen, als der Obriste, und ihnen Zeit verschaffen, Ihre Maaßregeln zu nehmen.[119]

Dem Himmel sey Dank! daß es meines Rathes nicht bedarf. Ich gestehe Ihnen, bey Oliviers Zustande ist mir die Unpartheilichkeit nicht möglich. – Unvorbereitet konnte ich Sie gleichwohl nicht lassen. – Ach unter diesen heftigen Erschütterungen verwirren sich meine Geschäfte. Oliviers Leidenschaft ist unmerklich in mich übergegangen. Oft verwechsele ich mich mit ihm, und mich dünkt, ich sey es, der Julie verliere. Dann reißt meine Phantasie mich wieder zu Ihnen hin, und ich zittre Olivier möchte Julie entdecken. Wie wird das enden? – Sagen Sie mir, beste Freundin! haben Sie keine Ahnung davon? –[120]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 119-121.
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