Sechs und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

[159] Guter Mensch! was rufst Du mir zu? Es ist vergebens. Olivier ist an keine Aufopferung gewöhnt. Mag es das Schicksal verantworten. –

Ich bedurfte Ruhm; mein Kopf und mein Arm mußten ihn erwerben. Mein Körper foderte sinnlichen Genuß; für und ohne Geld hatte ich mehr als ich brauchte. Mein Geist[159] dürstete nach Wahrheit; und ich war glücklich genug, das was ich gefunden hatte, dafür zu halten.

Jetzt war mein Lebensplan fertig. Ich wollte genießen; und es fehlte mir nicht an den Mitteln. Wer hätte mich nicht glücklich gepriesen? – Aber mein Herz war vergessen, und rächte sich schrecklich an mir.

Was bleibt nun übrig? – Aufgeben? Verzicht thun? – Da steht die Unmöglichkeit! überwinde sie wenn Du kannst. – Ja, wäre die Rede nur von sinnlichem Wohlgefallen; ich würde den Gegenstand wechseln, mich betäuben, und vergessen. Aber Sie! – O Gott! –[160]

Wie konnte ich diese Vortreflichkeit ahnen, in der gräßlichen ewig verschlingenden Natur? In ihr, die ihre Kinder nur zum Tode gebiert, und was sie schaffen, mörderisch im ewigen Kreislaufe zerstört. Konnte ich glauben, sie wollte etwas anderes; als vorüberfliegenden sinnlichen Genuß für ihre Geschöpfe? – Sah ich nicht die Unglücklichen nur darum sich zerfleischen? Fand ich nicht Dummheit oder Heucheley, wenn sie vorgaben für etwas Edleres zu kämpfen? Hatte ich selbst jemals für etwas Erhabeners gestritten? Oft wollten die Andern mich es glauben machen und würden mich vielleicht zu diesem Glauben bekehrt haben, wäre er zu meiner Ruhe nothwendig[161] gewesen. Aber bey meinem System konnte ich gar wohl seiner entbehren.

Uns aufgerichteten Thieren schien mir ganz recht zu geschehen, wenn wir beym Fluge nach den Sternen durch die mütterliche Erde, etwas unsanft an unsere Abkunft erinnert würden. Diese Luftschifferey, nach so vielen mißlungenen Versuchen, ferner noch zu treiben, schien mir ganz eigentlicher Wahnsinn, und der damit Behafteten glaubte ich keinen bessern Weg als zum Arzte vorschlagen zu können.

Jedesmal, wenn mir nun das Leben nicht genügte, mir ekelhaft vorkam, suchte ich den Grund in einem krankhaften Zustande meines Körpers, und war glücklich oder unglücklich genug,[162] mir durch eine Reise, durch irgend eine andere Zerstreuung wieder aufzuhelfen.

Aber da sich dieses Engelherz mir öfnete, war es um mein System, und mit ihm um meine Ruhe geschehen. Dieser himmlische Sinn, kein Werk des Beispiels, der Erziehung, war rein und vollendet aus den Händen der Natur hervorgegangen; hatte alles was ihn entheiligen konnte, mit eigner Kraft zurückgestoßen.

So war es denn gewiß! die Unergründliche wollte mehr als das thierische Wohlseyn – bildete Wesen zu höheren als irdischen Freuden. –

Denke, wie diese nicht nachgebetete, oder[163] einsam ergrübelte, sondern durch lebendige Erfahrung abgedrungene Bemerkung auf mich wirken mußte! – Mir war, als träte ich aus einer dumpfigen Gruft an das erquickende Tageslicht, als öffne sich mir eine Unendlichkeit voll Wünsche und Hofnungen. – Begreifst Du nun, daß ich nicht bloß sie, daß ich mich, mein beßres Selbst in ihr liebe? –

»Sie kann trotz allem – wirst Du sagen – meine Freundin bleiben.« Nein, nein! das ist ein leerer Schall! Muß ich sie, die mein eigentliches Leben in sich schließt, Stunden, Tage lang, ohne die Hofnung, daß sie mir einst ganz angehören wird, entbehren, kann ich diesen himmlischen Körper nicht innig[164] mit mir vereinen, ein Wesen mit ihm ausmachen; so ist es um mich geschehen. Ein Anderer sollte das alles besitzen? – O dann halte nur die Kette für mich bereit! –

»Muth?« – Nun man sagt, ich habe ihn gezeigt. – Von einem andern Muthe sprichst Du? Wohlan! auch gegen das Böse habe ich jetzt Muth. Aber sich von dem ewig Guten zu trennen, das thut nur ein Wahnwitziger.[165]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 159-166.
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