Drey und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

[198] Morgen reiset der König, und in acht Tagen muß ich ihm folgen. Um mich völlig zu bestimmen, hat er mir meine alten Kamaraden zugeschickt. Sie bestehen darauf, ich soll[198] sie anführen und schieben mir ihre Ehre ins Gewissen. Was konnte ich thun? – ich habe Ja gesagt, und so geht es denn wieder in die feindlichen Säbel.

Wenn einer mich träfe! – Wenn ich die Einzige nicht wiedersähe! Wenn ich nach dem Tode fortdauern müßte, ohne sie zu besitzen! – Nein! nein! das ist nicht möglich! Allenthalben durchbreche ich die Schranken und eile wieder zu ihr hin.

Der König weiß, daß sie nicht reich ist, und hat ihr eine Pension angeboten, mit der Erlaubniß sie verzehren zu können, wo es ihr gut dünkt. Natürlich hat sie sie ausgeschlagen. Man muß ihm verzeihen. Er ist an seine[199] bettelnden Schranzen gewöhnt. Auch hat er nicht den Muth gehabt, selbst von der Sache zu sprechen.

Die Mutter ist wieder hergestellt, und Julie geht mit Wilhelminen nach W... Antonelli wird unter mir dienen. Es ist ein Trost für mich, den herrlichen Jungen an meiner Seite zu haben. Wäre er bey Julien geblieben – der Gram hätte mich getödtet.

Er liebt sie und mich bis zur äußersten Schwärmerey. Mit seiner kindlichen Unschuld schlägt er die Eifersucht in dem Augenblicke nieder, wo er sie reizt, und zwingt sie sich in Liebe zu verwandeln.

Er hat sich bey mir angesiedelt und weicht[200] nicht mehr von meiner Seite. Oft erschüttern mich seine kindischen Spiele bis in das Innerste der Seele.

Eins seiner liebsten ist, wenn er durch die ganze Reihe von Zimmern bis in das äußerste laufen kann. Dann muß ich rufen: wo bist Du mein Sohn? und nun stürzt er in meine Arme, und weint und lacht, und bedeckt mein Gesicht mit unzähligen Küssen.

Letzt war Julie dabey, und da ruhte er nicht, sie mußte die Worte in ein Rezitativ bringen. Nun hat er eine Antwort komponirt, die er nach den Umständen verändert.

Bald hat der Sohn den Vater verloren, und kann ihn, trostlos, nicht finden. Dann[201] schildert er die Sicherheit des väterlichen Hauses, und die Liebe des Vaters. Dieser ist immer ein Krieger und hat tausend Gefahren überwunden. Bis ans Ende der Welt will der Sohn ihm nun folgen. In den Tod will er gehen, um den Vater zu retten u.s.w.

Aber der Sohn hat auch eine himmlische Freundin. Von Lichtglanz umflossen, schwebt sie nur über der Erde und tröstet die leidenden Menschen. Wenn er gut ist, wird sie ihn lieben ... Ach! und was weiß ich, was die kindische, liebliche Phantasie sonst noch erdichtet.

So bin ich den ganzen Tag von seinen Zauberbildern umgaukelt und höre ich dann[202] einmal wieder von andern Leuten ein vernünftiges prosaisches Wort, ohne Musik, so wird mir ganz unheimlich zu Muthe.

In dieser Zauberwelt verstärken sich alle meine Gefühle. An den Abschied mag ich nicht denken.[203]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 198-204.
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