Neun und funfzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

[221] Wir giengen heute in die Oper, und waren durch das was wir von dem ersten Sänger gehört hatten, berechtigt, unsre Erwartung aufs höchste zu spannen.

Er sollte uns Cäsar auf Farmakusa darstellen. Ehe wir hinkamen, hatte ich meinen[221] Cäsar schon fertig. Es war ein langer stattlicher Mann, mit großem brennendem Auge und milder Hoheit auf der Stirne. Sein Gang war fest, seine Bewegungen waren kraftvoll und edel. Er sprach einen schönen Tenor und, wenn er es nicht ändern konnte, mußte er ihn freilich auch singen. Der singende Cäsar! – Ey nun ich war ja in der Oper, und war ja nur um des singenden Cäsars willen hingegangen.

Der Vorhang flog auf, und nach einer Weile erschien ein kleiner dicker Mann, der sich alle Mühe gab, sich noch ein wenig dicker zu machen. Recht gern würde ich ihn für einen mit Macaroni wohl ausgestopften Schäfer gehalten[222] haben; wäre ich nicht durch eine weiß taffetne mit ponceau Bande eingefaßte Toga belehrt worden, daß ich es mit dem unüberwindlichen Cäsar selbst zu thun habe.

Welch ein langer Periode! Meinen Helden würde er in Verlegenheit gesetzt haben. Offenbar fehlte es ihm in der ersten Viertelstunde an Athem. Wir waren ziemlich weit vom Theater entfernt, und konnten ihn sehr deutlich schnaufen hören.

Ich schloß die Augen, um nicht an meinen verlornen Cäsar erinnert zu werden. Aber jetzt wurde ich durch ein wirklich meisterhaft vorgetragenes Adagio so lieblich getäuscht, daß ich sie plötzlich wieder öfnete.[223]

Da stand nun freilich der kleine Schäfer; aber er war jetzt zu Athem gekommen, hatte seine Toga in einige recht große Falten geworfen, und stimmte eine Bravourarie an, mit deren Eingang er sich vor Meister und Gesellen konnte hören lassen.

Ich horchte. – Wie viel Kraft, wie viel Ründung und Biegsamkeit! aber o mein Gott! wie viel Schnirkel und Verzierungen. Der Komponist hatte schon allenthalben verbrämt; aber unserm Cäsar war es noch viel zu simpel. Triller, Vorschläge u. s w. nichts ward gespart; aber nichts gieng auch verloren. Das dankbare Publikum nahm alles auf, und äußerte[224] seine Zufriedenheit durch den lautesten Beifall.

Wirklich! es heißt bey uns Deutschen noch immer: je mehr, je lieber. Unsre berühmtesten Sänger mögen in Italien ausgepfiffen werden, glaubwürdige Leute mögen uns versichern, daß wir nur bekommen was man dort nicht brauchen kann, und daß unsre hochgepriesenen Schnirkeleien von dem guten Geschmacke längst nicht mehr anerkannt werden. – Es hilft nichts. Wir müssen bewundern. Dies ist uns eben so sehr Bedürfniß, wie andern Nationen das Tadeln.

Julie nach ihrer löblichen Methode, nahm wieder alles von der besten Seite. Während[225] ich mich ärgerte, sah ich sie ruhig genießen. Hin und wieder ein kleines beinah unmerkliches Lächeln abgerechnet, sonst war nichts Tadelndes an ihr zu bemerken.

»Liebste Wilhelmine!« – sagte sie, als ich mich darüber ausließ – »der Freuden sind so wenige! will man sich nur an dem Vollkommnen ergötzen; so wird es bald gar keine mehr geben.«

Was macht der Obriste? Hat er noch nicht geschrieben?[226]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 221-227.
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