Vier und zwanzigster Brief
Wilhelmine an Julie

[77] Gieb Dir keine Mühe! Ich bin zu gut unterrichtet um mich täuschen zu lassen. Aus freyen Willen wärest Du auf Deinem Zimmer geblieben? – Ja, ja! eine ganz gute Erfindung für Deine Bedienten. Aber bey mir – wie gesagt, Du kannst die Mühe ersparen.

Ließe mich auch jemand Jahr aus Jahr ein so viel freye Luft schöpfen, und so viele Briefe schreiben als mir beliebte; ich würde[77] dumm genug seyn mir einzubilden: dergleichen verstünde sich von selbst.

Eben so kläglich schicke ich mich zum Bewundern. Freund Reinhold kann Dir ein Lied davon singen.

Welche Disharmonie! In der That, nehme sich Dein Herz nicht manchmal die Freyheit, Dir ein Wörtchen zuzuflüstern, unsre Freundschaft würde zum Räthsel. Aber bey diesen Einschiebseln, die Dir wahrscheinlich als Unregelmäßigkeiten erscheinen, fliegt Dir das Meinige wieder zu. Ich triumphire, daß Dir die hochbelobte Kunst unsrer französischen Gouvernante de corriger la nature noch nicht gelungen ist.[78]

Doch wer weiß! mit der Zeit kann alles noch werden. Hast Du doch schon mit Hülfe dieser Kunst herausgebracht: Antonelli habe Dich vergessen, habe Dich vielleicht niemals geliebt.

Ja! ja! die Vielleichts machen einem viel zu schaffen. Wollte der Himmel, ich wäre mit denen, die mir noch auf dieser kleinen schwerfälligen Erde übrig bleiben, schon fertig, dann könnte ich Dir bey den Deinigen helfen.

Ob ich jetzt immer so lustig bin? O ganz erschrecklich! Du siehst die Spuren der Freude hier auf dem Papiere.[79]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 77-80.
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