Fünf und vierzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

[161] Die Prophetin scheint, wie alle übermenschliche Wesen, schwächliche Empfindungen und besonders das Mitleid zu verachten. Aber übermenschlich oder nicht; man ist nicht immer sicher vor dem was man verachtet. Unsrer Prophetin[161] geht es vielleicht trotz aller Schadenfreude – wie Uneingeweihte es nennen mögten – nicht besser. Die Wetterwolken sind ihr sehr wahrscheinlich noch fürchterlicher als mir.

Ohne Bilder! Meine Freundin scheint sie nicht zu lieben. Hier sind die Briefe zurück. Wenn ich Ihnen dafür danke; so danke ich für Schmerz und Freude zugleich. Beydes habe ich im hohen Grade empfunden. Ich begreife, ich entschuldige jetzt alles. Ja für dieses himmlische Herz giebt es freylich keinen Ersatz. Der Erste, der Einzige darin seyn wollen; ach es ist ein schöner, es ist ein sehr menschlicher Wunsch! Wäre ich an Oliviers[162] Stelle, wer wüßte wozu er mich bringen könnte. – Wahrscheinlich zu Vielem, was ich tadeln und doch nicht unterlassen würde.

Meister Ubaldo hat mir ein Lächeln abgezwungen. Armer Olivier; wofern Deine Oberaufseher nicht blind und taub sind; so steht es sehr schlimm mit der Aufsicht.[163]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 161-164.
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