Sieben und vierzigster Brief
Wilhelmine an Julie

[168] Ich habe sie gesehen. Das war eine Freude! – Ich dachte sie mir – warum weiß ich selbst nicht – wie ein altes kraftloses Mütterchen, und fand eine angenehme, lebhafte aber freylich, trotz den Spuren großer Schönheit, nicht[168] auf nordische Art, roth und weiß blühende Frau.

Im vierzehnten Jahre wurde sie verheyrathet, Antonelli ist drey und zwanzig; jetzt kannst Du zusammen rechnen.

Sie hat Dein Gemählde, und betet alle Tage für Dich. Eine Deutsche kannst Du nicht seyn; das ist ihr nicht auszureden. Schon mehr als ein paar Dutzend Heiligenbilder hat sie mit Dir verglichen. Von der Einen hast Du die Stirn, von der Andern die Augen, von der Dritten, Vierten, Fünften, die Nase, den Mund, das Kinn u.s.w. Wohl bemerkt! unter diesen Allen keine Einzige Deutsche. – Ohne Zweifel aber sämmtlich Deine[169] Frau Muhmen, Basen, Urgroßmütter im hundert und funfzigsten, sechzigsten Gliede. – Ach Gott! wer sich doch auch einer solchen Familie rühmen könnte!

Ja, hat es mich jemals geschmerzt, aus keinem heiligen Blute entsprossen zu seyn; so ist es gerade jetzt. In allem könnte ich mit dieser liebenswürdigen Frau sympathisiren; nur die fatale Heiligenfamilie kommt immer dazwischen.

Gott weiß wie es zugeht! – Sie selbst hat doch so gar nichts Heiliges. – Nennt alle Dinge bey ihren Nahmen, liebt und haßt so südlich, so unheilig wie möglich. Allen Rosenkränzen und Heiligenbildern unbeschadet.[170]

Indessen ist doch die Glückseeligkeit dieser Auserwählten nicht ohne Wechsel. Auch sie haben ihre Sonnen- und Regentage. Ja manchmal könnten sie den ersten, besten Unheiligen beneiden.

Signora Antonelli's Schutzpatron, hat es zwar, im Ganzen genommen, recht gut. Aber ich weiß mich gleichwohl der Zeiten zu erinnern, wo er, statt vier Wachskerzen nur zwey, ja wenn er sich um Briefe von dem geliebten Sohne zu lange bitten ließ, wohl gar keine erhielt.

Die Schutzpatrone der Köche, Schiffer und Fuhrleute haben es viel schlimmer. Stöße, Schläge, die ärgsten Schimpfnahmen müssen[171] sie sich gefallen lassen, wenn sie die Bitten ihrer Gläubigen vergessen, oder zu saumseelig erfüllen.

Bey dem allen hat aber ein solcher Schutzgott für den Besitzer sehr viel Angenehmes. Ich wenigstens lasse mir einen machen, und zwar nach dem Modelle eines jungen Bauers hier in der Nähe.

Jeden Abend trägt er seine alte Mutter in die Kühle, unter ein Laubdach, was er gerade meinem Fenster gegenüber aufgeschlagen hat. Die Art, wie er ihr Lager bereitet, die Zweige an einander fügt, Blumen und Früchte herbeyholt, giebt ihm wirklich etwas Heiliges.

Letzt, als er sie wieder hinaus trug, hatte[172] er zu gleicher Zeit die Früchte mitgenommen; aber plötzlich stieß er an einen Stein und da lag der Korb und die Früchte.

Geschwinde lief ich hinunter, sammelte sie wieder in den Korb und brachte sie ihm entgegen. Er nahm sie, sah mich an, konnte mir nichts sagen, ich ihm auch nicht, und so giengen wir langsam von einander.

Als er nun den folgenden Tag wiederkam, fand er schon ein recht hübsches Sopha in der Laube und noch schönere Früchte als die seinigen. Er blickte nach meinem Fenster, legte die Hand aufs Herz und grüßte mich auf eine Art – ja, die sich recht gut sehen, aber nicht beschreiben läßt.[173]

Seitdem haben wir nun unsre ganz eigne Zeichensprache. Mir gefällt sie so wohl, daß ich den Augenblick fürchte, wo sie sich in Worte verwandeln wird. Auch suche ich ihn so viel als möglich zu entfernen.

Aber unterdessen der junge Heilige draußen mit seiner Mutter beschäftigt war, bin ich in ihrer Wohnung gewesen, und habe mir da verschiedenes gemerkt, was die arme, kranke Frau entbehrte.

Jedesmal nun, wenn er ins Haus tritt, findet er irgend etwas neues. Da kommt er dann gelaufen und peinigt meine Leute: »Sie sollen ihn vorlassen! Es wird zu viel – Er kann es nicht tragen« u.s.w. – Aber da bin[174] ich nun hart, meine Leute dürfen nicht wanken, und er muß mit seiner ganzen Schuldenlast wieder zurück.

Nun, wie gefällt Dir mein Heiliger? – Soll ich Dir eine Kopey machen lassen? oder willst Du lieber den von Signora Antonelli haben? Er gleicht ihrem Sohne, wie ein Tropfen Wasser dem andern.[175]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 168-176.
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