Ein und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

[184] Er ist krank, oder will es scheinen, um mich aufs Äußerste zu bringen.

Die Königin zwingt sich wieder daran zu glauben und erschöpft alles, was der sorgsamsten Liebe nur möglich ist.

Ich aber kann mich des Gedankens nicht erwehren: es sind Tücke, er will nur meine Geduld ermüden, ich soll Julie wiederkommen[184] lassen, und dann glaubt er, werden seine und seiner Hofschranzen Ränke das Übrige thun.

Wie mich seine süßlichen Schmeicheleyen anekeln! Welche Quaal! das Geschmeiß den ganzen langen Tag so dulden zu müssen. Er hätte nichts Besseres ersinnen können, um mein bischen Ruhe ganz zu zerstören, um mich dem Wahnsinne so nahe als möglich zu bringen.

Was macht sie die Einzige, unaussprechlich Geliebte! Ein Blick aus ihrem Himmelauge würde das unbändige Klopfen dieses zerrissenen Herzens mildern. Kann ich sie denn nicht einmal, nicht ein einzigesmal sehen! Ach! da überfällt mich die Todesangst: sie mögte entdeckt werden. –[185]

Meinen Verstand erhalte mir, o Gott! daß ich der Leidenschaft nicht erliege, daß ich dieses kostbare Kleinod, für das die Welt keinen Ersatz hat, daß ich es nicht preis gebe den tückischen Mördern, die nach meinem Herzen zielen.

Nein, ich will entsagen, für eine kurze Zeit entsagen, und dann will ich kommen mit aller, aller meiner Liebe, die sie nicht kennt, die ich selbst noch nicht kannte. Um dieser unendlichen Leidenschaft willen muß sie mich lieben, kann sie nie einem Andern gehören.[186]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 184-187.
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