Funfzehntes Capitel.

Der Vicemann.

[170] Eine junge Bauersfrau hatte mit ihrer Mutter eine Reise von vierzig Meilen gemacht, um eine Erbschaft abzuholen. Sie mußten bey dem Testamentsvollzieher logiren, erfuhren aber sogleich, daß sie ohne ihren Mann nicht bezahlt werden könnten. Die Alte war schlau genug, ihre Verlegenheit zu verbergen, und versprach, ihren Schwiegersohn aus dem nächsten Wirthshause zu holen.

Was war zu thun? Eine Reise von vierzig Meilen ist keine Kleinigkeit, und überdem konnte der Mann nicht abkommen. Sie[171] besannen sich endlich auf einen Bekannten, der sie begleitet hatte, und beschlossen, ihn ohne Umstände für den Mann auszugeben.

Der Testamentsvollstrecker empfing ihn sehr freundlich; aber da es zu spät war, wurde die Sache bis morgen verschoben. Die guten Weiber glaubten nun alles gewonnen zu haben, und ließen sichs mit ihrem Vicemann des Abends vortrefflich schmecken. Gegen das Ende der Mahlzeit nahm dieser den Wirth auf die Seite. »Hören Sie!« – sagte er – »Ich bin recht übel daran. Meine Frau ist ein scharmantes Weibchen – aber wenn sie ihren Kopf aufsetzt – Sie verstehen mich – können Sie's glauben – acht Tage hat sie mich schmachten lassen.« »Seyn Sie unbesorgt« – gab ihm dieser zur Antwort – »Sie sollen nur ein Bette kriegen!« –

Man steht auf, sie werden in die Schlafkammer gebracht – Mutter und Tochter sehen[172] sich an, aber der Vicemann nöthigt sie, sich zu trennen, so sehr sie auch husten und winken.

Als alle Zeugen entfernt waren, überhäufte ihn das junge Weib mit Vorwürfen. »Schätzchen!« – sagte er – »entweder – oder! Ich bin die Nacht dein Mann, oder den Augenblick weiß der Herr alles.«

Was war zu machen? Sollte sie eine gute Erbschaft verlieren? Sollte sie sich als eine Betrügerin bestrafen lassen? – »Gretchen!« – rief die Mutter, die es durch die Breterwand mit gehört hatte – »Besinn dich nicht lange! Man kriegt ja keinen Bart davon!«

»Nun, wenns nicht anders ist!« – gab sie zur Antwort – »so muß ich in den sauern Apfel beißen.« –

»Und dann et caetera« – fiel der Herr im blauen Rocke ein. – »Er wird wohl nicht[173] so sauer gewesen seyn? Nicht wahr, Jettchen?« –

»Ich weiß es nicht!« – gab sie lächelnd zur Antwort. – »O wenn er sich doch packte!« – dachte ich, denn ich konnte es beynahe nicht mehr aushalten. In dem Augenblicke ergriff er den Hut, und sagte gute Nacht. – Sie wollte wieder anfangen, wo sie es gelassen hatte; aber ich war der Sache überdrüssig, und wartete kaum einige Minuten. – »In dieser Welt sollst du mich nicht wieder zu sehen kriegen!« dachte ich, und eilte nach Hause.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 170-174.
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