Sechstes Capitel.

Sind Sie es.

Als ich in den Saal trat, sah ich alles nach den Ausgängen stürzen. Die Musik verstummte, die Masken verschwanden; auf den blassen Gesichtern stand nichts als Todesangst, die Verwirrung war allgemein. Das wilde Geschrey, das aus dem Getümmel schallte, das Wirbeln der Lärmtrommeln, das Anschlagen der Sturmglocke, der dicke Rauch, welcher[208] den Saal erfüllte, alles vermehrte das Schreckliche dieser Nacht.

Mein Herz klopfte ängstlich für den Junker, und ich vergaß auf einige Augenblicke meine eigene Gefahr um ihn. Endlich sahe ich mehrere Personen durch die Fenster springen, und ihr Beyspiel flößte mir Muth ein. Der Mond schien hell; die Erhöhung war erträglich, ich schloß die Augen, und sprang glücklich hinunter.

In dem Augenblicke, als ich Mich aufrichtete, hörte ich eine weibliche Stimme ängstlich nach Hülfe schreien. Es war die Dame, die ich im Cabinette gelassen hatte, dessen Thüre sie nicht öffnen konnte. – »Hierher, Madame!« – rief ich ihr muthig zu – »Wir werden Sie auffangen!« – Ein langer Herr, der eben herunter gesprungen war, munterte sie ebenfalls auf.[209]

Sie knüpfte eine Serviette an das Fenster, und in wenig Minuten hatten wir sie in den Armen. – »O Gott!« – sagte sie, und wurde ohnmächtig. Der Fremde verließ uns, ich lehnte sie an eine Bank, und fing an ihr sanft die Schläfe zu reiben.

Nach einigen Minuten kam sie zu sich. – »Ach mein Herr!« – sagte sie mit einem wehmüthigen Tone – »Sind Sie es?«

»Meine Gnädige!« – gab ich zur Antwort, und küßte ihr beyde Hände – »Ich bin glücklich, meinen Fehler wieder gut zu machen!«

Sie sah mich starr an, als wollte sie sich meine Füge einprägen. – »Nehmen Sie diesen Ring zum Andenken« – sagte sie – »zum Zeichen, daß ich Zutrauen in Sie setze, und daß ich ewig auf Ihr Geheimniß rechne.« – Sie steckte mir ihn an, und drückte meine Hand. – »Ehren Sie ein unglückliches[210] Weib!« – fuhr sie fort, und ihre Thränen ließen sie nicht weiter sprechen.

»Lassen Sie uns gehen!« – sagte ich gerührt – »Ich sehe, daß hier ein Ausgang neben dem Walle ist.«

Sie nahm meinen Arm, wir gingen schweigend neben einander, und kamen in eine Nebengasse, wo einige Kutschen hielten. – »Ich erkenne meine Equipage!« – sagte sie, und machte sich schnell von mir los. – »Leben Sie wohl, mein Herr!« – indem sie mir ihre Hand reichte. Sie rufte ihren Kutscher, ich wand mich schnell um die Ecke, und er sah mich nicht.

Mein Herz war zufrieden, ihr diesen Dienst geleistet zu haben; aber meine Angst um den Junker erwachte von neuem. Die Sturmglocke tönte noch immer, und die Flammen wälzten sich fürchterlich am Himmel fort. Athemlos eilte ich nach Hanse. Aber ich sah[211] Licht; und der Junker kam mir freudig an der Treppe entgegen.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 208-212.
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