Eilftes Kapitel.

Herzensblicke.

[24] Die Gräfin war außer sich. Sich verachtet zu sehen! Einem andern cedirt zu werden! Welche Frau könnte das vertragen? Ihr Stolz, ihre Liebe und ihre Empfindungen waren aufs höchste beleidigt; nichts konnte sie trösten, als Soltings Aeußerung. Er liebt mich! sagte sie; er soll mein Rächer sein, dieser unwürdige Mann verdient es.

Laßt ein Weib einmal zu dieser Rache entschlossen sein, und sie wird durch nichts mehr zurückgehalten werden. Eitelkeit, Bedürfniß und Erbitterung werden sie wechselweise bestürmen, und jede Gelegenheit, sie zu befriedigen, wird ihr willkommen sein.

So brachte die Gräfin die Nacht zu, aber ihr Gemahl war nicht ruhiger. Die Oberstin hatte ihm den ganzen Abend mit Verachtung begegnet, und er zitterte, in Solting seinen Rival[24] zu sehen. Wie gern hätte er ihm seine Frau mit allen Reservaten überlassen, um nur für seine Geliebte beruhigt zu sein. Er fühlte, daß ihm jene völlig gleichgültig war, und daß er den Muth haben würde, alles zu ignoriren.

Aber mit ganz andern Betrachtungen war der Baron beschäftigt. Er durfte die Hoffnung fassen, sich von der Oberstin geliebt zu sehen; er hatte ihr seine Leidenschaft entdeckt, und wußte, wie viel damit gewonnen sei. Ihre Antworten, ihre Blicke, ihr ganzes Betragen, alles schien ihm den glücklichsten Erfolg zu versprechen.

Gleichwohl kam er mit seinem Freunde in eine sehr unangenehme Collision. Sollte er die Oberstin aufgeben? Sollte er sich durch die Gräfin entschädigen? Beides war unmöglich. Die Liebe siegte, die Freundschaft schwieg. Mag die Oberstin entscheiden, sagte er: ich und der Graf – Wir sind in diesem Punkte einander völlig fremde.

Indessen beschloß er, ihn wenigstens zu schonen, und wo möglich zu täuschen. Aber um dieses zu können, muß die Oberstin sich mit ihm vereinigen. Himmlisches Geschöpf! rief er, deine Liebe und deine Klugheit werden alles möglich machen!

Quelle:
Christian Althing: Dosenstücke, Rom; Paris; London [o.J.], S. 24-25.
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