Abschiedsmorgen

[131] Die ganze Nacht über Südweststurm, der alle Wellen auf die hohe See hinaustrieb, und nun so still, wie es nur am Meer still sein kann und nur nach Sturm ...


Mit breiten Silberbändern liegt die Morgensonne auf dem Wasser ...

Aus der Prorer Wiek vor Saßnitz tauchen ein paar Boote mit kupferbraunen Segeln und hinter ihnen in der Ferne raucht der Dampfer auf ...


Langsam arbeitet sich der Gepäckwagen durch die Dünen ... und mit schweren Wasserstiefeln kommen die Fischer den Bretterweg herabgeklappert.

Koffer, Kisten, Körbe werden über den Steg geschleift und in die Kähne getürmt.

Allmählich sammeln sich auch die Abfahrenden ... drollig bepackt und beladen mit Mänteln,[132] Schirmen, Schachteln ... und Kistchen und Kästchen ... mit Sand und Steinen ... Jedes will etwas mitnehmen ...


Es wird eingebootet ...

Küsse, Grüße, Tücherwinken ...

Auf dem Dampfer ... Musik:


Muß i denn, muß i denn zum Städtele naus

und du mei Schatz bleibst hier! ...


Wie wehmütig und wie lustig zugleich es über die weiten stillen Wasser klingt! ...


Wann i komm, wann i komm,

wann i wiederum komm,

kehr i ei, mei Schatz, bei dir!


Das letzte Boot hackt ab und fährt zurück.

Glockenzeichen ...

Kommandoruf ...

Maschinenstampfen ...

ein leiser Ruck ... und ... es ist vorbei!

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 1: Von Alltag und Sonne. Stuttgart 1921, S. 131-133.
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