15. An Herrn Heinrich Schützen, Churfürstl. Durchlaucht zu Sachsen Kapellmeistern

[351] 1632.


Ists nicht so, berühmter Schütze?

Deine Mutter war wie schon

an der schwarzen Lethenpfütze

und dem bleichen Phlegethon;

Charon, der erblaßte Man,

schrie sie schon ums Fährgeld an;


die Vernunft war fast verloren,

und sie war nun nicht mehr sie,

der in die halbtauben Ohren

man ihr noch diß Wort einschrie:

Heinrich, euer lieber Sohn,

kommt und seht, hier ist er schon!


Wie erfrischt' ihr diß ihr Leben,

das beinah' erstorben war![351]

Ihr Geist war ihr wiedergeben,

welcher fast verhauchet gar.

Komm, Sohn, sprach sie, komm herzu!

Meines Todes Tod bist du!


Was ists not, daß, wie vorzeiten

es Äagers Sohn gemacht,

du mit Liedern, Spiel und Saiten

fahrest in den finstern Schacht?

Schütz, auf deinen Namen blos

giebt der Tod die Toten los.


Du machst dir mit deinen Liedern

Hell' und Himmel untertan,

daß dir keines nichts verwiedern,

keines nichts versagen kan,

weil auch, wenn du schon nicht singst,

du sie beide doch bezwingst.


Diß kan eine schöne Seele,

die den Himmel Vater heißt,

die aus der beleibten Höle

über sich und zu ihm reist

und ihm ein Gesetze schreibet

durch das, was doch seine, bleibet.


Hilft mir Gott und will mein Glücke,

daß mirs auch noch wol soll gehn,

daß ich nicht so stets zurücke

und in schlechter Acht muß stehn,

so ist deines Fürsten Gunst

mir nicht, hoffe, gar umsonst.


So will ich einmal auch kommen,

wo ihr schönen Leute seid.

Was ich mir schon vorgenommen,

das eröffnet jene Zeit.

Diß ists, das ich sagen will;

dort ist meiner Hoffnung Ziel.


Vater Mars, laß ab von Meißen

und vergönn uns deine Ruh'!

Laß sich auch nun Fremde schmeißen,

die uns lange satt sehn zu![352]

weise nun auch deine Macht

dem, der sie noch itzt verlacht!


Denn so will ich dich erheben,

wenn du weit von uns wirst sein,

und mein Schütze wird beineben

seine Saiten stimmen drein,

daß die Gegend weit und breit

froh sein wird bei solcher Zeit.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 351-353.
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